Buch "Die Reise der Wale"

Achtung. Dieses Buch könnte Karrieren aus dem Tritt bringen oder Heranwachsende weiter als üblich aus dem elterlichen Haushalt hinauslocken. Die ohnehin schon weit verbreitete Begeisterung für Wale und Delfine verbindet Leigh Calvez mit derart atmosphärischen Schilderungen ihrer Begegnungen mit den Meeressäugern, dass die Sehnsucht, ihrer Spur hinaus auf die Weltmeere zu folgen, als ein Resultat der Lektüre vorausgesetzt werden kann. Für all jene, die dennoch zu Hause bleiben, weckt sie dann desgleichen die innige Verbundenheit und Empathie mit den faszinierenden Tieren.

Es sei kein Lehrbuch, das sie uns hier vorlege, stellt Leigh Calvez schon im Vorspann ihres Erlebnisberichtes klar. Dem würden wir zwar prinzipiell beistimmen, aber die frühere Walforscherin und heutige Erfolgsautorin webt doch so viel Wissen in ihre Texte, dass ein Lerneffekt auf keinen Fall ausbleibt. Darunter ist so manches Wissen, das man in den meisten Lehrbüchern nur schwer finden wird, da es allein der persönlichen Beobachtung und Vertrautheit mit den Giganten der Weltmeere entspringen kann. So beispielsweise jene verblüffende Beschreibung, was sich bei der Nahrungsaufnahme eines Blauwals so alles abspielt, oder die berührende Erzählung der Wiedereingliederung einer Orca-Waisen in die Walgemeinschaft. Während die Autorin vornehmlich zu Buckelwalen forschte, gibt sie in ihrem Buch weit breiteren Einblick. Neben den genannten Blauwalen und Orcas tummeln sich da Grau- und Schwertwale ebenso wie Delfine und so manche weitere Vertreter des Meereslebens. Da bleibt es dann natürlich nicht aus, dass sie auf die Ursachen der Gefährdung der Wale – vornehmlich des Unterwasserlärms, aber auch der Vergiftung durch Umwelttoxine und die Bejagung – sensibilisierend zu sprechen kommt. Das hält sich indessen delikat die Waage mit ihrer vordringlichen Absicht, uns die intelligenten Meeressäuger in gewinnend persönlicher, nahbarer Manier ans Herz zu legen.

Wir selbst hätten zwar wahrscheinlich die eine oder andere Verhaltensweise der Wale zurückhaltender interpretiert als Leigh Calvez, die deren fremde Lebens- und Erfahrungswelt doch recht nah an die unsere heranrückt. Doch wer sind wir, ihr ihre Erlebnisse der Nähe abzusprechen: Zumal sie diese dann auch klar als ihre Deutungen kenntlich macht und es ihr dabei ganz vorzüglich gelingt, uns für die Bedürfnisse und den berückenden Zauber der Meeresriesen empfänglich zu machen. Nicht zuletzt weckt sie mit ihrem Buch die beglückende Erkenntnis, was es in unserer oft als so eng empfundenen Welt noch alles zu entdecken gilt: Wenden wir uns nur einmal von unserer Menschenwelt ab und der weiteren, überwältigenden Lebensvielfalt zu.