Klimabaustein: Die Ökobilanz von Leder

Klimabaustein: Die Ökobilanz von Leder
Lederschuhe sind beliebt - doch wie steht es um ihre Ökobilanz? (Pexels, Pixabay)

Gürtel, Handtaschen, Schuhe: Ob im High-Fashion-Bereich, als Töffmontur oder auch als Hufschmied – Leder wird vielseitig geschätzt als qualitativ hochstehendes, edles und vor allem langlebiges Material. Doch die Ökobilanz von Leder ist in den meisten Fällen ungenügend und auch veganes Leder erhält nicht automatisch die Bestnote.

Fakten:

Ganz objektiv wurde echter Pelz und Fell in unserer Gesellschaft lange Zeit eher abgelehnt als zu Leder verarbeitete Tierhaut. Vielleicht weil man das Material weniger instinktiv mit einem Tier in Verbindung bringt? Nichtsdestotrotz kommt das vielseitig einsetzbare Leder immer öfter in den Verruf, denn inzwischen hat es aus ethischer und ökologischer Sicht einen schweren Stand. Die Massentierhaltung und somit auch die Lederindustrie beanspruchen viel Land, Wasser und Energie und sind verantwortlich für grosse Mengen an Treibhausgasemissionen, insbesondere dem Methangas. Leder spielt also auch eine wichtige Rolle in der Anfeuerung des Klimawandels und dem Verlust der Artenvielfalt.

Zusätzlich ist Leder nicht wie oft angenommen ein übrigbleibendes Nebenprodukt der Fleischindustrie. Da für das möglichst effiziente Schlachten der Tiere keine Rücksicht auf ihre Haut genommen werden kann, wird diese im Normalfall verletzt und kann anschliessend nicht mehr verwendet werden. Auch in der Schweiz wird nur ein kleiner Anteil der Häute geschlachteter Tiere zu Leder verarbeitet. Um der grossen Nachfrage gerecht zu werden, werden weltweit jährlich rund eine Milliarde Tiere getötet, spezifisch um ihre Haut zu Leder zu verarbeiten. Selbst von diesen verfügbaren Häuten werden nur etwa 20 Prozent tatsächlich auch für die Erzeugung von Leder verwendet, während der Rest als Abfall anfällt. Die Lederproduktion findet häufig in südamerikanischen und asiatischen Ländern statt, wo sich Tier- und Umweltschutzgesetze eher rarmachen. China gilt als der weltweit grösste Lederproduzent und -händler. Der Wert des internationalen Handels mit Leder und Lederprodukten übersteigt jährlich 80 Milliarden US-Dollar, wobei Lederschuhe mit mehr als 50 Prozent den grössten Marktanteil ausmachen.

Neben dem hohen Flächen- und Ressourcenverbrauch durch die Tierhaltung weist Leder auch aufgrund der Materialverarbeitung eine besonders schlechte Ökobilanz auf. Um 1 kg Haut zu verarbeiten werden rund 40 Liter Wasser benötigt. Damit ein Lederprodukt zusätzlich robust und haltbar wird, kommen viele Häute während der Produktion mit giftigen Chemikalien in Berührung, sei es beim Gerben, Färben oder Behandeln der Ware. Besonders erschwinglich ist die Gerbung mit Chromsalzen – rund 90 Prozent des weltweit hergestellten Leders werden damit behandelt. Im Prozess oxidieren die unbedenklichen Chrom-III-Salze zu Chrom-VI, einem stark krebserregenden und erbgutverändernden Schwermetall. Direkter Augenkontakt mit dem Chromat kann zu dauerhaften Augenschäden führen und längerer Hautkontakt starke Allergien und Schwellungen verursachen. Auch Schwindel sowie Wachstums- und Fortpflanzungsstörungen sind bekannte Folgebeschwerden des dauerhaften Kontakts mit den Chemikalien.  
Rund 40 Prozent des verwendeten Chroms gelangt anschliessend ins Wasser, was unter anderem zum Tod von Wasserorganismen führt. Als eines der weltweit grössten Gerbereizentren wird Hazari Bag in Bangladesch gezählt. Die giftige Gerbbrühe gelangt hier ungeklärt in den Fluss und verseucht die gesamte Gegend. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sterben die allermeisten der dort arbeitenden Kinder noch vor ihrem 50. Altersjahr.  

Besorgniserregend ist ausserdem, dass laut dem Bundesamt für Risikobewertung (BfR) Chrom-VI auch in Fertigprodukten wie  Kleidung oder Schuhen nachgewiesen werden kann. Da das meiste Leder in Ländern mit ungenügenden Sicherheits- und Umweltschutzvorkehrungen produziert wird, können beispielsweise auch Produkte kontaminiert sein, die mit «Made in Italy» beschriftet sind. Giftige Schwermetalle können über die Haut und besonders leicht über schwitzende Füsse aufgenommen werden und etwa eine Leder-Unverträglichkeit verursachen. Unter strengen Auflagen, wie beispielsweise unter dem Siegel von Terracare, gibt es die Möglichkeit, auch mit Chrom gegerbtes Leder ungiftig herzustellen.

Besser noch ist allerdings die Produktion von Öko-, oder Bio-Leder. Das Leder besteht zwar noch immer aus echten Tierhäuten, allerdings enthält der Gerbungsprozess keine giftigen Substanzen – es wird mit pflanzlichen Gerbstoffen, den Tanninen gearbeitet. Sie werden aus Rinden, Wurzeln, Blättern oder Schalen gewonnen – alles Rohstoffe, die die Umwelt nicht belasten. Mit natürlichen Substanzen behandelte Lederprodukte sind biologisch abbaubar und können daher auch problemlos entsorgt werden. Damit die Produktion von Öko-Leder auch kontrolliert werden kann, wurde vom internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft e.V. ein Qualitätszeichen erschaffen. Für die Zertifizierung zum Naturleder IVN müssen Richtlinien auf allen Herstellungsebenen entlang der Prozesskette berücksichtigt werden. Die wichtigsten Stichpunkte: Die Rohhäute dürfen nur Nebenprodukte der Fleischproduktion sein, umweltbelastende Chemikalien wie Chrom sind untersagt und zertifizierte Betriebe müssen über eine zweistufige Kläranlage verfügen, sodass die Gewässer nicht belastet werden. Auch die Leather Working Group setzt sich unter anderem für eine bessere Rückverfolgbarkeit in der Lederindustrie ein – beginnend beim Schlachthof. Der Energie- und Wasserverbrauch sowie die entstandenen Emissionen und der Chemikalieneinsatz wird ebenso bewertet.
So sehr solche Verbesserungen auch ins Gewicht fallen, kann die Verwendung von vegetabilen Gerbstoffen in einigen Fällen trotzdem zu Problemen führen, nämlich dann, wenn für ihre Gewinnung zu viele Ressourcen aufgeboten werden müssen. So stellt sich die Frage, ob die Nachfrage nach Leder, ganz abgesehen von ihren ökologischen und ethischen Implikationen, überhaupt vollständig mit Bio-Leder gedeckt werden könnte.

Vegane Alternativen ahmen die Robustheit und das Aussehen von Echtleder nach, ohne echte Tierhäute verwenden zu müssen. Wäre Kunstleder da nicht in jedem Fall die bessere Wahl? Nicht unbedingt. Zwar werden im Gegensatz zum Echtleder weit weniger Ressourcen verbraucht und ihr Herstellungsprozess ist ethisch vertretbar. Allerdings kann auch veganes Leder eine schlechte Ökobilanz aufweisen, insbesondere dann, wenn Kunststoffe wie Polyvinylchlorid und Polyurethan eingesetzt werden. Werden die synthetischen Fasern in die Umwelt freigesetzt, bleiben sie dort lange vorhanden. Sie sammeln sich etwa als Mikroplastik in Nahrungsnetzen an oder gelangen in Gewässer und schliesslich Ozeane, wo sie ebenfalls grossen Schaden anrichten.

Veganes Leder aus Kunststoffen ist also nur minimal – wenn überhaupt – besser als Original-Leder. Allerdings gibt es mittlerweile unzählige, innovative und vegane Lederprodukte ohne Kunststoffbeteiligung, deren Nachfrage durch das verbesserte Umweltbewusstsein der Bevölkerung stetig wächst. Bestimmend für eine bessere Ökobilanz ist, dass diese veganen Lederalternativen in den allermeisten Fällen als Nebenprodukt übrigbleiben. Beispielsweise fallen in der Ananas-Industrie in den Philippinen jährlich rund 40'000 Tonnen Ananasblätter als Abfall an, die im Normalfall kompostiert oder verbrannt werden. Als Piñatex® - Lederalternative können sie allerdings wiederverwendet werden. Die Fasern der Ananasblätter werden dazu extrahiert, getrocknet und zu einem Faserstoff verarbeitet. In Spanien wird dieser schliesslich gegerbt und zum fertigen Produkt aufbereitet. Nicht nur spart dies Ressourcen ein, auch die Ananas-Bauern profitieren von einem zusätzlichen Einkommen. Ähnlich funktioniert dies mit der Alternative aus Äpfeln: ApplePeel™ wird aus Überresten der italienischen Apfelsaftproduktion gefertigt. Auch aus Weintrauben und Pilzen gibt es inzwischen tolle Alternativen.

Folgerungen:

Zwar gibt es keine allgemeingültige Lösung. Viele Menschen dürften sich angesichts der ethischen und ökologischen Bedenken aber gegen Echtleder entscheiden. Wer trotzdem nicht darauf verzichten will, kann mit dem Kauf von zertifiziertem Öko-Leder einige besonders bedenkliche Herstellungsbedingungen umgehen. Sind keinerlei Hinweise oder Siegel vorhanden, muss man davon ausgehen, dass das Lederprodukt mit grosser Wahrscheinlichkeit in Asien produziert und mit Chrom präpariert wurde und daher unter anderem giftige Rückstände enthalten kann. Ganz nebenbei können Ledertaschen für 19.90 CHF kaum sauber hergestellt worden sein, weshalb man besser etwas mehr bezahlt für die vegetabil gegerbte Taschen-Option. Der Entscheid zwischen ökologisch hergestelltem Echtleder und veganem Leder auf Kunststoffbasis fällt schwer, schliesslich haben beide Materialien mit ihren ganz eigenen Schattenseiten zu kämpfen.

Das mit Naturprodukten produzierte vegane Leder kommt da am besten weg. Ethische und ökologische Implikationen sind im Vergleich mit den anderen Varianten vernachlässigbar. Auch wenn die Qualität von Echtleder noch immer am besten abschneidet, macht das vegane Leder ebenfalls grosse Fortschritte in diesem Bereich. So springen auch Modehäuser und Influencer vermehrt auf diesen «Trend» auf. Eine Hürde dürfte momentan noch der Preis solch alternativ produzierter Lederware sein. Im Gegensatz zum Echtleder werden vegane Lederprodukte auf pflanzlicher Basis meist innerhalb der EU und in kleineren Stückzahlen hergestellt, was die Produktion wesentlich verteuert. Am Preis muss man also noch arbeiten; bei der Ökobilanz sind wir hingegen schon auf einem guten Weg.