Autor | Helen Macdonald |
Verlag | C.H. Beck |
Umfang | 239 Seiten |
ISBN | 978-3-406-70574-8 |
Preis | Fr. 24.90 (UVP) |
In "H wie Habicht" meisterte Helen Macdonald die Verquickung von Literatur und Sachbuch zu einem einzigartigen Leseerlebnis. Wenn wir jetzt also ihr neues Buch (eigentlich ja ein älteres, denn sie verfasste es vor dem "Habicht") "nur" als ein Sachbuch vorstellen, laufen wir Gefahr, ein falsches Zeichen zu setzen - immerhin gelten Sachbücher nach verbreiteter Einschätzung als irgendwie "ernster", weniger unterhaltsam als ihre Cousinen und Cousins im Regal der Belletristik. Entwarnung. In diesem Fall erweist sich das Sachbuch als leichter, sogar verspielter als der vorangegangene Bestseller.
Diesmal geht's um Falken. Wie zu erwarten mag sich die Historikerin Helen Macdonald nicht dahingehend einengen, uns den schnellen Greifvogel einzig in zoologischem Fakt, Verhaltensabriss und ornithologischer Anekdote nahezubringen. Sie erweitert die Reise zu einem munter ausschreitenden Marsch durch die Kultur-, Religions-, Natur-, Artenschutz- und auch Militärgeschichte. Damit setzt sie ausser dem Vogel ebenso den ihn anhimmelnden Menschen ins rechte, nämlich konturierende Licht. Und angehimmelt wurde und wird er, der Falke: Je nach Zeit und Geist als Jenseitsbote, als Gott, als Bindeglied zum vermuteten eigenen, "wilden" Wesenskern, als Paradebeispiel evolutionär antrainierter Superkräfte. Oder auch mal, etwas weniger verzückt, als grausamer Mörder, Jagdkonkurrent, Opfer menschlicher Eingriffe in die natürliche Ordnung, Symbol feudalistischer Herrschaftsordnung...
Ja, Sie haben es erfasst. Wir betrachten und erkennen den Falken nicht nur, wir betrachten und erkennen auch so einiges in ihn hinein. Mit seinen Attributen der Wildheit, des Adels, mit seinem durchdringenden Blick, seiner Aura kontrollierter Kraft und seiner kompakten Gestalt drängt sich der schöne Raubvogel einer Anthropomorphisierung geradezu auf. Helen Macdonald berichtet uns diesbezüglich von einem beispielhaften, schon fast transzendenten Erlebnis, als sie einen Falken auf einem Ast in der Ferne mit dem ersten Blick nicht als einen Vogel, sondern als einen Menschen erkannte. Neben dieser menschentypischen Gewohnheit, eigene Wesenszüge, Gefühle, Moralgebote und Ideale den uns umgebenden Tieren einzuschreiben, eignet sich der Falke aber auch bestens zum Umgekehrten: Der Naturalisierung. Das wäre dann, eigene Wesenszüge, Gefühle, Triebe usw. (gesellschaftlich wohlgelittene, aber gern auch andere) am Beispiel des Tiers als naturgegeben, wo nicht gar zwangsläufig zu rechtfertigen.
Mit diesem Stichwort der Naturalisierung sind wir an den Punkt angelangt, der uns an Helen Macdonalds so vielseitig reizvollen neuen Buch der bedeutendste scheint. Wieder gelingt es ihr mit beneidenswerter Beiläufigkeit, ihre liebevolle Detailbetrachtung eines Greifvogels und der Falknerei zu einem kritischen Nachdenken über unser Verhältnis zur und unserem Verständnis von Natur auszugestalten. Wobei sie dies dann - um nicht im "wieder" gefangen zu bleiben - erweitert zu einem Lehrstück und auch einer Warnung dahingehend, wohin uns die Instrumentalisierung der Tiere zum Argument unserer zivilisierten Sehnsucht nach "Natürlichkeit" führen kann. Da zeigt sie uns dann beispielsweise auf, wie gerade im Idealbild des Falken wiederholt Argumente des Rassismus und Imperialismus transportiert wurden.
Doch lassen wir uns von der obigen Charakterisierung des Buches als Lehrstück jetzt nicht verunsichern: Es ist nicht darauf angelegt, uns zu schulmeistern. Es ist tatsächlich ein Anstoss zum eigenen Gedanken, angeregt und bereichert durch ihre Fertigkeit, ihr üppiges historisches und ornithologisches Fachwissen zu eingängigem, mitreissendem Lesestoff zu kultivieren. Damit stellt sich der "Falke" nicht nur als treffliche Nachfolge neben den "Habicht", sondern als belangvolle Erweiterung und Zugabe.
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