Buch "Bitch"
In ihrem neuen Buch wirft Lucy Cooke einen wissenschaftlich fundierten, aber ungemein unterhaltsamen Blick auf die weibliche Geschlechterrolle und Sexualität im Tierreich.
Der Blick auf die Geschlechterrollen im Tierreich ist geprägt von patriarchalen Vorurteilen. Die Vorstellung des weiblichen als des passiven, des selbstlosen, des keuschen (sprich; des uninteressanteren) Geschlechts fusst weniger auf ergebnisoffener Beobachtung als auf der Interpretationsleistung naturforschender Männer, die dann beispielsweise den männermordenden Kannibalismus so mancher Spinnendame als Anomalie abtaten… Oder so behauptet es zumindest Lucy Cooke: Zum Nachweis, dass hier vornehmlich gesellschaftliche Stereotypen reproduziert werden, unternimmt die weitgereiste Zoologin einen faszinierenden, beglückend humorvollen Streifzug durch die Tierwelt und die Wissenschaftsgeschichte. Unterwegs gewinnt sie keineswegs nur eine feministische Leserschaft für ihr Anliegen, hier den Horizont fruchtbar zu weiten.
Wobei natürlich schon das Schema einer rein binären Geschlechtlichkeit und Sexualität in der Tierwelt gewohnheitsmässig über den Haufen geworfen wird. Dass wir es da mit keiner festgefügten Polarität, sondern eben einem Spektrum voller Zwischentöne und Wandlungen zu tun haben, macht uns Lucy Cooke deshalb gleich im Einstieg in ihr Buch klar. Naturwissenschaftlich präzise, aber munter plaudernd führt sie uns dann tiefer hinein in die verblüffende Wunderwelt der Genitalien, Machtverhältnisse und Brutgewohnheiten. Wir treffen auf fremdgehende Vögel, weise Walweibchen und jungfräuliche Gecko-Mütter, auf mörderische Matriarchinnen und mutige Kriegerinnen. Kein Gemeinplatz, keine Schmähung, kein Ideal der Weiblichkeit bleibt unangetastet, während uns die Autorin an der Seite von Forscherinnen und Forschern rund um die Welt den Einblick in die schiere evolutionäre Vielfalt der Geschlechterrollen eröffnet. Allerorten wird deutlich, dass sich die Natur nicht nur nicht um unsere liebgewonnenen Schablonen schert, sondern dass allzu oft schon unsere Sprache und Vorstellungskraft versagt, die Diversität adäquat zu fassen.
Nun ist es immer problematisch, eine Veränderung oder Zementierung unserer gesellschaftlichen Umstände mit Beispielen aus dem Tierreich zu begründen. Wir Menschen sind ebenso einzigartig wie jede andere Spezies; ein Vergleich lässt sich nicht unbedenklich ziehen. Ganz mag sich die Autorin dieser naturalistischen Versuchung nicht verweigern, wenn sie beispielsweise Inspiration aus den Lebensentwürfen des Anemonenfischs oder der Menschenaffen bezieht. Doch derweil hier dem feministischen Schwung etwas Vorsicht anzuraten ist, bewährt er sich andernorts vortrefflich. Lucy Cooke kann nicht nur die sexistische Verzerrung unseres Naturbildes nutzbringend demonstrieren. Sie demontiert die Behauptung einer naturgegebenen, allgegenwärtigen Geschlechterprägung genüsslich und tiefgreifend. Das öffnet den Weg für neue Gedankengänge und Erkenntnisse: Ein Adelsschlag für jede wissenschaftliche Publikation. Umso mehr für eine derart unterhaltsame.
Autor | Lucy Cook |
Verlag | Malik (Piper) |
Umfang | 429 Seiten |
ISBN | 978-3-89029-582-4 |
Preis | Fr. 29.90 (UVP) |
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