Warum die Klimapolitik nicht hält, was sie verspricht

24 Jun 2019
Die Umweltverschmutzung ist offensichtlich und die Politik oft machtlos Die Umweltverschmutzung ist offensichtlich und die Politik oft machtlos

Der globale Energiemarkt durchkreuzt seit 30 Jahren alle Klimaziele. Grund: Der Klimapolitik fehlt ein ökonomischer Hebel.

Geht es darum, die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Fordern und Handeln zu beschreiben, gibt es kaum ein dankbareres Thema als den Klimawandel:

- Hier Zehntausende von Schülerinnen, die für "Null CO2 ab 2030" demonstrieren. Dort die Mehrheit der abstimmenden Erwachsenen in den Kantonen Bern und Solothurn, die ihr kantonales Energiegesetz bachab schickten; diese Gesetze strebten eine sanfte Reduktion des fossilen Energieeinsatzes in Gebäuden an.

- Hier die nationale "Gletscher-Initiative" und das internationale Wissenschaftsgremium IPCC, die spätestens 2050 den Ausstieg aus der fossilen Energie verlangen, um den Klimavertrag von Paris umzusetzen. Dort die Internationale Energieagentur (IEA), die in ihrem jüngsten Weltenergie-Ausblick bis 2040 einen weiteren Anstieg des Ausstosses von CO2 (Kohlendioxid) um 10 bis 30 Prozent prognostiziert.

Zuweilen vereint sich der Widerspruch in einer Person: Als Umweltministerin kämpfte Bundesrätin Doris Leuthard für das Pariser Klimaabkommen, als Verkehrsministerin plädierte sie in einem ganzseitigen NZZ-Artikel kurz vor ihrem Rücktritt für zusätzliche Flugplatzkapazitäten, damit der ölabhängige Flugverkehr in der Schweiz jährlich um drei Prozent weiter wachsen kann. In den nächsten Jahren werden wir beobachten, wie akrobatisch Leuthards Nachfolgerin, SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, den Spagat zwischen Klimaschutz und Verkehrsförderung auf dem politischen Parkett vorturnen wird.

Klimaziele – einst und jetzt: je später, desto steiler

Dass klimapolitische Ziele und Wirklichkeit auseinander klaffen, ist nicht neu. Das dokumentiert die folgende Grafik:

Schere zwischen CO2-Ausstoss und Klimazielen geht auf

Die Grafik zeigt die Aufwärtsentwicklung der weltweiten Emissionen von Kohlendioxid (CO2) aus fossiler Energie bis 2018 sowie die CO2-Szenarien der internationalen Energieagentur (IEA) bis 2040 im Vergleich mit den absinkenden Klimazielen, alles indexiert: 1990 = 100. Quellen: IEA, IPCC, Berechnungen Guggenbühl/ Grafik: Ostschweizer Kulturzeitschrift Saiten

o 1988 an der ersten Weltklimakonferenz in Toronto setzten die dort versammelten Wissenschaftler das Ziel, den CO2-Ausstoss schon bis 2005 um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent unter den Stand von 1990 zu senken (Grafik, Kurve 1).

o Das ebenfalls 1988 gegründete Wissenschaftsgremium IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) erarbeitete in den folgenden Jahren unzählige Studien, um den Zusammenhang von CO2, Treibhauseffekt und Klimawandel zu belegen. Auf dieser Wissensbasis beschlossen die Regierungen, nach zahlreichen früheren Klimakonferenzen, 2010 in Cancun und 2015 in Paris: Die globale Klimaerwärmung sei zu begrenzen, auf "maximal 2 Grad Celsius" (Cancun) respektive auf "weniger als 2 Grad, möglichst 1,5 Grad" (Paris).

o Um diese Ziele zu erreichen, bleibt der Menschheit heute noch ein Emissionsbudget von 400 Milliarden (1,5-Grad-Ziel) bis 110 Milliarden Tonnen CO2 (2-Grad-Ziel). Zu diesem Ergebnis kommen die jüngsten, 2018 veröffentlichten IPCC-Berichte; diese Zahlen können je nach Annahmen Abweichungen nach oben oder unten enthalten.

o Bei einem stabil bleibenden CO2-Ausstoss von weltweit rund 42 Mrd. Tonnen pro Jahr (Stand 2018), davon 37 Mrd. Tonnen aus fossiler Energie plus industriellen Prozessen, dauert es noch 10 bis 25 Jahre, bis die Menschheit ihr verbleibendes CO2-Budget aufgebraucht hätte. Auf diesen groben Zahlen basiert die globale Forderung, der CO2-Ausstoss und damit der Verbrauch von fossiler Energie seien bis 2050 auf null zu senken. Diesen Anspruch will auch die "Gletscher-Initiative" in der Schweiz umsetzen. Den dazu notwendigen Absenkpfad markiert in unserer Grafik die Kurve 2).

Aus den vielen Zahlen resultiert eine einfache Folgerung: Je später die Menschheit beginnt, den Ausstoss von CO2 und weiteren Treibhausgasen zu senken, um die Klimaerwärmung auf weniger als 2 Grad zu begrenzen, desto steiler wird der Absenkpfad und desto radikaler der Abschied von der fossilen Energie.

Klimaziele im Konflikt mit wachsendem Energiekonsum

Die klimapolitischen Absichten sind gut und bewegen, wie die aktuellen Demonstrationen illustrieren, die breite Öffentlichkeit. Doch sie stehen im Konflikt mit der realen Entwicklung sowie den Prognosen der Energiewirtschaft:

Von 1990 bis 2018 stiegen der fossile Energieverbrauch (Summe aus Kohle, Erdöl und Erdgas) sowie der energiebedingte CO2-Ausstoss weltweit um nahezu 70 Prozent; das zeigt die schwarze Linie 3) in der Grafik. Dieser Zuwachs entspricht ziemlich genau der Prognose, welche die Internationale Energieagentur (IEA) schon 1992 erstellt hatte.

Auch im Zeitraum bis 2040 würden der globale Energieverbrauch und CO2-Ausstoss weiter wachsen, rechnet die IEA in ihrem neusten Weltenergie-Ausblick vom November 2018. Dabei unterscheidet sie zwischen zwei Szenarien: Das Szenario "Weiter wie bisher" (Grafik, Kurve 4) basiert auf den bisher beschlossenen energiepolitischen Massnahmen. Demnach steigt der CO2-Ausstoss aus Kohle, Erdöl und Erdgas bis 2040 um weitere 30 Prozent. Das Szenario "Neue Politik" setzt auf zusätzliche klimapolitische Massnahmen, welche viele Staaten angekündigt, aber noch nicht gesetzlich verankert haben. In diesem optimistischeren Szenario wird der energiebedingte CO2-Ausstoss ebenfalls weiter zunehmen, bis 2040 noch um zehn Prozent (Grafik, Kurve 5).

Zuviel Öl, Gas und Kohle im Boden

Die Schere, die sich zwischen den verschiedenen Linien in unserer Grafik öffnet, markiert den Konflikt zwischen dem wachsenden Energiehunger von Wirtschaft und Bevölkerung, dem weiteren Expansionsinteresse der Energielobby und dem Kampf gegen den von der Menschheit verursachten Klimawandel. Damit fragt sich: Weshalb liess und lässt sich der globale CO2-Ausstoss nicht senken, warum bleibt das Engagement gegen den Klimawandel wirkungslos? Dafür gibt es – mindestens – vier Gründe:

Erstens sind die Reserven an fossiler Energie, die heute noch im Boden stecken, viel grösser, als die Menge an CO2, die das Treibhaus Erde verkraften kann, ohne das Klima aufzuheizen. Zudem ist dieses Angebot leicht verfügbar und für Energiehungrige attraktiv. Das lässt sich am Erdöl als dem meist konsumierten Energieträger illustrieren: Erdöl ist flüssig, hat eine viel höhere Energiedichte als etwa Sonnen- oder Windenergie und lässt sich – im Unterschied etwa zu Elektrizität – problemlos transportieren, lagern und einsetzen. Neue Fördertechniken wie etwa das "Fracking" überwanden die bis 2008 bestehende Angst – oder Hoffnung –, die Ölförderung habe den Höhepunkt (Peak Oil) erreicht und werde damit bald knapp und sehr teuer. Seit 2008 hat sich der Ölpreis wieder halbiert. Beim Erdgas und besonders bei der Kohle können die grossen Reserven und Förderkapazitäten die Nachfrage ebenfalls noch jahrzehntelang problemlos decken – und damit das Klima zusätzlich erwärmen.

Markt durchkreuzt politische Ziele

Die globale und nationale Umwelt- und Klimapolitik verfolgt das Ziel, den Einsatz von fossiler Energie zu senken, sei es mittels Steigerung der Energieeffizienz, sei es mit dem Umstieg auf erneuerbare Energie. Doch die Mechanismen des Marktes, und das ist der zweite Grund, durchkreuzen diese Politik. Das liegt am Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.

Beispiel: Wenn es gelingt, die globale Nachfrage nach Erdöl zu vermindern, entsteht auf dem Ölmarkt ein Überangebot. Das Überangebot treibt den Ölpreis in den Keller. Der tiefe Marktpreis erhöht darauf die Nachfrage nach Ölprodukten wieder und lässt politische Massnahmen zur Förderung von Effizienz und erneuerbarem Energieeinsatz verpuffen. Zudem subventionieren viele Staaten fossile Energieträger direkt und indirekt immer noch weit stärker als erneuerbare Energieträger.

Der Politik fehlt es an Konsequenz

Drittens ist die Politik selbst nicht konsequent. 1982 übernahm die Wirtschaft den aus der Holzbranche stammenden Begriff "Nachhaltigkeit", wonach niemand mehr Holz ernten soll, als nachwächst, und definierte daraus ein "Gleichgewicht aus Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft". Der Weltenergierat als Dachverband der Energielobby erweiterte diese neue Beliebigkeit später zum "Energy-Trilemma". Dieses besteht aus den Eckpunkten "Sichere Energieversorgung, Energie-Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit".

In der Praxis aber gewichtet der Energierat die kurzfristigen Interessen nach ausreichender und billiger Energieversorgung höher als das langfristige Interesse an einem stabilen Weltklima. Dabei beruft er sich primär auf die Ansprüche der Entwicklungs- und Schwellenländer, die heute pro Kopf noch weniger Energie konsumieren können und weniger CO2 verursachen als die nimmersatten Industriestaaten.

Selbst in der EU, die als Vorreiterin in Sachen Umweltschutz gilt, herrsche in Sachen Klima- und Energiepolitik eine "konstruktive Mehrdeutigkeit", analysierte der deutsche Hochschuldozent Oliver Geden an einer Tagung des Europaforums in Luzern. Dahinter steckten "grosse, aber verdeckte Widersprüche" zwischen unverbindlichen Erklärungen zum langfristigen Klimaschutz und harter Interessenvertretung, wenn es um kurzfristige nationale Energieinteressen geht.

Der Klimapolitik fehlt der ökonomische Hebel

Daraus folgt der vierte und zentrale Grund: Im Unterschied zum – wachstumsorientierten – Energiemarkt fehlt der Klimapolitik, die den Ausstoss der Treibhausgase und damit den fossilen Energiekonsum senken soll, der ökonomische Hebel. Während Öl- und Gaskonzerne, getrieben von Aktionären und Wachstumszwängen, ihren Umsatz und Profit steigern wollen, fehlt ein betriebswirtschaftlicher Anreiz, den Ausstoss an CO2 zu senken. Ökonomische Anreize zum Klimaschutz liessen sich zwar schaffen, etwa mit einer griffigen globalen Energie- und CO2-Lenkungsabgabe oder einem Emissionshandel mit zielkonform sinkenden CO2-Kontingenten.

Linke und Grüne fordern solche ökonomischen Instrumente seit Jahrzehnten, scheiterten aber stets am Widerstand der fossilen Energielobby und ihren Sachwaltern in Regierungen und Parlamenten. Doch solange solche wirksamen Mittel verhindert werden, bleiben Klimaziele unwirksam und alle klimapolitischen Bekenntnisse leeres Geschwätz.

Artikel (09. April 2019) mit freundlicher Genehmigung von Infosperber.ch  

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Kommentare (2) anzeigenausblenden 

0 #Christoph Weise2023-05-03 08:00
Die Klimapolitik ist wirkungslos, weil die Summe der Mehremissionen die Summe der Minderemissionen übersteigt. Aktuelle Treiber für die Mehremissionen sind unter anderem die industriellen Anstrengungen für die Klima- und Mobilitätswende, der Ukrainekrieg und die Sanktionspolitik des Westens. Bedeutsam ist auch die meines Erachtens unwissenschaftliche Ausklammerung der Emissionen aus Lungenatmung von Menschen und Säugetieren (ca. 15 Milliarden Tonnen CO2 p.a.), welche durch Bevölkerungswachstum weiter zunehmen.
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0 #Karsten Wehrmeister2019-08-06 17:00
Es ist leider so, dass sich Umweltschutz noch nie wirtschaftlich gelohnt hat und dies kann auch durch KEIN einziges Instrument je erreicht werden!!!! Warum ich mir da so sicher bin ist total simpel: Gewinne lassen sich immer nur durch ein Grundprinzip erreichen, sich den "Mehrwert von Irgendetwas" bezahlen lassen. Dies kann im Bereich Umweltschutz niemals erreicht werden, denn der sog. Mehrwert besteht in Lebensgarantie, -qualität und -vielfalt! Das sind alles keine generell zu bestimmenden Grössen und daher hat es in der Vergangenheit auch noch nie funktioniert. In die Umwelt muss einfach nur investiert werden und zwar inzwischen soviel, das niemand dies tun will. Leider gibt es überhaupt gar keine Alternative, obwohl genau danach gesucht wird. Es bleibt nur eine einzige Lösung: die grundsätzliche Abkehr vom Geld und von der Wirtschaft!! Dies ist natürlich absolut unmöglich und wird immer mit Kriegen bekämpft werden. Was bleibt?
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