umweltnetz-schweiz: Der Verein «KlimaSeniorinnen» gibt es seit August 2016. Auf Ihrer Homepage steht: “Wir KlimaSeniorinnen setzen uns für den Schutz unserer Grundrechte, insbesondere auf unser Recht auf Leben ein. Damit engagieren wir uns für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlage für uns, unsere Enkelkinder und alle zukünftig Lebenden.“ Sie bezeichnen sich auch als Betroffenen-Verein. Wie werden Sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Pia Hollenstein: Viele unterscheiden gar nicht, ob wir alt sind oder nicht. Bisher hörte ich praktisch keine negativen Reaktionen. Wir werden als sympathisch wahrgenommen, als unermüdliche Kämpferinnen. Und das sind wir ja eigentlich auch.
Unterdessen sind wir weitherum bekannt; das sehen wir, wenn wir Stände haben oder andere Anlässe. Da gibt es doch einige, die uns schon kennen. Wir haben inzwischen Mitglieder in der ganzen Schweiz. Dank einem neuen Vorstandsmitglied sind wir seit kurzem auch im Tessin verankert. Sie wohnt im Tessin, ist aber Bernerin. Sie schafft die Verbindung zum Tessin und hat gute Beziehungen zu aktiven Frauen im Tessin.
Wir sind im positiven Sinne als Frauen bekannt, die sich wehren und sich nicht alles gefallen lassen. Und dass wir auf die Demokratie setzen. Darüber staunen die Leute, dass wir einen demokratischen Weg gehen. Zusammenfassend kann man sagen, wir haben hohen Respekt, gerade auch bei der Jugend. Die Jugendlichen sehen sich bestärkt.
Nur Frauen im Pensionsalter können Mitglied in Ihrem Verein werden. Wäre es gut, wenn die Männer eine eigene Gruppe gründen würden?
Die Männer sind nicht primär mehr betroffen als andere. Die gesundheitliche Betroffenheit bei den häufiger und intensiver werdenden Hitzewellen ist bei älteren Frauen am höchsten. In Hitzeperioden zeigen sich bei älteren Frauen – mehr als bei anderen Personengruppen – vermehrt gesundheitliche Leiden wie Herz- und Kreislaufprobleme und während Hitzeperioden 2003 starben übermässig viele ältere Frauen.
In ganz vielen Ländern gibt es Organisationen und Einzelleute, die den jeweiligen Staat wegen Unterlassung von Massnahmen im Klimawandel anklagen. Die Frage für uns war, wie man in der Schweiz rechtlich vorgehen muss. Darin hat uns Greenpeace unterstützt.
Wir haben als erstes einen Verein gegründet, um klageberechtigt zu werden. Unser Klagerecht stützt sich ausserdem auf die persönliche Betroffenheit der älteren Frauen. Mit dieser Argumentation sind die Männer tatsächlich nicht klageberechtigt. So bringt es nichts, wenn sich die Männer noch separat zusammentun. Was wir erreichen, dient schliesslich allen, auch der zukünftigen Generation.
In dieser Klage fordern Sie Massnahmen. Was für Massnahmen sind das und wie konkret sind sie?
Das mussten unsere Anwältinnen auch zuerst herausfinden, bevor wir die Klage in einem ersten Schritt beim UVEK eingereicht haben. Grundsätzlich geht es um technische Massnahmen zur Verminderung der CO2 – Emissionen. Unsere Anwältinnen haben geprüft; wo ist was nicht erfüllt, obwohl es eine Vorgabe gibt. In den Bereichen Verkehr, Gebäude und Brennstoffe sind sie fündig geworden. In der Klageschrift wird das recht detailliert dargelegt. Die eingereichte Klage kommt zum Schluss, dass der Bundesrat seine jetzige Pflicht nicht erfüllt. Das ist das eine. Es gibt Vorschriften, aber was er beschlossen hat, reicht hinten und vorne nicht.
Der Bundesrat hat die Klage ja abgewiesen. Wir haben sie jetzt ans Bundesgericht weitergezogen. Das Bundesgericht prüft nun, ob der Bundesrat richtig gehandelt hat.
Wie sehen Sie die Chancen, dass die KlimaSeniorinnen gewinnen?
Wir haben vom Bundesgericht noch nichts gehört. Allerdings wurde neulich eine Entscheidbesprechung in der Zeitschrift “Aktuelle juristische Praxis“ veröffentlich, die zeigt, dass wir gute Chancen haben, zu gewinnen.
Bei der Klage ist es uns wichtig, dass wir uns auf die Grundrechte berufen. Das machen andere ja weniger. Damit grenzen wir uns zu anderen ab.
Diese Punkte sind auch in der Klageschrift: das Recht auf Leben in der Bundesverfassung Art. 10, das Nachhaltigkeitsprinzip und das Vorsorgeprinzip im Umweltschutz. Und dann sind da noch einige Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention, die bedeutend sind.
Diese Klage ist ja nicht die einzige Aktivität, die Ihr Verein ausübt.
Wir sind in verschiedenen Bereichen aktiv. Ein Höhepunkt war sicher die Wanderung der KlimaSeniorinnen im August 2018 zum Brunnifirn-Gletscher. Unterwegs fand die Vernissage unseres Buches “Das Klima fiebert, die Gletscher weinen“ mit Beiträgen von bekannten Kunst- und Kulturschaffenden aus der Schweiz statt. Die KlimaSitzBank in Schaffhausen ist in diesem Jahr eine weitere öffentliche Aktion.
Was beinhaltet diese Aktion und welche Erfahrungen haben Sie bis jetzt mit dieser SitzBank gemacht?
Die Stadt Schaffhausen hat ein Sitzbankkonzept. Alle, die wollen - also Organisationen, Vereine usw. - , können eine Bank kaufen und selber gestalten. Diese sind in der Altstadt verteilt. Auch wenn es teuer ist, haben wir beschlossen, auch eine zu übernehmen. Die Aktion läuft von Mai bis Oktober.
Bisher gab es immer wieder gute Gespräche. Es interessieren sich nicht nur ältere Menschen dafür. Einerseits kommen Leute aller Altersgruppen, die etwas wissen wollen, andere setzen sich einfach mal hin. Es sind auch Flyer bei der Bank deponiert. Letzthin haben wir dort Unterschriften für die Gletscher-Initiative gesammelt.
Es kommt gut an, jedenfalls hat es sich gelohnt, da mitzumachen. Im Herbst wird dann die Bank versteigert. Sie ist aber ziemlich gross und sehr schwer, weil sie im Innern mit Sand befüllt ist, um Diebstähle zu verhindern.
Neben Ihren Klima-Aktivitäten geben ja auch die Fridays for Future der jungen Generation zu reden. Was halten Sie davon und gibt es einen Dialog mit den Jungen?
Ich finde das natürlich mega gut, und wir freuen uns, dass wir in unserem Anliegen Unterstützung haben. Wir waren zwar zuerst in der Öffentlichkeit, aber wir finden das sehr gut, und wir arbeiten auch sehr gut zusammen.
Ich habe natürlich keinen Klimastreiktag in St. Gallen verpasst. Ich habe da auch schon geredet. Auch den Jugendlichen ist es ein Anliegen, dass man gut vernetzt ist, dass man sich gegenseitig unterstützt. An anderen Orten werden wir für Vorträge angefragt. An einem Filmabend mit Podium in Frauenfeld wurde ich als Vertreterin der KlimaSeniorinnen eingeladen. Vor etwa einem Monat nahm ich an einem grossen Podium der Jungen Grünen teil, weil ich KlimaSeniorin bin. Die Jungen finden es vielleicht etwas komisch, aber auch lässig, dass wir auch am Thema dran sind. Die “Zwischengeneration“ distanzieren sich ja und delegiert das Problem an die Jungen; das sei ihre Sache. Wir Alt68er denken halt weniger so. Auch mit der Klimaallianz sind wir in Kontakt. Mit all diesen Umweltorganisationen sind wir schon gut vernetzt.
Und ich glaube, wir werden auch deshalb so positiv aufgenommen, weil wir keine politische Partei sind. Die Jugendlichen grenzen sich ja von den Parteien ab. Wir sind als KlimaSeniorinnen gefragt, da wir ausschliesslich für das Thema Klima arbeiten und keine anderen Themen haben. Sie müssen sich nicht überlegen, passt uns das oder nicht. Es ist einfach klar.
Nicht nur in der Deutschschweiz sind wir mit den Jugendlichen gut vernetzt, auch im Welschland haben wir eine sehr gute Präsenz. Die Verantwortliche Anne Mahrer, Alt-Nationalrätin von Genf, geht an Unis referieren, an der Uni Neuenburg sprach sie zu den Studis und sie wurde auch schon nach Paris eingeladen. Im Welschland läuft in dieser Beziehung fast noch etwas mehr.
In der Deutschschweiz organisieren wir meist selber Informationsanlässe. Gefragt sind zum Beispiel auch Artikel für Zeitschriften der verschiedenen Altersvereinigungen.
Welche Vision haben die KlimaSeniorinnen für die Zukunft?
Vision und Hoffnung, dass wir die Klage gewinnen. Ich bin da optimistisch, dass wir grosse Chancen; spätestens wenn wir an den Europäischen Menschenrechtshof gelangen. Da sind uns die Holländerinnen mit der Stiftung Urgenda vorausgegangen. Mein Ziel ist es, zu gewinnen, und ich setze auch viel Zeit dafür ein. Nicht um des Gewinnens willen, sondern damit mehr Massnahmen eingeleitet werden und wir nicht alles verpassen. Und wenn ich sehe, was so weltweit geht: Wir müssen gewinnen! Es geht hoffentlich nicht zu lange, aber wir sind aus meiner Sicht auf der richtigen Schiene.
Und die Vision für Sie persönlich?
Ich hoffe, ich erlebe das noch (lacht). Meine Vision ist identisch mit der Vision des Vereins. Und ich finde, wir haben mit den Jungen eine gute Aufteilung gefunden. Sie sagen: es ist unsere Zukunft, und wir weisen auf die Relevanz der Grundrechte in der Klimadebatte hin.
Herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.
Zweck des Vereins (Auszug aus den Statuten des Vereins KlimaSeniorinnen):
Der Verein bezweckt die Förderung und Realisierung eines wirksamen Klimaschutzes im Interesse seiner Mitglieder, allesamt ältere Frauen, die eine Bevölkerungsgruppe repräsentieren, die in Bezug auf ihre Gesundheit besonders von der Klimaerwärmung betroffen ist. Der Verein setzt sich dafür ein, dass die Treibhausgasemissionen in der Schweiz mindestens so stark gesenkt werden, wie es zur Vermeidung einer gefährlichen, menschenverursachten Klimaerwärmung seitens der Schweiz nötig ist. Die verantwortlichen Behörden sollen zeitnah Treibhausgasreduktionsziele, die mindestens den anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen und völkerrechtlichen Beschlüssen entsprechen, beschliessen und Massnahmen umsetzen, die die Treibhausgasemissionen tatsächlich im angestrebten Umfang vermindern. Dies insbesondere, um heute und zukünftig lebende ältere Frauen vor gesundheitlichen Schäden zu schützen. Der Verein setzt sich damit im Interesse der älteren Frauen, aber auch im Interesse der Öffentlichkeit und zukünftiger Generationen, für einen wirksamen Klimaschutz ein.
weitere Informationen:
Klage der KlimaSeniorinnen
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