un-s: Uns ist aufgefallen, dass viele Ihrer Projekte in Kombination mit älteren Bauten sind. Wie sehen Sie die Integration von alten Gebäuden in moderne Siedlungsstrukturen?
Eine lebenswerte Umgebung zeichnet sich massgeblich durch Diversität aus. Dazu trägt eine Mischung von Alt und Neu wesentlich bei. Ebenso wichtig ist die Geschichte, welche alte Bauten erzählen, die oft auch Teil eines kollektiven Gedächtnis sind. Die Entwicklung der Siedlungsstruktur lässt sich lesen und erlaubt Aufschlüsse über die Lebensweise, die Bedürfnisse und Lebensverhältnisse vorangegangener Generationen. Dies ist sehr wichtig für die Menschen, ermöglicht es ihnen doch die Identifikation mit der unmittelbaren Umgebung. Ob die Umnutzung und der Erhalt sinnvoll ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab und muss für jeden Fall geprüft werden.
un-s: In der geplanten Wohnsiedlung in Wildensbuch werden mehrheitlich Einfamilienhäuser gebaut. Können Sie dies begründen?
Grundsätzlich ist die Parzelle gemäss BZO vollständig ausgenutzt, mehr Netto-Grundfläche kann innerhalb der gültigen Gesetzgebung nicht realisiert werden. Es ist ein Mix aus einem Mehrfamilienhaus (4 Wohneinheiten, hindernisfrei), Doppel- und Einfamilienhäusern (5 Wohneinheiten) vorgesehen. Eine Durchmischung ist somit gewährleistet, auch können unterschiedliche Lebenssituationen innerhalb der Überbauung abgedeckt werden. Die Lage etwas abseits, ohne gute ÖV-Anbindung, erfordert einen gewissen Anteil an Einfamilienhäusern. Durch die Nutzung von Synergien (Heizung, Regenwassernutzung, Photovoltaik) und den Einsatz ökologischer Baustoffe wird der grössere Fussabdruck der Einfamilienhäuser abgefangen.
un-s: Im Konzept einer Siedlung sollten auch gewisse soziale Strukturen (Spielplatz, Gemeinschaftsraum etc.) vorhanden sein. War dies bei der Siedlung Breiten Wildensbuch kein Thema?
Der kleine Weiler (120 Einwohner) und die unmittelbare Umgebung mit grossen Wald- und Freiflächen bieten aus unserer Sicht genügend Raum und Möglichkeit für unterschiedlichste Aktivitäten und soziale Kontakte. Es werden explizit keine starren Strukturen vorgegeben, vielmehr wünschen wir uns, dass die Bewohner den Austausch im Dorf suchen. Es soll keine «Gated Community» entstehen! Um die quartierinterne Interaktion zu fördern, gibt es zudem die verkehrsfreie Begegnungszone zwischen den Häusern mit Liegedeck und Gerätekisten für die Gartenbewirtschaftung.
un-s: Uns ist insbesondere auch die Regenwasserverwertung positiv aufgefallen. Gab es da besondere Herausforderungen zu meistern?
Dies ist grundsätzlich nicht sehr schwierig. Es muss von Beginn weg gut geplant sein, dann hält sich der Aufwand in überschaubaren Grenzen.
un-s: Was halten sie von Siedlungen mit einem 2000–Watt Konzept?
Früher oder später wird dieser Standard wohl flächendeckend umgesetzt. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der vermutlich im Moment mit professionellen Bauherren einfacher zu begehen ist, als mit privaten. Unser Büro wird sich auch in Zukunft mit der Sanierung und der Umnutzung bestehender Bauten beschäftigen. Dabei ist oftmals nicht das ökologisch Maximale möglich und auch nicht immer sinnvoll. Uns treibt vor allem eine ganzheitliche Betrachtungsweise um (ökologisch, ökonomisch, gesellschaftlich), zu welcher beispielsweise der Umgang mit identitätsstiftenden Strukturen gehört.
un-s: Wird das Bedürfnis nach nachhaltigen Bauten seitens Bauherrschaft grösser?
Das Bewusstsein der Bauherrschaft ist sicherlich grösser geworden. Vielfach besteht es jedoch aus einer einseitigen – ökozentrierten – Betrachtungsweise. Und auch wenn man nur diesen ökologischen Aspekt betrachtet, so ist dieses Themenfeld immer noch sehr komplex. Diese Komplexität in Kombination mit der Flut frei verfügbarer, teilweise widersprüchlicher Information führt fast automatisch zu einer verengten Betrachtungsweise der Aufgabenstellung. Dann existiert auch eine Differenz zwischen der theoretischen Einsicht, verantwortungsbewusst zu handeln, und den daraus resultierenden Konsequenzen, welche oft im Widerspruch zu den partikularen Interessen stehen. In diesem Zusammenhang spielen die Kosten eine Rolle: Die Bereitschaft, Vorinvestitionen zu leisten, ist nur beschränkt vorhanden. Leider werden gerade von Seiten der Finanzinstitute die Kosten für die Realisierung nachhaltiger Massnahmen nicht als Investment in die Zukunft betrachtet, sondern als normaler Teil der Erstellungskosten einer Baute.
Generell geht es uns um eine Sensibilisierung der Bauherrschaft im Sinne einer integralen Betrachtung der Aufgabenstellung und der Verantwortung gegenüber dem Umfeld. Bauen ist immer Überprivat.
un-s: Wo sehen Sie Potential für nachhaltige Bauten in der Schweiz?
Mit der Besinnung der Architekten auf ihre ureigene Kompetenz – der generalistischen Betrachtungsweise eines bestimmten Sachverhaltes – wäre viel gewonnen. Dies ist zwar weniger bequem als sich in einem Fachbereich ein grosses (technisches) Wissen anzueignen, das sich mathematisch anwenden lässt. Für die Entwicklung der bebauten Struktur mit seinen unzähligen Variablen wäre jedoch genau eine gesamtheitliche und nicht eine partikulare Perspektive gefordert. Daraus folgt, dass neben der Sensibilisierung der Bauherrschaften für die Thematik auch eine Diskussion der Planer über ihre Aufgaben grosses Potential aufweist. Im Kleinen versuchen wir jede Aufgabe unvoreingenommen anzugehen und das Mögliche zu machen.
Weiterführende Informationen/Quellen:
Marazzi Reinhardt
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