Ein Interview über biologisch abbaubare Sensoren
Im Gespräch mit Fabian Wiesemüller erfahren wir viel Wissenswertes über seine Forschung und die Relevanz biologisch abbaubarer Elektronik.
Immer wieder gehen spektakuläre Neuentwicklungen von Umwelttechnologien durch die Presse, um gleich danach wieder aus der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verschwinden. So letzthin auch die Ankündigung eines biologisch abbaubaren Sensors, der breitflächige Messungen der pH-Werte von Waldböden vornehmen kann, um damit eine Beurteilung der darauf einwirkenden Umwelteinflüsse zu ermöglichen.
Wir wollten es für einmal genauer wissen und sprachen mit Empa-Forscher Fabian Wiesemüller, der im Rahmen seiner Doktorarbeit und mithilfe des Teams des „Sustainability Robotics“ Labors den sogenannten Bio-Gleiter entworfen hat. Es ergab sich ein spannendes Gespräch mit aufschlussreichen Einblicken in die aktuellen Herausforderungen und Möglichkeiten der Umweltforschung – und Ausblicken darauf, was da zukünftig noch möglich werden wird.
Was war die Motivation hinter Ihrem Doktorprojekt?
In meinem PhD geht es darum, biologisch abbaubare Roboter zu entwickeln, die man dazu nutzt, um Umwelteinflüsse zu testen, Proben zu nehmen oder Sensoren zu verteilen.
Warum ist dies wichtig?
Für Messungen im Amazonas beispielsweise werden Sensoren benutzt, die für eine einmalige Anwendung hergestellt werden und danach für immer existieren. Bestehen sie aus Plastik oder benötigen sie Batterien, muss man solche Sensoren anschliessend auch wieder entfernen. Um sie in der Höhe anbringen zu können, muss man sich teilweise auch von Bäumen abseilen. Für ein solches Forschungsprojekt benötigt man ausserdem ein ganzes Team von Biologen. Dementsprechend sind solche Messungen mit sehr viel Gefahren und Aufwand verbunden.
Mit Robotern liessen sich Teile dieser Arbeit automatisieren. Drohnen könnten Sensoren auf einer beliebigen Baumhöhe anbringen. Die Sensoren sind dann aber immer noch mit Batterien und einem GPS-Modul bestückt – alles Komponenten, die nicht unbedingt umweltverträglich sind und daher wieder zurückgeholt werden müssen (manuell oder mit Drohnen).
Der nächste logische Schritt ist daher, darüber nachzudenken, wie man diese Systeme biologisch abbaubar machen kann. Dazu muss eine Möglichkeit gefunden werden, sich die von den Sensoren gemessenen Daten zu beschaffen, ohne dass der Sensor selbst zurückgeholt werden muss.
Die Motivation hinter diesem Projekt ist also: Effiziente, kosten- und zeitsparende Roboter-Technologie, die noch dazu biologisch abbaubar ist und dadurch gleich noch einen kleineren ökologischen Fussbadruck hat.
Wofür wurde der Bio-Gleiter spezifisch erfunden?
Primär geht es darum, dass wir den pH-Wert von Regenwasser messen wollen, womit Aussagen über den Zustand eines Ökosystems gemacht werden können.
Wie genau funktioniert das?
Die Gleiter werden mit einer Drohne auf dem Gebiet verteilt, auf dem man Messungen vornehmen möchte. Dann wird gewartet, bis es regnet. Trifft das Wasser auf den Sensor des Gleiters, der aus Färberflechte (Lackmus) besteht, verändert dieser seine Farbe. Anhand dieser Farbänderung können wir den pH-Wert bzw. den Säuregehalt der Regentropfen ablesen. Anschliessend fliegt man mit der Drohne zurück und liest die Farben der Sensoren ab. Daraus lassen sich dann Datensätze erstellen.
Die Vision wäre schliesslich, dass das irgendwann völlig autonom stattfindet. Wir müssten also nur auf einen Knopf drücken und ein «Schwarm Drohnen» würde die Daten zurückholen. Da man weiss, wo Drohnen die Gleiter abgeworfen haben, könnte man anhand eines stochastischen Modells ungefähr abschätzen, in welchem Bereich sie sich am Waldboden befinden würden.
Wie ist der Aufbau eines Bio-Gleiters?
Die Bio-Gleiter sind einer Java-Gurke nachempfunden, die ihre Samen vom Wind verbreiten lässt. Der aerodynamische Aufbau erlaubt es den Gleitern, möglichst lange in der Luft zu bleiben. Je weiter die Gleiter segeln, desto mehr Daten lassen sich sammeln.
Könnten die Messungen nicht direkt mit Drohnen getätigt werden?
Das wäre viel zu wenig effizient. Die Gleiter nutzen die potenzielle Energie, die sie durch ihre Höhe erhalten, um möglichst weit zu gleiten. Das heisst, mit den Gleitern lässt sich ein viel grösserer Bereich abdecken als es mit einer Drohne möglich wäre. Zusätzlich müsste man mit der Drohne während des Regens vor Ort sein. Das ist relativ schwierig, weil sie zu einem grossen Teil aus Elektronik besteht und nicht unbedingt wasserdicht ist. Zudem müsste das Timing recht präzise sein. Bei einer herkömmlichen Drohne müssten wir den richtigen Moment abpassen, um auch wirklich mit dem Regen vor Ort in Kontakt zu kommen. Die Gleiter können stattdessen einfach vor dem Regen verteilt werden und man wartet bis der Regen mit ihnen reagiert.
Werden von einer Drohne mehrere Gleiter gleichzeitig losgeschickt?
In unseren Versuchen waren es ein bis zwei Gleiter. Die Idee wäre aber, dass man eine grosse Anzahl dieser Gleiter gleichzeitig abwerfen kann. Ein Gleiter wiegt 1.5 Gramm und die Drohne, die wir genutzt haben, kann mindestens 1.5 Kilogramm heben. Theoretisch könnte man also mit einer einzigen Drohne über 100 Gleiter mitnehmen.
Aus welcher Höhe werden die Bio-Gleiter losgeschickt?
Es kommt auf den Zweck an, aber prinzipiell ist man da eigentlich unlimitiert. Je höher die Gleiter abgeworfen werden, desto weiter fliegen sie natürlich auch. Am sinnvollsten wird es meist sein, mit der Drohne ungefähr 10m über den Baumwipfeln zu fliegen und die Gleiter dort abzuwerfen.
Besonders am Bio-Gleiter ist ja vor allem auch, dass er im Gegensatz zu anderen Sensorenträgern komplett biologisch abbaubar ist. Warum ist es so schwierig, kompostierbare Technik zu entwickeln?
Je mehr Intelligenz man auf das System bringt, desto weniger wahrscheinlich ist am Ende, dass alles biologisch abbaubar bleibt. Und umgekehrt. Für uns war die Ambition, dass alles komplett kompostierbar sein soll. Dass man eben nicht noch irgendetwas zurückholen muss nach einer Messung. Darum hat unser Bio-Gleiter auch keine Antenne, kein GPS oder sonst irgendwelche aktiven Sensoren.
Aus welchen Materialien bestehen die Gleiter, damit dies überhaupt bewerkstelligt werden kann?
Der Flügel wird aus (Kartoffel-)Stärkepapier hergestellt. Wenn ein Gleiter einmal am Waldboden zu liegen kommt, wird der Flügel relativ schnell abgebaut, sodass nach einer Woche bereits nichts mehr von ihm zurückbleibt. Für das Trägermaterial wird eine gewisse Steifheit benötigt, weshalb dieses aus dickerer Zellulose besteht. Zellulose braucht etwas länger, um vollständig zu degradieren. Bei beschleunigten Abbautests, bei denen wir den Träger vollständig in die Erde eingegraben haben, hat dies bis zu 70 Tage gedauert. Das Sensormaterial benötigt 2-3 Wochen, bis er komplett verschwunden ist. Er ist wasserlöslich, wird also nach einiger Zeit weggewaschen.
Das Kompostieren des Bio-Gleiters funktioniert ähnlich wie zu Hause. Gezeiten und die Mikroorganismen tun ihren Teil, bis schliesslich alle Bestandteile in Erde umgewandelt sind. Schädliche Rückstände, die den Wald beeinflussen könnten, bleiben natürlich keine zurück.
Warum ist es wichtig, dass der Sensor bis zu seinem Einsatz geschützt ist?
Im Labor zum Beispiel soll sich die Farbe des Sensors noch nicht mit der Luftfeuchtigkeit ändern. Wir haben also versucht, den Sensor von den normalen Bedingungen der Atmosphäre abzukapseln. Eine Schutzschicht war also nötig, die nur dann aktiviert wird und den Sensor freigibt, wenn die Feuchtigkeit sehr hoch ist bzw. wenn wir Regen erwarten.
Woraus besteht die Schutzschicht und wie funktioniert sie?
Die Schutzschicht besteht aus sogenannten Zellulose Nano-Fibres, also sehr fein gemahlenen Zellulosefasern, gemixt mit Gelatine. Wie man das auch aus der Küche kennt, ist Gelatine sehr feuchtereaktiv und schwillt also an, wenn sie mit Wasser in Kontakt kommt.
Regnet es, biegt sich die Schutzschicht auf wie eine blühende Blume und gibt dann den Sensor frei.
Der jetzige Bio-Gleiter ist ja nur der Anfang. Wie könnte dieser Prototyp in Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen?
Prinzipiell ist der Bereich «Transient Electronics», also biologisch abbaubare Elektronik relativ spannend, weil es zurzeit sehr viel Bewegung gibt in diesem Sektor. Ein Gedanke wäre sicherlich, dass man auch andere Sensoren auf so einem Gleiter anbringen könnte. Momentan messen wir nur den pH-Wert, aber andere Parameter wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit liessen sich auf einer ähnlichen Plattform ebenfalls anbringen. Solche Messungen könnten alle auf demselben Gleiter stattfinden oder auf spezialisierten Gleitern mit verschiedenen Sensoren. Von den 100 Gleitern, die man dann von einer Drohne losschickt würden dann vielleicht 50 Stück für die pH-Messung eingesetzt und weitere 50 für die Temperaturmessung.
Gibt es bereits Projekte, in denen die Bio-Gleiter künftig eingesetzt werden sollen?
Konkret ist noch nichts geplant, aber wir sind im ständigen Austausch mit Biologen, für deren Projekte wir unser System im Feld testen wollen. Die Tests ermöglichen uns, noch bessere Modelle zu entwickeln, die dazu genutzt werden können, den Umweltschutz besser, effizienter und intelligenter zu machen. Beispielsweise wie Waldstücke besser genutzt werden können, um mehr CO2 zu speichern. Wir beschäftigen uns also mit Dingen, von denen die Gesellschaft schliesslich profitieren könnte.
Wir danken Ihnen für dieses aufschlussreiche und spannende Gespräch!
Wiesemüller, F. et al. (2022): Transient bio-inspired gliders with embodied humidity responsive actuators for environmental sensing
EMPA
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