Autor | Annette Kehnel |
Verlag | Blessing |
Umfang | 486 Seiten |
ISBN | 978-3-89667-679-5 |
Preis | Fr. 33.90 (UVP) |
Manches lässt sich auch nicht lernen aus der entfernteren Vergangenheit. Ein Smartphone zu bedienen, beispielsweise, oder sich eine Gesichtsmaske so zurechtzubiegen, dass die Brille nicht beschlägt. Oder Crowdfunding. Obwohl: Crowdfunding eben doch, wie uns Annette Kehnel in ihrem kurzweiligen Buch beweist. In hakenschlagender Entdeckungsreise führt sie uns durch die Weiten der Vormoderne, immer auf der Fährte von Modellen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, die uns zu ihrer Neuerfindung Inspiration sein können.
Neben der gemeinschaftlichen Finanzierung gemeinschaftsrelevanter Projekte zählen dazu ebenso Recycling, Mikrokredite, Minimalismus, Sharing Communities… All solche nachhaltigen Praktiken wurden schon lange Zeit mit grosser Selbstverständlichkeit geübt, bevor die Idee der Nachhaltigkeit überhaupt ausformuliert war. Um sie uns in Erinnerung zu rufen, bewegt sich die Kultur- und Wirtschaftshistorikerin von der Neuzeit bis zurück in die Antike, setzt dabei aber – als Inhaberin des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte der Universität Mannheim naheliegend – einen deutlichen Fokus auf das Mittelalter. Entsprechend verwendet sie besondere, tiefschürfende Sorgfalt auf die Beispiele aus dieser Epoche: Auf die urbanen Beginenhöfe Belgiens und der Niederlande, auf Pfandleihbanken für die Armen in Italien, Lumpensammlungen und Reparaturberufe quer durch Deutschland oder auf die nachhaltige Bodenseefischerei als einem anregenden Vorbild, wie der „Tragödie der Allmende“ ein Schnippchen zu schlagen ist. Insbesondere auch wir Schweizerinnen und Schweizer dürfen dabei über das ganze Buch hinweg erfahren, über wie viel Tradition die Motive des Teilens, des Gemeinsinns und der verantwortlichen Ressourcenverwaltung hierzulande eigentlich verfügen.
In ihrer historischen Perspektive reiht sich Annette Kehnel in die aufblühende Riege jener Mittelalterforschung, die sich bemüht, das Zeitalter aus den Zerrbildern seiner vermeintlichen „Dunkelheit“ ebenso herauszulösen wie aus seiner verbreiteten Romantisierung. Dieselbe Differenzierung lässt sie den Gegenständen ihrer Untersuchung angedeihen. Während es ihr zwar sehr offensichtlich angelegen ist, uns die Motivationen, Innovationen und Methoden der historischen Langfrist-Wirtschaft als Inspirationen zur Nachhaltigkeit nahezubringen, lässt sie sich davon nicht hindern, auch ihre Mängel und spezifischen Vorbedingungen in ihrem geschichtlichen Kontext gewissenhaft auszuforschen.
Überhaupt geht es der Autorin nicht darum, mit alledem einer simplifizierenden „Zurück-zu-den-Wurzeln“-Nostalgie das Wort zu reden oder uns die altvorderen Modelle zur unreflektierten Übernahme zu empfehlen. Wiederholt macht Annette Kehnel darauf aufmerksam, dass keine Vergangenheit massgeschneiderte Lösungen für die veränderten Ansprüche unserer Zukunft bereithält. Was sie stattdessen betreibt, ist die Ausweitung des Vorstellungshorizonts: Hinaus aus der chauvinistischen Erzählung, unser auf kurzfristige Gewinnmaximierung angelegte Kapitalismus wäre das einzige jemals funktionierende Wirtschaftsmodell, und hinein in ein Weltbild, das dem menschlichen Gemeinsinn wieder etwas zutraut. Da ist es ganz egal, dass die Geschichte natürlich auch an den Gegenbeispielen einer ausbeuterischen Ressourcennutzung einiges bereithält: Sie führt uns fasslich und unterhaltsam vor, dass wir dazu nicht verdammt sind. Ihr Buch bewährt sich als ein gewichtiges Argument gegen all die vermeintlichen „Alternativlosigkeiten“ unserer Gegenwart und als energische Ermutigung zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft.
Kommentare (0) anzeigenausblenden