Die zunehmende Urbanisierung löst klimatologische Probleme aus. Neben der Luftverschmutzung gehört vor allem die immer grösser werdende Hitzebelastung dazu, die besonders für ältere Menschen gesundheitliche Probleme nach sich zieht. Die versiegelten Stadtflächen absorbieren die Sonnenstrahlung und heizen – als sogenannter Hitzeinseleffekt – die Umgebung auf. In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde die Erkenntnis, dass Grünflächen zur Kühlung beitragen, als Strategie zur Bewältigung von steigenden Temperaturen vermehrt von Stadtplanern und politischen Entscheidungsträgern aufgegriffen.
Das Konzept der vertikalen Bewaldung
Bäume mit grossen Kronen vermögen besonders viel Schatten zu spenden und kühlen die Temperaturen lokal stark ab. Grössere bewaldete Parks sind allerdings eher selten mitten in einer Grossstadt zu finden – das Land ist begrenzt. Alternativ bieten sich vertikale Varianten wie begrünte Wände an, die für die Vegetation keinen zusätzlichen Platz beanspruchen. Seit einiger Zeit existieren ausserdem sogenannte vertikale Wälder, welche oft eine grosse Anzahl an Pflanzen in die Architektur eines Hochhauses integrieren.
Das Konzept (oder zumindest die Idee) eines vertikalen Waldes ist nicht neu: Die aufwändig gestalteten Hängenden Gärten von Babylon (im heutigen Irak) zählen zu den sieben Weltwundern der Antike. Zudem begannen Menschen bereits vor etwa 2000 Jahren damit, Weinreben nicht nur für den Fruchtertrag, sondern auch als Kühlung an Gebäudefassaden hochwachsen zu lassen.
Ein begrüntes Gebäude sieht schon einmal besser aus, als wenn da nur ein Betonklotz stehen würde. Ein bisschen Natur mitten in der Stadt, das sich noch dazu im Laufe der Jahreszeiten ändert und das Stadtbild bereichert.
Grüne, architektonische Meisterleistung
Der italienische Architekt Stefano Boeri hat 2014 das damals äusserst innovative und mehrfach ausgezeichnete Projekt Bosco Verticale gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Botanikern, Ethologen und Landschaftsarchitekten iniziiert. Es besteht aus zwei Wohntürmen von 80 bzw. 110 Metern Höhe im mailändischen Stadtteil Porto Nuova. Grundlegend dafür waren die Überlegungen zum Zusammenleben von Menschen, Flora und Fauna mit dem Ziel einer nachhaltigen Stadtgestaltung. Der Bosco Verticale beherbergt eine reiche Artenvielfalt, unter anderem unzählige Insekten und auch Vögel. Die Pflanzen selbst werden in vorspringenden Kübeln gepflanzt, die je nach Art hängen oder weit in die Höhe wachsen. Eine besondere Herausforderung bestand darin, das Gewicht stützen zu können: Über 20‘000 Pflanzen, darunter 900 Bäume aus mehr als 90 Arten schmücken die Balkone des Hochhauses, darunter auch grosse Baumarten mit einer Höhe von bis zu neun Metern – zum Zeitpunkt der Pflanzung. So mussten Stahl- und Betonverstärkungen eingebaut werden, die für ihre Herstellung grosse Mengen an CO2 erfordern und – wie Kritiker bemängeln – nicht durch die Sauerstoffproduktion des Gebäudes ausgeglichen werden können. Um das Gewicht zu minimieren, musste das Gewicht des Bodens reduziert werden, ohne dass das Wachstum der Bäume beeinträchtigt wurde.
Ebenfalls durchaus kompliziert ist die Wasserversorgung der Vegetation. Nicht nur ob der sehr grossen Anzahl an Pflanzen; diese sind zum Teil auch in beträchtlicher Höhe angesiedelt. Hier musste also ein ausgeklügeltes System her. Der Wasserbedarf der Pflanzen wird mithilfe eines Sondensystems überwacht. Eine digitale Fernsteuerung führt ihnen dann Regenwasser zu. Das gepflanzte Grün des vertikalen Waldes ist äquivalent zu einer 30‘000 Quadratmeter grossen horizontalen Waldfläche.
So wird ein eigenes Ökosystem gestaltet, das die Umweltqualität und das Mikroklima unterstützt. Als besonders vorteilhaft wird die verbesserte Energieeffizienz angesehen. Im Sommer muss die Klimaanlage weniger hart arbeiten, weil die Innentemperatur der Gebäude dank der Aussenvegetation um etwa drei Grad gesenkt wird, während umgekehrt auch kalte Wintertemperaturen abgeschwächt werden. Jährlich kann der Bosco Verticale durch die „Massen-Photosynthese“ 9 Tonnen Sauerstoff produzieren und gleichzeitig rund 14 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen.
Eine Innovation für die Zukunft
Mittlerweile sind dem ersten Projekt Stefano Boeris Dutzende weitere auf der ganzen Welt gefolgt: Natürlich an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasst. Singapur beispielsweise ist besonders bekannt für seine teils eigenwillige, moderne Architektur: Kaum eine andere Stadt investiert so viel in die Begrünung der Stadtflächen. Das wachsende Interesse und die innovative Forschung an solchen Konzepten deutet darauf hin, dass wir uns in Zukunft in der Stadt viel näher an der Natur fühlen werden als bis anhin.
Quellen und weitere Informationen:
Balany, F. et al. (2020): Green Infrastructure as an Urban Heat Island Mitigation Strategy
Pribadi, M.A. et al. (2021): Vertical forest: green open space alternative in urban area development
The Vertical Forest: a concrete utopia for the world, from Milan
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