Geht es Schweizer Wölfen zu gut?
Aktuell floriert zwar die Wolfspopulation, dafür geht es den Nutztierbauern – insbesondere den Schafbauern – an den Kragen. Für die Wölfe sind ungeschützte Schafe eine leichte Beute.

Die Debatte um den Wolf war schon immer gross. Zurzeit geht es den Raubtieren in der Schweiz wieder gut und sie vermehren sich rasch. Die Beute ist leicht, natürliche Feinde haben sie kaum. Ein Fluch für alle Nutztierbauern. Sie wollen die Wölfe loswerden – am besten sofort.
Wölfe in der Schweiz
Früher war der Wolf in der ganzen Schweiz verbreitet. Doch mit dem Aufkommen von Schusswaffen wurde seine natürliche Beute immer knapper. So war er auf andere Nahrung angewiesen. Er fand sie bei den Nutztieren. Die Bauern wehrten sich, woraufhin der Wolf bereits im 17. Jahrhundert aus dem Mittelland in die Alpen verdrängt wurde. Damit war seine Bejagung jedoch noch nicht zu Ende.
Gegen Ende des 19. Jahrhundert verschwand der Wolf schliesslich als Standwild – ein Tier, das sich ständig im gleichen Revier aufhält – in der Schweiz. Nur vereinzelt konnte man ihn weiterhin als Besucher aus Nachbarländern beobachtet. Vier von diesen wurden hierzulande erlegt.
Gegen Ende des 20 Jh. liess sich der Wolf wieder in der Schweiz nieder. Bis 2020 gab es laut Angaben des Bundes 11 Wolfsrudel mit etwas mehr als 100 Tieren. Bis heute soll sich der Bestand verdreifacht haben: Aktuell wurden 32 Rudel und insgesamt rund 300 Wölfe nachgewiesen. Mit dem exponentiellen Wachstum der Wolfspopulation hat sich auch die Anzahl der gerissenen Nutztiere erhöht. Im Jahr 2019 rissen Wölfe 446 Nutztiere. Drei Jahre später wurden 1480 Risse gezählt.
Eine Pressemitteilung der Gruppe Wolf Schweiz (GWS) vom Juni 2023 teilte jedoch mit, dass in der ersten Jahreshälfte massiv weniger Nutztiere gerissen wurden als in derselben Periode im Vorjahr. In den am stärksten vom Wolf besiedelten Kantonen Wallis waren es 55 Prozent weniger, in Graubünden sogar 80 Prozent. Der Herdenschutz zeigt also Wirkung.
Herdenschutz
Mit Herdenschutz ist in der Schweiz der Schutz von Nutztierherden mittels zweier verschiedener Methoden gemeint: Den Einsatz von anerkannten Herdenschutzhunden sowie von elektrifizierten Zäunen.
Herdenhunde leben ausschliesslich in Nutztierherden und werden für ihren Schutz ausgebildet. Ein offizieller Herdenschutzhund mit erfolgreich absolvierter Einsatzbereitschaftsprüfung kostet 1'200 CHF. Der Bund unterstützt die Haltung dieser Hunde mit einem jährlichen Beitrag von ebenfalls 1'200 CHF. Es kann noch ein zusätzlicher Beitrag abgegolten werden, wobei sich seine Höhe nach dem Weidesystem der Nutztiere unterscheidet.
Weiter entschädigt das BAFU 80 Prozent der Materialkosten für Zaunmaterial beim Einsatz von Herdenschutzhunden – sofern dies mit dem Kanton abgesprochen wurde. Die Auszäunung soll potenzielle Konflikte zwischen den Hunden und den Wanderern, Bikern etc. minimieren.
Elektrifizierte Zäune dienen als weiteren Schutz gegen Wolfsangriffe, denn Wölfe springen nur ungern über Zäune und Netze. Bei der Installation muss aber beachtet werden, dass ein Durchschlupf am Boden verunmöglicht wird.
Nicht alle Alpen verfügen über geeignete Bedingungen für den Herdenschutz. Ein Bericht zur Schafalpplanung im Wallis zeigt, dass 38 der 152 erfassten Schafalpen als „nicht schützbar“ gelten. Das Gelände ist dort zu felsig oder zu steil. Die restlichen Alpen erfüllen laut Bericht die Voraussetzungen mit oder sogar ohne strukturelle Veränderungen.
Forschung: Herdenschutz mit Duftabwehr
Zwei Schweizer Forschende testen derzeit eine Idee, wie der Herdenschutz verbessert werden könnte: In ein Kästchen am Halsband sollen künstlich hergestellte Duftstoffe von Wölfen an Schafen befestiget werden. Wölfe markieren ihr Revier durch Pheromone – wie andere Tiere auch. Dieser Duft soll die Wölfe dann fernhalten. Die Schafe fühlen sich durch die Wolfspheromone am Hals nicht gestresst.
Dabei besteht natürlich das Risiko, dass die Wölfe merken, dass die Gerüche künstlich hergestellt und damit ungefährlich sind. Zudem kann noch nicht gesagt werden, ob es überhaupt eine Wirkung zeigt. Der Langzeiteffekt auf die Wölfe muss noch erforscht werden.
Bringt der Herdenschutz etwas?
Für Pro Natura ist ein Ausbau des Herdenschutzes die Lösung. Diverse Studien – etwa eine Studie der KORA in Zusammenarbeit mit AGRIDEA – berichten zudem, dass der (Schweizer) Herdenschutz seine Wirkung zeigt. Trotzdem meint der Bundesrat, dass eine präventive Rudel-Regulierung auf Grund des exponentiellen Wachstums der Wolfsbestände dringend notwendig sei. Dazu zeigt die Studie von KORA, dass sich das Abschiessen von vereinzelten Wölfen in der Vergangenheit als eine kurz- bis mittelfristig wirksame Massnahme erwiesen hat. Ihre Stichproben waren jedoch sehr gering.
Präventiver Wolfsabschuss wird künftig gestattet
Am 1. November 2023 setzte der Bundesrat die präventive Rudelregulierung in Kraft. Dabei wird es ab dem 1. Dezember erlaubt sein, dass Wölfe auch abgeschossen werden, bevor sie Schaden angerichtet haben. Es dürfen sogar ganze Wolfsrudel in „begründeten Fällen“ beseitigt werden, wobei in grossen Regionen mindestens drei Rudel und in kleinen Regionen zwei erhalten bleiben müssen. Der Bundesrat hofft, dass die Wölfe durch diese präventive Regulierung wieder scheuer werden.
Die Rudel-Regulierung zusammen mit der restlichen Umsetzung des neuen Jagdgesetzes für das nächste Frühjahr werden nun vom Bundesrat in Vernehmlassung gegeben. Das gesamte Paket soll am 1. Februar 2025 in Kraft treten.
Naturschutzorganisationen kritisieren den Entscheid des Bundesrats. David Gerke von der Gruppe Wolf Schweiz meint, dass der Beschluss „willkürlich und faktenfrei“ sei, denn der Wolfsbestand solle quasi mit einer Tabelle bestimmt werden und nicht anhand des tatsächlichen Schadenpotenzials. Ausserdem befürchtet er, bei voller Ausnutzung der Vorgaben werde der Wolf zumindest lokal ausgerottet.
Die Wirksamkeit des präventiven Wolfsabschusses steht insgesamt in Frage. Die Studien zeigen an, dass die natürliche Steuerungsgrösse für Wolfspopulationen die Biomasse von Beutetieren – primär des Schalenwilds – im Territorium sei. Eine Bejagung des Wolfs, ohne an der Beutetierdichte etwas zu ändern, könne daher als Symptombekämpfung betrachtet werden. Im Gegensatz dazu führten die nicht-tödlichen Methoden der Vergrämung (akustische Signale, Herdenschutzhunde, Gummischrot usw.) beim lernfähigen Wolf zu nachhaltigeren Verhaltensänderungen als der Abschuss.
BAFU: Wolf: Bundesrat setzt präventive Rudelregulierung in Kraft
GWS: Herdenschutz ist erfolgreich
Herdenschutz
SRF: Idee zum Herdenschutz - Wenn das Schaf nach Wolf riecht
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