Putsch gegen die Krone (der Schöpfung)

Warum die Natur retten? Könnte sein, dass sie dann mal uns rettet Warum die Natur retten? Könnte sein, dass sie dann mal uns rettet

Die Krone der Schöpfung ist in Ungnade gefallen: Kaum jemand möchte diesen Rang noch für sich reklamieren. Doch in unserem Handeln schlägt sich das kaum nieder. Wir müssen wohl noch etwas tiefer graben, um zu einem nachhaltigeren Selbst- und Naturbild vorzustossen.

Zu Beginn unserer kleinen Artikelserie zu den Naturbildern in unseren Köpfen postulierten wir, dass diese unseren Umgang mit der Natur ganz wesentlich prägen – und dass wir, wollen wir eine nachhaltige Zukunft in dieser Natur gestalten, nicht zuletzt auch eines berichtigten Naturbilds bedürfen. Dann brachen wir auf, ersteres zu belegen und nach den möglichen Zutaten eines letzteren zu forschen. Dabei stiessen wir auf so einiges, was sich uns als dessen Bestandteil aufdrängte und das wir hier jetzt mal in plakativen Aussagen zusammenfassen: 

Natur ist überall: Die Grenzlinien, mit denen wir uns gern von „der Natur“ absetzen, sind imaginäre. Die daraus entstehenden Dichotomien – etwa Natur/Kultur – sind keine gleichberechtigten. Da die menschliche Kultur grundlegend von natürlichen Prozessen und Versorgungsleistungen abhängt, behält die Natur ihr Primat.
Natur ist komplex: Sie ist ein vernetztes System lebendiger und unbelebter Akteure und Einflusskräfte. Ein diesbezügliches Denken in einfachen Kausalbeziehungen führt in die Irre und zu unvorhergesehenen Folgen.
Natur ist vielgestaltig: Das Lebensnetz baut auf vielseitige Beteiligung. So hat es sich entwickelt, und so funktioniert es deshalb unabdingbar. Eine Beschneidung seiner Diversität führt zur Beschneidung seiner Vitalität.
Natur ist dynamisch: Sie entwickelt sich ständig und notwendig. Weder in ihren unbelebten, umso weniger in ihren lebendigen Aspekten kennt sie ein beständiges Kontinuum. Auch keine Vollendung.
Natur ist amoralisch: Zumindest nach den menschlichen Ansprüchen an Moral. Menschliche Wertmassstäbe entwickelten sich nach menschlichen Bedürfnissen. Ihre Anwendung auf „die Natur“ allgemein oder ihre einzelnen Objekte und Subjekte rechtfertigt kein kategorisches Werturteil.
Natur kennt keine Hierarchie: Alle Teilhaber an der lebendigen Welt befinden sich naturgemäss auf der momentanen Höhe ihrer Entwicklung. Sie entwickeln sich nach allen Richtungen; eine postulierte Spitzenstellung gibt allenfalls Auskunft über den eingenommenen Blickwinkel, nicht über eine faktische Position.

Das ist – auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit – schon eine ganze Menge. Und natürlich ist uns bewusst, dass sich das innere „Naturbild“ – in seiner kulturellen Ausprägung und Überlieferung – nicht einfach und rasch umgestalten lässt. Doch auf der persönlichen Ebene lässt sich da durchaus etwas reissen, und das Individuum ist ja die Keimzelle des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels. Besonders zwei der angeführten Aussagen scheinen uns als Hebel zu diesem Umschwung geeignet: Die erste und die letzte.

Weiter zählen als bis Zwei

Wir Menschen denken gern in Dualismen. Man könnte schon sagen: Gegensätze ziehen uns an. Die Unterscheidung von hell und dunkel, heiss und kalt, links und rechts, Berg und Tal, gefährlich und harmlos oder fremd und vertraut ordnet die Welt gut genug, um uns darin grundlegend zu orientieren. Wir verorten sogar Gegensätze, wo in Wahrheit kaum welche sind, wie etwa zwischen Frau und Mann. Auch das hat uns offensichtlich gedient. Aber bezüglich „der Natur“ sollten wir uns das abgewöhnen. Ein erster Schritt ist schon (fast) getan, indem die Natur nur noch selten explizit gegen das Göttliche abgegrenzt wird – was sich als ein tatsächlicher Gegensatz möglicherweise verteidigen liesse, wenn wir das Göttliche nur etwas genauer zu fassen kriegten. So aber wurde es landläufig durch die Dichotomie Natur/Kultur ersetzt, die dann hauptsächlich dazu dient, uns von der dummen Natur eitel abzusetzen. (Oder auch von der weisen, harmonischen Natur, wenn wir gerade kulturkritisch unterwegs sind.) Dieses Denkmuster zu durchbrechen und zu begreifen, dass es tatsächlich unmöglich ist, uns und unsere Kultur irgendwo ausserhalb der Natur zu positionieren; das dürfte ein wichtiger Schritt sein, ihr mehr als nur Handelswert zuzugestehen.

Der Ausbruch aus dem binären Denken hilft auch, all die mittleren Aussagen unserer kleinen Liste zu verinnerlichen. Dualismen haben die unangenehme Eigenschaft, sich zu verabsolutieren. Wir meinen dann schnell einmal, die Realität bewege sich ausschliesslich auf der geraden Linie zwischen ihren Polen. Aber die heisse Herdplatte ist nur wärmer als die kalte, sie ist keine Sonne. Wer nur nach „heller“ oder „dunkler“ urteilt, sieht bald keine Farben mehr. Und wer vornehmlich auf die Unterschiede zwischen Frau und Mann fokussiert, betrachtet sie am Ende als zwei verschiedene Spezies. Die Natur kennt indessen notorisch mehr als zwei Zustände. In ihr finden wir das eine, das leicht davon verschiedene, das ganz andere und das völlig Abseitige kunterbunt und gleichermassen wertvoll beieinander. Um natürliche Prozesse und Mitgestalter besser zu verstehen und verträglich mit ihnen zu leben, ist es essentiell, sich dieses Spektrum offenzuhalten.
Oder es sich neu zu eröffnen. Tatsächlich scheinen uns die Dualismen tiefer eingeprägt, als uns lieb sein kann. Jedenfalls wimmeln unsere Erzählungen davon. Regelmässig begegnen uns da Protagonisten und Antagonisten, es laufen Schlachten zwischen Gut und Böse, und selbst im Liebesdrama heisst es Top oder Flop. Das samt und sonders zu verändern, dürfte schwierig werden: Neue Erzählformen könnten helfen, aber auch die müssten sich erst einmal etablieren. Doch wir können auch nur punktuell daraus ausbrechen und die Polaritäten an den entscheidenden Stellen organischer, „weicher“ gestalten. Anstatt auf dem basalen Gegensatz von „natürlich“ und „künstlich“ zu bestehen, liesse sich beispielsweise von „gewachsen“ und „hergestellt“ sprechen…

Kling! fällt der Zacken aus der Krone

Ganz gewiss aber müssen wir von unserer Selbstverortung als der „Krone der Schöpfung“ lassen. Das ist bereits geschehen? Das könnte man meinen: Die Formulierung wird meist nur noch spöttisch geäussert, und kaum jemand bekennt mehr offensiv, sich selbst zur royalen Elite des Evolutionsprozesses zu zählen. Doch unser Handeln spricht eine andere Sprache. Da können wir uns beispielsweise durchaus klar sein, wie sich Gorillas in ihren Persönlichkeiten unterscheiden, uns dann jedoch nicht durchringen, ihnen als Personen Rechte zuzugestehen. Es ist aber auch vertrackt. Selbstverständlich halten wir Menschen unsere eigene Spezies in den höchsten Ehren. Und selbstverständlich halten wir uns für etwas Besonderes: Sind wir ja auch! So einzigartig wie jede andere Spezies. Es ginge derweil nicht darum, uns zu degradieren und vom Stolz auf unsere Errungenschaften abzulassen. Es ginge darum, damit nicht gleichzeitig Werturteile zu verbinden. Oder anders: Den ständigen Fokus auf Hierarchien aufzugeben.

Anders als das Denken in Polaritäten dürfte uns das hierarchische Weltbild nicht ganz so tief eingebrannt sein. In unserem Alltag bewegen wir uns zwar ständig darin, und es mag so scheinen, als wäre die Hierarchie dem menschlichen Gemeinleben fest eingebaut. In selbstverständlicher Manier übertragen wir sie dann auf die Tierwelt und sprechen von „niederen“ und „höheren“ Tieren, von Affen und „Primaten“ in der Bedeutung von primus, „dem Ersten“. Doch es mehren sich die anthropologischen, ethnologischen und archäologischen Stimmen, die davon ausgehen, dass unsere frühen Gesellschaften, vor der neolithischen Revolution, egalitärer als unsere heutigen organisiert waren. Die abgestuften Hierarchien hätten demnach erst mit den frühen Zivilisationen Einzug gehalten. Im grossen Bogen der Zivilisationsgeschichte lässt sich dann wieder feststellen, dass die Hierarchien über die Zeit abflachten; zwischen Gottkönigtum und Demokratie ist, allen Unkenrufen zum Trotz, halt doch ein nennenswerter Unterschied. Wir sind dieser Denkweise und Ordnung also nicht „natürlich“ ausgeliefert.
Gleichzeitig lässt sich „Zivilisation“ nicht zuletzt auch darüber definieren, dass sie ständig versucht, die Grenzen der In-Group auszuweiten: Also Menschen aus dem „Aussen“ (von Bewohnern des nächsten Tals über Andersfarbige und Andersgläubige bis zu Transsexuellen) ins „Innen“ zu holen und so die lebensnotwendige Gruppenidentität weit über die ursprüngliche Stammes- oder Sippenbelegschaft hinaus zu gewährleisten. Gelingt es uns, diesen Trend auch über Speziesgrenzen fortzusetzen, ist ein entscheidender Schritt zu einer nachhaltigeren Naturbeziehung getan. Die Anzeichen dafür mehren sich. Viele von uns sind bereits recht mühelos in der Lage, zumindest in unseren tierischen Nachbarn Verwandte zu erkennen und das eigene Handeln entsprechend anzupassen. Gerade diese Bemühung bedarf aber auch weiteren Nachdrucks, denn die Zeit rennt uns davon.

Ach ja, die Zeit. Sie wird, wie wir wissen, knapp, und in keiner Weise wollen wir mit alldem der Haltung Vorschub leisten, dass vor der tätigen Handlung gefälligst das innere Naturbild zu verändern sei. Allzu oft dienen solche ideologischen Forderungen nur dazu, die Hände in den Schoss zu legen und die endgültige Erleuchtung der Gesellschaft abzuwarten. Es ist im Gegenteil gerade das tätige Engagement, das das Naturbild im eigenen Kopf kraftvoll umzeichnet: Die Auseinandersetzung damit (und Bereicherung davon) beginnt sofort, sobald man sich einem Anliegen des Umwelt-, Klima- oder Naturschutzes entschlossen verschreibt. Die Diskussion darüber sollte dabei im Hintergrund gleichwohl mitschwingen. Die Ausarbeitung eines nachhaltigeren Naturbildes mit ihrem feineren Strich hilft wesentlich dabei, Zielkonflikte zu entschärfen, die erreichte Position zu bemessen und damit die Orientierung zu behalten. Auch das ist eine wertvolle Übung im nichtbinären Denken: Das Eine tun – und das Andere nicht lassen.

 

Quellen und weitere Informationen:
Dieter Steiner, humanecology.ch: Die soziale Organisation archaischer Gesellschaften
Primateninitiative Basel und Abstimmungsresultate 

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