Stauseen statt Gletscher?

Der Grosse Aletschgletscher wird bald nicht mehr so gross sein Der Grosse Aletschgletscher wird bald nicht mehr so gross sein

Mit der Erderwärmung steht zu befürchten, dass noch in diesem Jahrhundert die meisten Gletscher von der Erdoberfläche verschwunden sein werden– und damit auch wichtige Süsswasserspeicher. Wissenschaftler debattieren, ob man die schwindenden Eismassen in Stauseen auffangen könnte.

Mit unseren Gletschern verlieren wir wichtige Wasserspeicher

In den kommenden Jahrzehnten wird die Mehrheit der Gletscher weltweit stark abschmelzen. Damit gehen nicht nur prächtige Naturphänomene verloren, sondern auch wichtige Glieder im Wasserkreislauf. Die Eismassen in den Hochgebirgen sind wichtige Wasserspeicher, die die Flüsse im Frühling und Sommer mit Schmelzwasser versorgen. Ohne sie werden Flüsse im Sommer deutlich weniger Wasser führen, was in vielen Regionen zu Problemen mit der Wasserversorgung führen wird.
Wissenschaftler debattieren deshalb über die Möglichkeit, die schwindende Speicherfunktion der Gletscher künftig mit Stauseen zu ersetzen. Im Rahmen der Bestrebungen, künftig die fossilen Energieträger zu ersetzen, würden solche Stauseen zudem ein grosses Potenzial für die Wasserkraftproduktion bieten.

Künftig Stauseen anstatt Gletscher?

Zu dieser Diskussion trägt eine Gruppe von Glaziologen der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) Zahlen bei: In einer Studie untersuchten die Wissenschaftler das weltweite Potenzial für Wasserspeicher und Wasserkraft in Gletschergebieten, die im Laufe dieses Jahrhunderts eisfrei werden dürfte.
In dieser Studie analysierten die Forscher 185‘000 Gletscher weltweit. Sie berechneten ein theoretisches Gesamt-Speicherpotenzial von 875 Kubikkilometern (km3) und ein maximales Wasserkraftpotenzial von insgesamt 1350 Terawattstunden (TWh) pro Jahr.

„Dieses theoretische Gesamtpotenzial entspricht etwa einem Drittel der heutigen, weltweiten Wasserkraftproduktion. Doch nur ein Teil davon wäre in der Realität tatsächlich realisierbar“.
Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich

Nach einer ersten Eignungsprüfung der einzelnen Gletscherstandorte schätzen die Forscher rund 40% des theoretischen Gesamtpotenzials als «möglicherweise geeignet» ein. Dies entspräche etwa 13% der heutigen weltweiten Wasserkraftproduktion oder dem Neunfachen des jährlichen Elektrizitätsbedarfs der Schweiz. Die neuen Stauseen könnten somit zur weltweiten Wasserkraftproduktion beitragen und zumindest teilweise dem drohenden Wassermangel in den Gletschergebieten entgegenwirken.
Das Speicher- und Wasserkraftpotenzial ist jedoch von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich. Besonders gross sei das Potenzial in Tadschikistan, wo neue Stauseen und Wasserkraftanlagen rund 80% des aktuellen Elektrizitätskonsums ausmachen könnten, in Chile 40% und in Pakistan 35%. Für die Schweiz berechneten die Forscher ein Potenzial von 10%.

Unbekannte Konsequenzen

Doch Vorsicht ist geboten: Die Folgen solch massiver Veränderungen für die örtlichen Ökosysteme sind noch gänzlich ungeklärt. Die neu errichteten Talsperren vor den aktuellen Gletscherzungen würden zahlreiche technische, ökonomische und ökologische Probleme mit sich bringen. Das Forschungsteam warnt, dass die Stauseen lediglich einen kleinen Teil des gesamten Problems beheben würden. Einerseits müsste man das Wasser der einzelnen Alpengletscher auf irgendeine Weise zu einem der grossen bestehenden Dämme befördern. Andererseits deuten die Resultate der Studie darauf hin, dass die Staudämme nur etwa die Hälfte des gesamten Wasserverlustes aufhalten könnten. Weitere lokale Studien sind notwendig, um die genauen Risiken zu erfassen und alle Vor- und Nachteile abzuwägen.

Da die Wasserkraft in der Schweiz eigentlich bereits voll ausgebaut ist, gilt es abzuwägen, welche bestehenden Ökosysteme und Lebensräume mit dem Bau neuer Stauseen für immer verloren gehen würden. Sinnvoller ist der gezielte Ausbau der anderen erneuerbaren Energieträger.

Vorerst gilt es, den Klimawandel schnellstmöglich aufzuhalten und unsere unersetzbaren Gletscher zu schützen.

 


Quellen und weitere Informationen: 
Mitteilung der ETH: Grosses Speicherpotenzial künftig eisfreier Gletscherbecken
Farinotti et al. (2019): Large hydropower and water-storage potential in future glacier-free basins

  
  
  

   
 
 
 

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Kommentare (1) anzeigenausblenden 

0 #Uwe Scheibler2020-11-10 10:20
Seltsam, auch Naturwissenschaftler denken vorzugsweise statisch! Obwohl immer deutlicher wird, dass der Mensch recht ungeschickt seine eigenen natürlichen Lebensgrundlagen manipuliert, wird immer noch versucht, den Status Quo aufrecht zu erhalten. Erstens wissen wir inzwischen, dass mit der Wasserkraftnutzung eine massive Umweltbelastung und -zerstörung verbunden ist und wir diese Energie dank umweltschonenderen Alternativen gar nicht mehr brauchen, zweitens kann die Wasserknappheit als Chance für eine global tragfähige Bevölkerungssteuerung genutzt werden und drittens wären die notwendigen Infrastrukturen in meist sensiblen Gebieten selber mit riesigen Material- und Energieaufwänden verbunden (welche die auslösenden Faktoren der Umweltkrise wieder verstärkten).
Es erstaunt doch immer wieder, dass solch eindimensionales Denken ungeprüft in die Welt hinaus posaunt wird. Und das notabene von einer Hochschule, die sich eine nachhaltige Entwicklung auf die Fahne geschrieben hat!
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