Rework – Ein Interview über die Chancen des Upcycling
Was steckt hinter dem Upcycling-Konzept? Was ist der Unterschied zum Recycling und wo liegen die Chancen? Um solche und weitere Fragen zu klären, haben wir uns mit Kaspar Schlaeppi, Gründer und Co-Geschäftsführer von Rework im Laden in der Berner Altstadt getroffen.
Wann wurde Rework gegründet und was war die Motivation dahinter?
Ursprünglich gestartet haben wir vor 30 Jahren als kleiner Secondhand-Laden in einem Berner Kellerlokal, aus welchem mit Fizzen anschliessend ein etabliertes Kleiderunternehmen entstand. Mit dem Designkonzept vom Upcycling arbeiten wir schon lange – ganz am Anfang gab es noch nicht einmal ein Wort dafür. Als wir den Eindruck gewonnen hatten, dass das Interesse der Leute zunimmt, wollten wir unserer Idee eine eigene Plattform geben. Als eigenständige Firma wurde Rework 2019 gegründet.
Eigene Läden eignen sich unserer Meinung nach am besten dafür, dass sich Leute vermehrt Gedanken über das Upcycling zu machen. Ein wichtiger Teil dieser Strategie ist hierbei sicher auch, dass man dem Laden nicht sofort anmerkt, dass er Second Hand ist. Man will damit auch Leute abholen, die sich nicht sowieso schon mit diesem Thema auseinandersetzen.
Wieso haben Sie sich dazu entschieden, Altkleider in ihren Ateliers in Bangkok und Indien zu verarbeiten?
Schon im Fizzen-Laden hatten wir Second Hand-Kleider. In diesem Zusammenhang sind wir mit den internationalen Altkleidermärkten in Kontakt gekommen. Wir haben bald einmal erkannt, dass die Qualität der Kleider immer mehr abnimmt. Wertvolle Sachen sind eigentlich kaum mehr zu finden. So haben wir angefangen, uns nicht mehr auf Einzelstücke mit Wiederverkaufswert zu konzentrieren, sondern vermehrt auf das Material der Altkleider. Die Sortierwerke, die diese Altkleider aussortieren, waren früher vor allem in Europa und den USA lokalisiert. Heute befinden sie sich meist in Tieflohnländern, wo wir uns dementsprechend ebenfalls niedergelassen haben.
Der Hauptgrund, warum wir in Bangkok und Indien nähen, ist, dass die Kleider schon dort sind. In unserem Fall werden die Kleider im internationalen Altkleidermarkt aussortiert, um sie nachher weiterzuverkaufen. Am Anfang steht ja immer eine karitative oder halb-karitative Organisation wie beispielsweise TexAid, die die Kleidersammlung durchführt. Danach werden die Altkleider aussortiert und weiterverkauft Die Kleidermassen sind riesig und die Logistik ist anspruchsvoll. Diese Kleider gehen nicht an Bedürftige, der karitative Aspekt findet durch den Weiterverkauf statt: Das erhaltene Geld wird wohltätigen Zwecken zur Verfügung gestellt. Ab diesem Zeitpunkt verläuft das Ganze rein kommerziell. TexAid wird teilweise kritisiert, weil der Öffentlichkeit die Durchmischung von karitativen und gewinnorientierten Zwecken unklar sind. Aber irgendjemand muss sich um die Logistik der Altkleider kümmern. Und wenn wir ehrlich sind, wollen 90 Prozent der Leute, die Altkleider entsorgen, keine Spende machen. Sie sind einfach froh, dass sie für die Entsorgung keine Abfallgebühr verrichten müssen.
In unserem Fall landen die Altkleider in einer riesigen Lagerhalle in Indien mit Hunderten von Leuten, die diese aussortieren. Etwa die Hälfte davon hat einen Wiederverkaufswert und wird beispielsweise an Länder in Afrika weiterverkauft. Putzlumpen oder ähnliches werden für die Industrie weiterverwendet, und ein kleiner Teil muss entsorgt werden.
Was sind die Vor- und Nachteile der Verarbeitung in Asien?
Die Verarbeitung der Altkleider in Bangkok und Indien eignet sich natürlich vom Kostenaspekt her. Für uns bedeutet dies, dass wir die Möglichkeit haben, in einem Preissegment Kleider zu verkaufen, das sich alle leisten können. Für uns ist nämlich sehr wichtig, dass wir auch Junge und Leute ohne grosses Budget ansprechen können.
Der Nachteil der Produktion in Tieflohnländern liegt natürlich auf der Hand. Die Leute konfrontieren mich oft damit, ob die langen Transportwege denn überhaupt nachhaltig sein können. Interessant ist aber, dass die Transportwege überhaupt nicht stark ins Gewicht fallen, was die Emissionen betrifft. Eine schwedische Studie, die auch auf unserer Webseite zu finden ist, zeigt, dass der grösste Ressourcenverbrauch bei der Herstellung vom Material anfällt. Das Nähen selber benötigt weniger Ressourcen, da geht es hauptsächlich um etwas Elektrizität. Der Transport der grossen Textilienmasse auf kleinem Raum in einem Schiffscontainer fällt ebenfalls kaum ins Gewicht. Allerdings verbraucht das Individuum, das in die Shoppingmall fährt, erneut sehr viele Ressourcen. Diese Zusammenhänge sind jetzigen Zeitpunkt leider erst sehr wenigen Leuten bewusst.
Wie werden die Kleider bzw. Stoffe ausgewählt? Müssen diese gewissen Anforderungen genügen?
Es ist sicher schwieriger geworden, Kleider in guter Qualität zu finden. Weil aber die Masse riesengross ist, hat es noch lange genug für uns. Wir haben unser eigenes Team von 40 Leuten, die die Textilien aussuchen und nähen. Wir geben die Designvorlagen und sie machen die Muster. Nach der Prüfung dieser Muster geben wir bei ihnen eine Bestellung auf. Sie suchen dann so viel Material für dieses bestimmte Kleidungsstück, wie wir bestellt haben.
Wir wählen Sachen aus, die eine gewisse Langlebigkeit haben, damit man diese auch noch für eine längere Zeit im Kreislauf behalten kann. Anschliessend prüfen wir, welche Textilien geeignet sind, um daraus etwas Neues zu nähen. Natürlich orientieren wir uns dabei auch ein bisschen an den derzeitigen Modetrends. Wir wollen zwar bewusst nicht jede Woche einen neuen Style lancieren, aber gleichzeitig ist es schon unser Bedürfnis, dass die Kunden merken, dass unser Designteam auch die aktuellen Modeströmungen versteht.
Weiss man als Produzent, woher die Altkleider kommen?
Das ist tatsächlich einer der Nachteile. Wir wissen nicht, woher die Kleider kommen und auch die Materialzusammensetzung kennen wir oft nicht. Manche Kleider besitzen zwar Labels, aber man weiss ja auch nie, ob man diesen zu 100 Prozent vertrauen kann.
Wie ist es möglich, faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen?
Normalerweise arbeiten Firmen in der Textilienbranche mit sogenannten Partnerfabriken zusammen. Das bedeutet, dass man auf die Kontrolle der Partnerfabrik angewiesen ist. In unserem Fall gehören die Nähateliers zu unserer Firma und wir übernehmen selber die Verantwortung, was in der Modeindustrie ungewöhnlich ist. Mit unserem Modell ist es tatsächlich sehr gut möglich, faire Arbeitsbedingungen zu schaffen, weil es unsere eigenen Arbeitnehmer sind, die wir persönlich kennen. Wir sind es also, die ihre Löhne und Arbeitsbedingungen festlegen.
Inwiefern betreiben Sie Upcycling anstatt Recycling?
Grundsätzlich müssen auch rezyklierte Materialien wiederhergestellt werden, was zum Teil sehr hohe Emissionen erfordert. Beim Upcycling hingegen wird das Material so verwendet, wie es ist: Produziert wird nichts völlig anderes, wir schneiden nur daran herum.
Dass man jetzt vermehrt damit beginnt, etwas genauer hinzuschauen, finde ich sehr wertvoll. Und doch: Das ist ein Zusammenhang, der noch nicht so in den Köpfen der Leute angekommen ist. Lange sind Recycling und Upcycling unter dem gleichen Begriff gelaufen. Auch als wir damals gestartet sind, haben wir die Unterscheidung noch nicht gemacht. Als wir beispielsweise aus PET-Flaschen eine Tasche hergestellt haben, dachten wir zuerst, dass das eine tolle Idee sei. Allerdings wurde uns gesagt, dass es ja auch nicht so viel Sinn macht, weil man PET-Flaschen aus einem bereits funktionierenden Kreislauf herausholt. Ist die Tasche einmal kaputt, kann sie anschliessend nämlich nicht mehr zu PET-Flaschen gemacht werden. Wir haben also nach einem Ersatzmaterial gesucht, mit dem wir die Taschen herstellen könnten. Ganz neu haben wir jetzt damit begonnen, dafür Outdoorjacken aus Nylon-Stoff zu benutzen. Das Material ist noch so gut, dass die Leute kaum glauben können, dass es wirklich Second Hand ist.
Mittlerweile gibt es fünf Rework Läden und ein Second Chance-Laden in der Schweiz mit jeweils kleineren Nähateliers.
Im Second-Chance Laden in Biel haben wir wie in unseren grossen Läden das System vom direkten Wiederverkauf, wo man als Kunde Kleider bringen kann. Wir hängen ein Kleidungsstück für 2 Monate in den Laden. Wird es verkauft, erhält der Kunde danach Geld. Wenn es nicht verkauft wird, versuchen wir etwas daraus zu nähen – in dem Fall in der Schweiz. Die Ware, die wir von den Kunden erhalten, würden wir fürs nähen natürlich nicht ins Ausland schicken, das macht keinen Sinn. Längerfristig ist unser Ziel, einmal einen Drittel unserer Produkte in der Schweiz zu nähen. Zurzeit befinden wir uns da aber noch in den Anfängen.
Werden auf der Webseite alle Kleider, die in den Läden verkauft werden, präsentiert?
Nein, nur eine kleine Auswahl. Wir müssen jedes Teil einzeln abfotografieren, weil ja alles Einzelstücke sind. Wir können das nicht wie normale Webshops einmal fotografieren für 100 gleiche Teile und müssen darum einen sehr viel grösseren Aufwand betreiben. Der Webshop ist nicht die wichtigste Einnahmequelle; bei unserer Webseite geht es mehr darum, den Leuten zeigen zu können, was wir anbieten.
Wie ist es möglich, dass Sie Ihre Kleider als Unikate bewerben und gleichzeitig Kollektionen anbieten?
Das sieht man zum Beispiel bei den Fleece-Pullovern, das sind alles Unikate mit jeweils anderen Farben und anderer Materialbeschaffenheit. Zusammen ergeben sie aber eine Kollektion, die wie eine Einheit funktioniert und auch mit anderen Artikeln im Laden im Zusammenhang steht. Wenn sich ein Artikel gut verkauft, verwenden wir ein Schnittmuster auch mal über mehrere Saisons. Beispielsweise laufen die Cordjacken, die wir schon seit unserer Eröffnung im Jahr 2019 verkaufen, noch immer sehr gut.
Sind verschiedene Grössen erhältlich?
Ja. Im Unterschied zu Second Hand-Läden, wo Einzelteile verkauft werden und man immer auch ein bisschen Glück haben muss, dass einem etwas passt, können wir verschiedene Grössen anbieten. Das ist das, was wir besonders interessant finden. Es sind zwar Unikate, die aber ähnlich wie Artikel im konventionellen Kleidermarkt funktionieren.
Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial bei Ihrer Firma oder auch generell, um die Kreislaufwirtschaft im Textilbereich zu verbessern?
Konkret geht es für uns darum, dass wir die Produktionsmethoden weiter professionalisieren und verbessern, dass unsere Schnitte besser werden und wir auch ein breiteres Publikum – von jung bis alt – ansprechen können. Da gibt es noch sehr viel Potenzial. Ich denke, dass sich die Textilbranche derzeit sehr stark verändert. Interessant ist, dass wir die Kleider am Anfang so nähen mussten, dass nicht erkennbar war, dass ein Kleidungsstück upgecycled wurde. In den letzten Jahren hat sich das geändert und es ist zum Trend geworden, dass die Leute nun zeigen wollen, dass sie upgecycelte Ware tragen.
In Zukunft wird das Fast Fashion-Modell „immer billiger, immer schneller“ durch die Gesetzgebung wahrscheinlich irgendwann zurückgebunden werden. Die Materialien werden sich massiv ändern und auch die grossen Kleidermarken werden immer mehr nachhaltige oder rezyklierte Materialien verwenden – das ist toll. Für uns wird es aber immer Platz geben, denn das Upcycling, das wir machen, ist kein Massenbusiness und kann von grösseren Marken nie so gemacht werden.
Vielen Dank für das spannende Gespräch!
Rework
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