Autor | Dina Ionesco / Daria Mokhnacheva / François Gemenne |
Verlag | oekom |
Umfang | 169 Seiten |
ISBN | 978-3-86581-837-9 |
Preis | Fr. 29.-- (UVP) |
Einen "Krieg gegen die Natur" nennen manche - und darunter nicht nur die enthusiastischsten - Umweltschützer unseren Umgang mit derselben. Ob man dem nun in der Wortbedeutung beistimmt oder nicht; jedenfalls zeitigen Klimawandel, Naturkatastrophen und intensivierte Ressourcenaneignung bereits seit längerem Folgen, die sich durchaus mit Kriegswirkungen vergleichen lassen. Flüchtlingsströme beispielsweise. Auf die Genfer Flüchtlingskonvention können sie sich dann dennoch nicht berufen, die den Dürren ausweichenden, vom steigenden Meeresspiegel in Bewegung gesetzten, vom Landgrabbing von ihrem Land vertriebenen Menschen. Und ebenso fand die Thematik bisher nur höchst spärlichen Niederschlag in den laientauglichen Buchveröffentlichungen zu Umweltthemen. Der hier vorliegende Atlas verdient unsere Beachtung also allein schon dadurch, dass es ihn jetzt gibt.
Seine Einzigartigkeit zumindest im deutschsprachigen Buchmarkt bleibt dann aber längst nicht der einzige Aspekt, den wir an ihm zu loben finden. Einen ersten weiteren finden wir in seiner Aufmachung als eben ein Atlas. Das für den Band erarbeitete, umfangreiche Kartenmaterial ist bestens geeignet, uns die generell unübersichtliche, globale Thematik anschaulich und übersichtlich zu gestalten. Ebenso sinnfällig präsentiert sich der Aufbau des Buches. Da geht es dann im ersten seiner vier Teile erst einmal um den historischen Hintergrund und die Grundbegriffe der Migrationsforschung, um ihre Methoden und die wichtigsten Eckdaten. Die spezifisch umweltbedingten Auslöser von Flüchtlingsbewegungen werden im zweiten Teil erörtert: Klimawandel, Artenschwund, die Veränderung von Ökosystemen und "klassische" Umweltkatastrophen wie Schadstoffbelastung und Industrieschäden sind hier ebenso Stichwort wie die von menschlichem Handeln unabhängigeren, geologischen Faktoren. Die daran anschliessende Diskussion der sich daraus ergebenden humanitären Herausforderungen, aber auch der demografischen Chancen der Umweltmigration münden schliesslich im vierten Teil in einen Werkzeugkasten von denkbaren Steuerungsmassnahmen und Lösungen politischer, ökonomischer und juristischer Art.
Zur Allgemeinverständlichkeit dieser fundierten, umfassenden Darstellung darf gesagt sein: Wer sich ohne geowissenschaftliche und entwicklungspolitische Vorkenntnisse gleich in den dritten oder vierten Teil des Bandes stürzt, wird sich wahrscheinlich etwas desorientiert finden. Das mag zwar dem Anspruch des Bandes, ein Atlas zu sein, zu Teilen widersprechen, doch es ist wohl unvermeidlich. Das internationale Autorinnentrio setzt grosse Sorgfalt darein, die komplexe Materie der Umweltmigration reflektiert und weitläufig zu durchdringen. Zu dieser weitläufigen Aufarbeitung zählt dann beispielsweise auch, dass gleichberechtigt neben den Herausforderungen der internationalen Flüchtlingsbewegungen auch jene ebenso folgenreichen der Binnenmigration verhandelt werden. Diese Themenfülle in Kürze und gebührender Tiefe zu fassen, gelingt ihnen bestens, verlangt aber nach der didaktischen, aufbauenden Darstellung, die sie dafür wählen.
Ein letztes Bedürfnis der Autorinnen schliesslich adelt den Band. Neben aller pointierten Präzision und informativen Vielschichtigkeit des Atlasses wollen sie uns auch für die Situation der Betroffenen sensibilisieren. Dieses Anliegen der Förderung der Empathie auch für Menschen, die sich nicht durch die Bedrohung durch andere Menschen zur Flucht genötigt sehen, sondern durch schwerer zu fassende ökologische Zwangslagen, wird zwar nicht zum vordringlichen Merkmal des Buches - es bleibt ein vergleichsweise nüchternes Informationswerk. Dennoch schliesst man es nicht, ohne auch diesbezüglich zu feinnervigem Verständnis gefunden zu haben. Damit verfügt es über alle Eigenschaften, um einem hohen Anspruch gerecht zu werden: Die unterschätzte, politisch bislang weitgehend vernachlässigte Thematik der Umweltmigration endlich auf die Agenda zu setzen.
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