Der Vogel mit Panoramablick
Die heimische Waldschnepfe steht auf der Roten Liste. Dennoch darf in der Schweiz auf den Vogel Jagd gemacht werden.

Unsere einheimische Waldschnepfe steht auf der Roten Liste der Schweiz. Seit 1990 haben die landesweiten Bestände um mehr als 30 Prozent abgenommen. Dieser Vogel lebt in eher feuchten und ausgedehnten Wäldern, wobei die Wälder und damit auch die Brutpopulation zunehmend gefährdet sind. Gefahr droht ihr durch zunehmende Lichtverschmutzung und intensivierte Land- sowie Forstwirtschaft. Dennoch ist die Jagd auf die Waldschnepfe in der Schweiz erlaubt. Die Jagdsaison wird durch eine bestimmte, von den Kantonen vorgegebene Schonzeit beschränkt.
Über die Waldschnepfe (Scolopax rusticola)
Mit Anbruch der Dämmerung spannt die Waldschnepfe ihre Flügel und fliegt «quorrend und puitzend» davon. Die Vögel sind überwiegend Kurzstreckenzieher. Ausgewachsen liegt ihre Spannweite zwischen 56 und 65 Zentimeter. Durch ihren langen, dünnen Schnabel, den sie gekonnt für ihren Nahrungserwerb (Insekten, Würmer) einsetzt, ist die etwa taubengrosse (33 bis 35 Zentimeter Länge) Schnepfe am Abendhimmel deutlich zu erkennen.
Im Wald ist die Waldschnepfe durch ihr wie Falllaub gefärbtes Gefieder getarnt – Weibchen und Männchen sehen gleich aus. Solche Tarnung ist überlebenswichtig, denn der Brutort dieses Dämmerungsvogels befindet sich am Waldboden. Einmal pro Jahr brüten sie. In den Nestern sind meist drei bis vier Eier vorzufinden. Die Nestlingsdauer beträgt zwischen 15 und 20 Tagen. Gemäss EURING wurde die älteste Waldschnepfe 15 Jahre und 6 Monate alt.
Doch nicht nur ihr Gefieder schützt sie, auch ihr unglaublich grosses Sehfeld erlaubt es ihr, ihre Feinde in der Luft und am Boden frühzeitig zu sichten.
Einen Panoramablick von nahezu 360 Grad
Unter den Vögeln besitzt die Waldschnepfe das grösste Sehfeld von beinahe 360 Grad. Zu verdanken hat sie dies der Lage ihrer Augen – seitlich, weit oben am Schädel platziert. Dabei sieht sie jedoch nicht nur auf horizontaler Ebene praktisch alles, sondern auch vertikal erblickt sie ihr Umfeld über einen Winkel von etwa 190 Grad. Anders gesagt: Sie sieht alles, was vor, hinter und über ihrem Kopf passiert. Blinde Flecken oder tote Winkel gibt es kaum.
Allerdings kommt dieser Panoramablick auch mit einem Nachteil: Das binokulare Sehen wird benachteiligt. Die binokulare Sicht beschreibt das beidäugige Sehen durch die motorische und sensorische Koordination der beiden Augen. Es ist für das dreidimensionale Sehen und damit für die Tiefenwahrnehmung notwendig. Das rechte und linke Sehfeld der Waldschnepfe überschneiden sich jedoch kaum – sie überlappen sich nur auf ca. fünf Grad. Das stellt für sie jedoch kein grosses Problem dar, da sie ihre Augen primär braucht, um Feinde vorzeitig zu sichten. Ihre Nahrung ertastet sie mit dem Schnabel, der chemische Reize wahrnimmt – er kann also schmecken.
Jagd auf die Waldschnepfe
Jährlich werden in der Schweiz zwischen 1600 und 2500 Waldschnepfen (einheimische einschliesslich Zugvögel) gejagt, obwohl diese Vogelart auf der Roten Liste der Schweiz steht und als verletzlich (VU) gilt. Zu bemerken ist, dass die Waldschnepfe nur in der Schweiz gefährdet ist. Europaweit gibt es rund 12 bis 18 Millionen dieser Brutvögel. Der Schweizer Bestand beträgt 1000 bis 4000 männliche Tiere.
Lange Zeit war es in der Schweiz weitgehend unklar, wie die Jagd den Rückgang der Waldschnepfe mitbeeinflusst. Eine umfangreiche Studie im Auftrag des BAFU (2021) zeigt, dass – je nach Definition – zwischen 14 und 33 Prozent der erlegten Schnepfen einheimisch sind. Es könnten jedoch auch mehr sein; durch die Isotopenanalyse kann die Herkunft nur ungefähr ermittelt werden. Bei 19 Prozent der untersuchten Tiere sei daher unklar, ob sie aus der Schweiz oder dem nahen Ausland stammen.
67 Prozent der in der Schweiz erlegten Waldschnepfen stammen aus dem Osten oder Norden – dort sind sie nicht bedroht.
Die meisten Schnepfen werden im Kanton Tessin erlegt (85 Prozent), der Anteil der Migranten aus dem Norden oder Osten liegt hier über 70 Prozent. Dennoch zeigt die BAFU-Studie, dass die meisten einheimischen Brutvögel zwischen dem 21. Oktober und dem 20. November in ihr Winterquartier reisen – also mitten in der Jagdsaison. Wird die Jagd also nicht ganz verboten, ist es zumindest nötig, die Jagdperiode zu verschieben und damit auch die Jagdzeit zu verkürzen. Denn mit einer um einen Monat verlängerten Schonzeit könnte die Anzahl der jährlich erlegten Tiere um 10 Prozent sinken. Ausserdem empfahl das Projekt, eine maximale Abschussquote pro Jäger zu definieren. Auch die Einrichtung von kantonalen Schutzgebieten könnte der heimischen Brutpopulation noch etwas mehr Schutz bieten.
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