Der zweite Teil des sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (engl. Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) wurde am vergangenen Montag 28. Februar 2022, veröffentlicht. Die Aussichten sind düster. Auf knapp 3’700 Seiten trägt der Weltklimarat den aktuellsten Forschungsstand zu den Folgen des Klimawandels zusammen. Schon die 35-seitige Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger zeigt klar: Die Menschheit macht viel zu wenig für den Klimaschutz.
„Die Fakten sind unbestreitbar, wir müssen jetzt handeln. Ein weiteres Aufschieben des Klimaschutzes bedeutet den Tod.“
António Guterres, UN-Generalsekretär
Risiken noch und nöcher
127 Schlüsselrisiken, unter anderem die Zunahme an Hitzetoten, der Anstieg der Schäden durch Hochwasser und die verminderte Bewohnbarkeit bestimmter Regionen werden in der Veröffentlichung identifiziert. Schon heute leben bis zu 3,6 Milliarden Menschen in einem Umfeld, das durch den Klimawandel stark gefährdet ist. Weitreichende Risiken und Schäden sind vielerorts selbst bei einem Temperaturanstieg von „nur“ 1,5°C nicht mehr vermeidbar. In Zukunft werden sich vermehrt auch mehrere Risiken gegenseitig aufschaukeln, was die Klimakrise zusätzlich verkompliziert.
UN-Generalsekretär António Guterres warf der internationalen Gemeinschaft in einer Medienmitteilung vor, die Klimakrise immer noch nicht ernst genug zu nehmen. „Dieser Verzicht auf Führung ist kriminell“, erklärte Guterres. Die weltgrössten Emittenten von Treibhausgasen machten sich „der Brandstiftung an unserem einzigen Zuhause schuldig.“
Was ist der Sachstandsbericht des Weltklimarats?
Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), oft als Weltklimarat bezeichnet, ist eine Institution der Vereinten Nationen. In regelmässigen Abständen tragen Fachleute weltweit die aktuellen Kenntnisse zur Klimakrise zusammen — in den aktuellen Sachstandsbericht flossen Erkenntnisse aus 34’000 wissenschaftlichen Studien. Der IPCC soll Grundlagen für wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen bieten, indem er verschiedene Handlungsoptionen und deren Folgen aufzeigt, ohne dabei jedoch konkrete Lösungswege vorzuschlagen oder Handlungsempfehlungen abzugeben.
Ganze Ökosysteme verschwinden
Jeder Anstieg der Temperatur wird höhere Risiken für Mensch und Natur bedeuten — in allen Regionen der Erde. So wird das Artensterben und der Verlust von ganzen Ökosystemen (wie tropischen Korallenriffen und Feuchtgebieten) voranschreiten, wenn das Klima die 1,5°C-Grenze auch nur vorübergehend überschreitet. Je nach Ausmass und Dauer der Überschreitung werden gewisse Folgen unumkehrbar, selbst wenn die globale Erwärmung anschliessend wieder reduziert würde.
Steigt die Erderwärmung über die 1,5°C auf 3°C — wie es dem gegenwärtigen Trend entspricht —, verstärkt sich das Risiko des Artensterbens um das zehnfache. Dies sei gefährlich für Menschen auf der ganzen Welt, weil lebensnotwendige Funktionen von intakten Ökosystemen (wie saubere Luft und Gewässer, fruchtbare Böden und der Schutz vor Naturgewalten wie Stürmen, Hitze und Erosion) dadurch gefährdet sind.
Europa bleibt nicht verschont
Die bisherige globale Erwärmung um 1,1°C habe bereits „Auswirkungen auf natürliche und menschengemachte Systeme in Europa“, heisst es. So seien Hitzewellen und Dürren bereits jetzt häufiger geworden. In Zukunft kämen vor allem auf südeuropäische Regionen weitreichende negative Folgen des Klimawandels zu. Die IPCC identifiziert hier vier Schlüsselrisiken: Hitzewellen, die das Risiko schwerer Gesundheitsschäden und Tode massiv steigern. Dazu kommen der Hitzestress für die Nahrungsmittelpflanzen sowie Wasserknappheit und Überflutungsrisiken, die bis zum Jahr 2100 bei einem weiteren Fortschreiten der gegenwärtigen Erwärmung allein zu einer Verzehnfachung der Küstenschäden führen würden. Eines der im Bericht durchgespielten Szenarien kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2050 bis zu 183 Millionen Menschen zusätzlich an Unterernährung leiden könnten.
Gibt es noch Hoffnung?
Zwar gebe es teils wirksame Massnahmen, spätestens ab einer Erderwärmung von 3°C oder mehr sei ein solcher Schutz aber „nur noch begrenzt möglich“. Die Zahl der Hitzetoten in Europa dürfte sich laut IPCC bei einer Erwärmung um 3°C im Vergleich zu einem 1,5°C-Szenario etwa verdoppeln oder verdreifachen. Dann würden auch die Gesundheitssysteme an Grenzen stossen. Ab dann gebe es auch starke Auswirkungen auf Ökosysteme im Meer und an Land.
Viele Massnahmen, die heute angestrebt werden, legen laut IPCC den Schwerpunkt auf die unmittelbare und kurzfristige Verringerung des Klimarisikos, was die Investitionen in eine langfristig wirksame Anpassung verringert. Eine Reihe von finanziellen, politischen und institutionellen Einschränkungen seien anzugehen.
Die Zeit geht uns schneller aus als gedacht
Der neue Bericht des Weltklimarats ist ein unüberhörbarer Weckruf: Bei jeder weiteren Verzögerung in Sachen Klimaschutz und der Anpassungen an den Klimawandel werde sich das Fenster der Gelegenheit schliessen, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft zu sichern. Die Klimarisiken stellen sich nach Zusammentragung aller aktuellen Forschungsberichte als noch gravierender heraus als bisher angenommen.
Schweiz muss mit gutem Beispiel voran
Als technologisch (hoch)entwickeltes und wirtschaftlich stabiles Land muss die Schweiz mit gutem Beispiel vorangehen und den Klimaschutz nicht noch weiter vor sich herschieben. Die Folgen unserer Untätigkeit trägt die ganze Weltgemeinschaft von Menschen, Tieren und Pflanzen. Als klimatisch besonders fragiles Land aber vor allem auch wir selbst.
Quellen und weitere Informationen:
IPCC: AR6 Synthesis Report