Gross wohnen im Kleinformat: Interview mit Fiona Bayer

01 Mär 2017
Fiona werkelt am Grundgerüst ihres Tiny Houses. Fiona werkelt am Grundgerüst ihres Tiny Houses.

Die 21-jährige Studentin ist weder Millionärin, noch hat sie im Lotto gewonnen. Trotzdem baut sie sich momentan ihr Eigenheim. Für geschätzte 30‘000 Franken bastelt sich Fiona Bayer das geplante Tiny House nahe Winterthur zusammen. Wir haben sie und ihr Projekt besucht:

Umweltnetz-Schweiz: Du bist erst 21 Jahre alt und baust dir bereits dein eigenes Haus: Wie kommt es dazu?

Fiona Bayer:  Der Wunsch ist aus einer Lebenssituation entstanden, in der ich mit verschiedenen Sachen unzufrieden war. Ich war eben ausgezogen und in einer Wohnsituation gelandet, in der ich mich nicht unbedingt wohl gefühlt habe. In meinem Studium habe ich viel Theorie gehabt, bin sehr viel gesessen und musste hauptsächlich viel lesen.  Ich habe zwei Jahre wenig mit den Händen machen und mich kaum kreativ betätigen können. Damals sass ich in irgendeiner langweiligen Vorlesung und fing an, alternative Wohnformen zu googeln. Der klassische Anfang eines Tiny Houses (lacht). Als ich diese Wagen gesehen habe, fand ich sie einfach cool. Und dass es möglich ist, diese selber zu bauen, das hat mich sofort fasziniert. Von da an habe ich in dieser Vorlesung immer über Tiny Houses recherchiert.

In unserer Konsumgesellschaft sind grosse Wohnungen sehr beliebt. Wieso ziehst du einen 18m2  grossen Lebensraum vor?

Erstens hat man weniger Platz, um Sachen auszubreiten. Das zwingt einem zu überlegen, wo man sich aufhält,  welche Gegenstände man täglich in die Hand nimmt und was man wirklich braucht im Leben. Wir besitzen so viele Dinge, die wir manchmal jahrelang nicht brauchen. Ich bin in einem grossen Haus mit vielen Sachen und viel Platz aufgewachsen, habe aber gemerkt, dass ich das nicht brauche. Klarheit, Ordnung, Struktur und Schlichtheit geben mir innere Ruhe.

Dazu kommt, dass grosse Wohnungen sehr teuer sind. Das kann – und möchte -  ich mir nicht leisten. Wenn ich mein eigenes Zuhause habe und nur meinen Standplatz zahlen muss, brauch ich weniger zu arbeiten und habe mehr  Zeit, um meine Freunde zu treffen, meinen Hobbys nachzugehen oder mich freiwillig und sozial zu engagieren. Das sind alles Dinge, die in einem gewöhnlichen Arbeitsalltag wenig Platz finden. In meiner jetzigen Wohnung fehlen mir das Licht und die Nähe zur Natur und zum Wetter. Im Tiny House lebst du automatisch mehr draussen. Man muss ja nur die Tür aufmachen, zwei Treppenstufen runtergehen und steht auf der Erde. Ausserdem muss man sich eine Wohnung manchmal regelrecht erkämpfen.

Was ich oft höre von Leuten ist: „Ja, aber ich brauch auch ein bisschen Platz zuhause. Ich möchte mich nicht nur in einem kleinen Zimmerchen bewegen“. Dann denke ich. Es bewegt sich doch niemand im Haus. Wenn man sich bewegen will, geht man raus oder ins Fitness Center. Das kann ich im Tiny House auch machen - und muss zudem weniger putzen.

Von der Komposttoilette bis zum Klavier: Wie bringt man das alles platzsparend und ressourcenschonend im Tiny House unter?

Als erstes sollte man sich bewusst werden, wo man sich am meisten aufhält. Ich sitze oft auf dem Sofa und lese, schlafe in meinem Bett und recherchiere am Schreibtisch. Zudem koche ich gerne und esse an einem Tisch. Das Badezimmer darf natürlich auch nicht fehlen. All das kann man entweder auf einer grossen Fläche haben und lange Wege dazwischen bauen oder man geniesst es einfach auf kleinem Raum, wo alles beieinander ist. So verbraucht man auch wenig Strom und Wasser, man verbaut und versiegelt keine Fläche, verbraucht insgesamt wenig Material und hat trotzdem alles zum Leben.

Man kann sein Haus nach den eigenen Bedürfnissen einrichten. An den vielen Tiny Houses sieht man, dass Menschen verschiedene Prioritäten haben. Die einen haben eine Badewanne eingebaut, die anderen mögen kein Dachbett. Ich spiele Klavier, also war klar, dass ein E-Piano rein muss.  

Dann legt man eine Grösse fest und fängt an zu skizzieren. Ein wichtiger Aspekt beim Planen ist die Multifunktionalität. Es gibt Leute, die sagen, dass alles im Tiny House mindestens 2 Funktionen haben muss. Das ist eine gute Devise. Bei fast allen Möbeln könnte man noch mehr rausholen. Bei einem Sofa beispielsweise: Anstelle von Beinen baut man eben eine Schublade drunter. Ein Tisch kann hochgeklappt und das E-Piano zum Schreibtisch umfunktioniert werden. Ich habe sicher 20 Entwürfe gemacht, bis ich meine jetzige Version hatte.

Mit Waschmaschine, Küchenherd und Hochbett - so soll ihr Tiny House aussehen. - Fiona Bayer, tiny-house-projekt.ch

In deinem Blog schreibst du, dass du keine handwerkliche Fähigkeit hattest, als du anfingst zu sägen, schrauben und bohren. Wie schaffst du es, gleich ein ganzes Haus zu bauen?

Das Einzige, was ich vor meinem Haus gebaut habe, ist ein Serviertablett. Das habe ich im letzten Winter gemacht, weil ich dachte, ich fange mal an zu üben (lacht). Es ist toll geworden, aber meine Familie und Freunde mussten ein wenig Lachen und sagten: „Du hast ein Tablett gebaut und nun willst du gleich ein ganzes Haus bauen?“.

Wie man es schafft… (überlegt). Ganz viel recherchieren. Vor einem Jahr wusste ich noch nicht, dass es verschiedene Sägen gibt, ich wusste nicht, dass ein Akkuschrauber nicht das Gleiche ist wie ein Akkubohrer. Aber auf Google und Youtube gibt es Hunderte von Videos, die das erklären.  Und dann probierst du‘s mal aus.  Werkzeuge sind dazu gemacht, dir zu helfen, und sie sind so gemacht, dass man sie benutzen kann. Ich habe bis jetzt 13 Tage gebaut. Mein Freund ist am ersten Tag kurz gekommen, und da er schon mit einem Akkuschrauber gearbeitet hatte, konnte er mir zeigen, wie dieser funktioniert. Ab da konnte ich‘s auch.

Was ich sagen will, ist, dass ein Haus zu bauen nicht viel anders ist als ein Tablett zu basteln. Es braucht einfach viel länger. Aber die einzelnen Schritte sind gleich. Du leimst mit deinen zwei Händen und du bohrst mit deinen zwei Händen. Step bei Step.

Nebst den handwerklichen Fähigkeiten sind die theoretischen Fähigkeiten, wie das Wissen über Materialien, Statik, Stabilität und Konstruktion,  sehr wichtig. Das ist viel schwieriger. Das ist nicht zu unterschätzen.

Wie viel Zeit hast du bis jetzt aufgewendet und wirst du noch aufwenden für dein Projekt?

Ich bin seit zwei Jahren am Recherchieren. Das sind an die tausend Stunden. Gebaut habe ich 13 Tage und werde die nächsten 5 Monate durcharbeiten. Dann habe ich im Herbst die Hülle fertig. Danach kommt noch der ganze Innenausbau. Und da gibt es noch viel, von dem ich nicht weiss, wie es geht. Ich schätze, dass ich sicher nochmals ein Jahr brauche, da ich ab dem Herbst wieder 100% studiere.

Wie sieht es mit der rechtlichen Lage aus in der Schweiz?

Momentan gibt es noch keine klaren Gesetze für Tiny Houses. Man befindet sich baurechtlich im Graubereich. Das hält Leute davon ab, in alternativen Wohnformen auf kleineren Flächen zu leben. Es braucht schon ein bisschen Mut und Optimismus, damit man ein solches Projekt macht.

Es wäre schön, wenn man weg kommt von dem Bild, das Leute, die in einem Wagen oder einem Tiny House wohnen,  eine Bedrohung darstellen. Wir leben bloss in einer Wohnung, die man rumschieben kann. Im Gegenteil, wer auf fahrbarem Untersatz lebt, der versiegelt nicht einmal Land. Das Unbedrohlichste am Ganzen ist ja, dass man es verschieben kann. Ich wäre dafür, dass man sich eine Spezialbewilligung holen kann für eine Jurte oder einen Wagen. Natürlich gibt es im Moment noch ein paar offene Fragen bezüglich des angemeldeten Wohnorts und der Steuern. Das kann man aber lösen. Ausserdem: Schon heute gibt es viele fortschrittliche Gemeinden, die so eine Wohnform gerne unterstützen – nur muss man diese Gemeinden halt finden und es bleibt immer eine Individuallösung. Aber ich glaube, das kommt in den nächsten paar Jahren anders. Die Mühlen in der Politik sind halt langsam. Ich fände es cool, wenn die Bewegung und ein Umdenken auch in der Schweiz anfangen.

Wo kann man sein Tiny House hinstellen?

Für den Standplatz sind Bauernhöfe die besten Anlaufstellen. Sie haben meist Land und Platz, sodass man noch auf eingezontem Bauland steht, denn in der Landwirtschafszone darf man nicht stehen. Dann gibt’s die Möglichkeit, das Tiny House in einen Garten zu stellen, wie das in den USA viel gemacht wird. Während dem Bauen lernt man viele Leute kennen, die auch schon einen Wagen gebaut haben. Ich stelle mir vor, dass ich auf einem Bauernhof lande oder bei einem gemeinschaftlich betriebenen Haus mit freiem Platz draussen.

Welche Lektionen oder Tipps kannst du unseren Lesern empfehlen, die sich ebenfalls ein Tiny House bauen möchten?

Wenn ihr das machen wollt, dann tut es einfach. Dazu gehört, dass man sich getraut, Fragen zu stellen, wenn man nicht weiss, wie etwas geht. Einfach anrufen, es gibt da draussen so viel Wissen und als Neuling muss man einfach über den eigenen Schatten springen und fragen. Man braucht Geduld und Durchhaltewille und viel Energie. Wer kein Herzblut reinsteckt, der schafft es wahrscheinlich nicht.

Vernetzung ist wichtig. Schreibt doch auch einen Blog und berichtet über eure Erfahrungen. So können wir uns gegenseitig unterstützen. Ich war eine der ersten, die in der Schweiz über Tiny Houses gebloggt haben. Deshalb empfand ich es als schwierig, an Erfahrungsberichte heranzukommen, die mir gewisse Entscheidungen leichter gemacht hätten. So hat man fast nur englischsprachige Seiten, auf die man zurückgreifen kann. Masse und Gesetze sind da anders, sie dürfen beispielsweise höher bauen. Also kann man auch nicht ihre Pläne benutzen. Darum ist es wichtig, die Schweiz und den deutschsprachigen Raum zu vernetzen und darüber zu berichten. So können andere auch davon profitieren.

Und das Beste am Tiny House ist, dass du immer ein Dach über dem Kopf hast. Es gehört dir, und nicht der Bank.

Herzlichen Dank für das inspirierende Interview!

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