Tiere fliehen in die Nacht
Ob Pflanzen- oder Fleischfresser – weltweit weichen immer mehr Wildtiere vor menschlichen Störungen in die Nacht aus.
Ein Team um die Umweltwissenschaftlerin Kaitlyn Gayson von der University of California untersuchte, wie sehr die Zunahme von menschlichen Aktivitäten aller Art die Tag- resp. Nachtaktivität von Wildtieren beeinflusst. Dafür führten die Forschenden eine Meta-Analyse von 76 Studien mit 64 Säugetierarten aus sechs Kontinenten durch.
Ein Sonnenbär im Mondschein
Am Beispiel des Malaienbären – auch Sonnenbär genannt – ist die Verschiebung besonders gut sichtbar. Wie sein Name schon andeutet, ist er eigentlich ein typisch tagaktives Tier, das das Sonnenlicht liebt. In ungestörtem Gelände sind Malaienbären zu 80 Prozent tagsüber aktiv und nur zu gut 20 Prozent nachtaktiv. Ganz anders sieht es in von Menschen stark geprägten Gebieten aus: Dort verschieben sie ihren Aktiv-Zeitraum auf bis zu 90 Prozent in die Nacht.
Für Tiere wie den Malaienbären, die eigentlich an den Tag angepasst wären, sind solche Anpassungen mit grossen Herausforderungen verknüpft: Sie dürften Schwierigkeiten bei der Nahrungssuche und der Kommunikation im Dunkeln haben. Viele Tiere haben zudem Mühe, sich vor an die Nacht angepassten Raubtieren zu schützen. Unter diesen Umständen verringern sich ihre Überlebenschancen langfristig. Es sind daher auch nicht alle Tiere in der Lage, ihr tagaktives Leben in ein Nächtliches umzuwandeln.
Auswirkungen auf das Ökosystem
Eine Zunahme der Nachtaktivität bei bestimmten Tierarten kann auch wesentliche Folgen für die Ökosysteme haben; die Wechselwirkungen zwischen den Arten verändern sich. Es entstehen neue Konkurrenzkämpfe zwischen verschiedenen Raubtieren. Zugleich werden einige Beutetiergemeinschaften stärker bzw. weniger stark ausgebeutet – das Raubtier-Beute-System verändert sich.
Gleichwohl gelingt es vielen Wildtieren, erstaunlich gut mit dem Nachtleben zurechtzukommen. Sofern sie all ihre Bedürfnisse auch während der Nacht befriedigen können, können die Tiere in Landschaften leben, die eigentlich von Menschen dominiert sind. Dadurch werden Begegnungen mit den Menschen vermieden, die für beide Seiten potenziell gefährlich sein könnten. Beispielsweise in Nepal bewegen sich Mensch und Tiger auf den gleichen Pfaden – einfach zu unterschiedlichen Tageszeiten. Damit werden Konfrontationen reduziert. Die Forschenden meinen in einer optimistischeren Einschätzung, dass eine solche zeitliche Aufteilung ein Mechanismus sein könnte, durch den Wildtiere und Menschen in dicht bevölkerten Gebieten koexistieren können. Hierzu benötigt es jedoch auch ein wenig Mitwirkung von den Menschen.
Nicht einmal in der Nacht sicher
Auch in der Nacht stehen Wildtiere vor einer immer grösseren Herausforderung. Menschenfreie Orte sind immer schwerer zu finden. Zunehmend werden Freizeitaktivitäten wie Joggen oder das Gassigehen mit dem Hund in die Nacht verlegt. Im Wald laufen die Menschen dann oft mit Stirnlampen oder ähnlichem umher. Auch laute Geräusche schrecken das stille Nachtleben auf. Vor allem jene Wildtiere, die versuchen, den Menschen komplett aus dem Weg zu gehen, werden künftig vermutlich die grössten Auswirkungen davon spüren. Wir Menschen müssen also Rücksicht nehmen, sonst finden die Wildtiere irgendwann gar keine Ruhe mehr.
Science: The influence of human disturbance on wildlife nocturnality
The conversation: To avoid humans, more wildlife now work the night shift
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