Ist Atomstrom eine Zukunftslösung?

Kernkraftwerke stossen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg eine Menge CO2 aus. Kernkraftwerke stossen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg eine Menge CO2 aus.

Die drohende Energiemangellage und die Bekanntgabe des Standorts für ein Atomendlager in der Schweiz haben die Diskussionen rund um die Kernenergie erneut entfacht. Ein bürgerliches Initiativkomitee will nun sogar das Verbot zum Bau neuer AKWs rückgängig machen.

 Die Schweizer Bevölkerung hat 2017 das neue Energiegesetz an der Urne angenommen. Darin enthalten war unter anderem ein Verbot zum Bau neuer AKWs. Dieses Verbot wird nun von bürgerlicher Seite aufgrund der drohenden Energiekrise in Frage gestellt.

Energiekrise und Endlagerstandort als Auslöser

Aufgrund des Ukraine-Russlands-Konflikts droht uns im Spätwinter eine Energiemangellage. Das russische Gas wird grösstenteils nicht mehr nach Europa geliefert, was vielerorts die Angst schürt, während des Winters zu wenig Energie zu haben. In der Schweiz stellt sich schon länger die Frage nach einer Energie-Lösung ohne Importe. Diese Diskussion wird nun durch die Energiekrise verstärkt. Befürworter des Atomstroms machen auf die Möglichkeit des Baus neuer Atomkraftwerke in der Schweiz aufmerksam.

Im September 2022 gab zudem die Nagra bekannt, dass sie einen geeigneten Standort für ein Atommüll-Endlager gefunden habe. Die Lokation „Nördlich Lägern“ liegt nahe der deutschen Grenze, überwiegend auf dem Gebiet des Kantons Zürich. Für Atomstrom-Befürworter ist dies ein Zeichen, dass nun auch die letzte Hürde zum Bau neuer AKWs – die Problematik der Entsorgung des Atommülls – genommen werden könnte.

Nagra: Nagra steht für „Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle“. Die Genossenschaft wurde 1972 von den Verursachern von Atommüll, konkret von Betreibern von Atomkraftwerken und dem Bund, gegründet. Atommüll entsteht an verschiedenen Orten: Bei der Stromproduktion durch Atomkraftwerke, beim Rückbau solcher Anlagen, in der Medizin, der Forschung und der Industrie. Atommüll muss laut Gesetz von den Verursachern sicher entsorgt werden. Das Atomendlager ist eine mögliche Lösung zur Entsorgung des radioaktiven Abfalls.

Bürgerliches Initiativkomitee will Verbot aufheben

Ein bürgerliches Initiativkomitee will das Verbot zum Bau neuer AKWs nun anfechten. Die Unterschriftensammlung hat bereits begonnen. Der Atomstrom sei, laut Initiativkomitee, eine nachhaltige Lösung zur Vermeidung von Stromknappheit und zur Erreichung der Klimaziele bis 2050. Beim Betrieb von Atomkraftwerken werde kein CO2 ausgestossen, was diese Energiequelle zu einer optimalen Zukunftslösung mache. Mit dem Bau neuer AKWs könne man sicherstellen, dass sowohl die Energiebedürfnisse der Menschen als auch der Umwelt- und Klimaschutz gewährleistet seien.

Ist Atomenergie wirklich klimafreundlich?

Es stimmt, dass beim Betrieb der AKWs wenige CO2-Emissionen anfallen. Es ist jedoch falsch zu denken, dass Atomstrom deswegen per se klimafreundlich sei. Betrachtet man die gesamte Lebensdauer eines AKWs, fallen schwere Lasten an Treibhausgas-Emissionen an. Der Bau der Reaktoren und der dazugehörigen Infrastruktur benötigen Ressourcen und Energie. Die Gewinnung und Aufbereitung (Anreicherung) des Urans sowie der Rückbau eines ausgedienten Atomkraftwerks brauchen ebenfalls Energie, wobei immer auch CO2 in die Atmosphäre emittiert wird.

Das andere grosse Problem ist der erwähnte radioaktive Abfall. Radioaktive Strahlung schädigt sowohl unsere Gesundheit als auch die Umwelt. Die Zwischenlagerung in oberirdischen Lagern ist keine Lösung. Das unterirdische Atommüll-Endlager in der Schweiz ist eine Variante, mit der die verantwortungsvolle Entsorgung des Atommülls gesichert werden soll. Es ist jedoch ungewiss, inwiefern diese Lösung sich langfristig bewährt: Was also im Boden wirklich passiert. Der Bau eines Endlagers in Nördlich Lägern wäre zudem erst zwischen 2050 und 2060 fertiggestellt. Was in den nächsten dreissig Jahren mit dem sich anhäufenden schädlichen Material passiert, ist weiterhin unklar.

Auch die Errichtung eines neuen Atomkraftwerkes braucht Zeit: Zu den ungefähr fünf Jahren der reinen Dauer des Baus und der Inbetriebnahme kommen schwer einschätzbare Fristen der Planung, der Bewilligung, der Organisation und Finanzierung sowie zu erwartender Einsprachen hinzu. Von einer Realisierungsdauer zwischen 15 und 30 Jahren ist auszugehen. Zur Senkung der Emissionen können also AKWs in den nächsten, entscheidenden Jahren nichts beitragen.

Ebenfalls sei nicht beiläufig unter den Tisch gewischt: Bei Atomkraftwerken besteht immer das Risiko eines Unfalls. Auch andere Formen der Energieerzeugung bergen selbstverständlich Unfallgefahren, doch im Fall der Atomkraft wachsen sich Unglücke schnell zu Katastrophen aus. Beispiele aus der Vergangenheit (Fukushima, Tschernobyl) haben gezeigt, dass diese ganze Gegenden unbewohnbar machen und die Natur nachhaltig schädigen. Die momentane Situation in der Ukraine mit der Besetzung des AKWs Saporischja zeigt ausserdem, dass die Gefährdung nicht nur von Unfällen ausgeht. Atomkraftwerke können zu taktischen Angriffszielen in Kriegen avancieren, und die Bedrohung durch Terroranschläge ist gleichfalls nicht endgültig auszuschalten.

Helfen neue AKWs bei der Problemlösung?

Die Befürworter der Initiative „Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)“ plädieren für den Bau neuer AKWs zur Sicherstellung der nachhaltigen Energieversorgung in der Schweiz. Neben den Umweltproblematiken stehen sie allerdings auch vor relevanten wirtschaftlichen Hürden.
Aufgrund der Risiken und der geringen Wirtschaftlichkeit von AKWs ist heute fast niemand mehr bereit, in einen Neubau zu investieren. Die Kosten übersteigen die Gewinne bei weitem, was den Bau und Betrieb enorm teuer macht. Das AKW Mühleberg beispielsweise musste seinen Betrieb aufgrund seiner fehlenden Rentabilität einstellen.

„Atomkraft ist zu teuer, zu riskant und zu langsam für einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise. Im Gegenteil machen Hitze, Dürren und Fluten AKW noch unsicherer oder sorgen für Ausfälle.“ Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität und Energiepolitik

Neben den im Zitat erwähnten Sicherheitsrisiken durch den Klimawandel fehlen in der Schweiz langfristig gesehen auch Personal und Fachkräfte für den Betrieb neuer AKWs. Die Atomkraft ist weltweit auf einem absteigenden Ast, der Anteil an der Energieversorgung liegt gerade noch bei 10%.

Zukunftsmusik Erneuerbare Energien

Zur langfristigen Sicherung des Energiebedarfs in der Schweiz machen vor allem der rasche Ausbau von erneuerbaren Energien wie Solar-, Wind- und Wasserkraft sowie der Geothermie Sinn. Alleine das Solarpotenzial in der Schweiz würde ausreichen, um den gesamten Energiebedarf unabhängig zu decken. Die Zukunftsmusik der Energieversorgung spielt also harmonischer in die Richtung der „grünen“ Energien als in die der AKWs.

 

 

Quellen und weitere Informationen:
SRF: Krise auf dem Energiemarkt: Braucht es neue AKW?
SRF: Initiative für neue Atomkraftwerke wird lanciert
nagra: Radioaktiver Abfall betrifft uns alle
DW: Faktencheck: Ist Atomenergie klimafreundlich?


 

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