Im letzten Teil des Lebenszyklus eines Kleidungsstücks steht dessen Wieder- und Weiterverwertung. Oder der Abfalleimer. In der Schweiz ist es mit guter Chance die Weiterverwertung: Von den rund 10 kg Kleidern, die wir durchschnittlich pro Kopf im Jahr konsumieren, landen 6 - 7 kg in Altkleidersammlungen. Jährlich addieren sich daraus etwa 50‘000 Tonnen an gebrauchter Kleidung, die von den grossen Altkleidersammlungen Texaid (Contex) und Tell-Tex eingesammelt werden. Diesen sind wiederum viele kleinere Sammlungen und Hilfsorganisationen angeschlossen; die Berg- und Winterhilfe beispielsweise, Samaritervereine oder auch das Schweizerische Rote Kreuz. Doch bei all unserer allgemeinen Spendefreudigkeit werden immer wieder Zweifel und Tadel am Gebaren der Kleidersammler laut.
Aus Alt mach Wert
Ein erster Vorwurf an die Altkleidersammler ist: Dass die gratis gespendeten Kleider dann an ihren Zielorten nicht gratis abgegeben werden – oder schon gar nicht dort, wo man sich das gewünscht hätte. Und ganz so falsch ist der Eindruck, dass jenseits der Sammelcontainer vom karitativen Charakter der Kleiderspende oft nur noch wenig zu spüren ist, nicht. Tatsächlich ist das Geschäft mit unseren abgelegten Textilien eben weitgehend auch das: Ein Geschäft. Das treibt dann Blüten wie jene, dass etwa in Deutschland plötzlich zunehmend Altkleiderverwerter in den Markt drängen, die sich schlicht als profitorientierte Unternehmen verstehen. Oder wie hierzulande, wo sich die Altkleidersammlungen in den Gemeinden gereizte Konkurrenzkämpfe um Containerstellplätze liefern.
Dennoch kann zumindest für die Schweiz gesagt sein, dass der karitative Gedanke im Marktgeschiebe nicht erdrückt wurde. Etwa zwei Drittel der gesammelten Kleider und Textilien sind in einem Zustand, der eine Weitergabe erlaubt. Und weitergegeben werden sie dann auch: Nach Afrika, Osteuropa und dem Nahen Osten hauptsächlich. (In der Schweiz selbst besteht nur kleiner Bedarf, der sich offenbar mehrheitlich über persönliche Weitergabe oder Flohmärkte abwickelt.) Vom restlichen Drittel muss wiederum ein Drittel - etwa 10% der Gesamtmenge - der "thermischen Verwertung" (sprich der Müllverbrennung) zugeführt werden. Alles Weitere wird ökologisch sinnvoll in Dämmmaterialien, Recyclinggarne oder Putzlappen usw. umgearbeitet.
Dass jetzt die gespendeten Hosen, Schuhe, Kapuzenshirts und Wollpullover an ihrem Bestimmungsort gehandelt, also verkauft werden, ist nicht einzig auf profithungrige Handelshaie zurückzuführen. Mindestens dürfte einleuchten, dass auch all das Sortierpersonal, die LKW-Fahrerinnen, Seeleute und Logistiker gern für ihre Arbeit bezahlt werden. Zwar lässt sich festmachen, dass sich die Profite der Altkleidersammlungen auch nach Abzug aller Aufwände durchaus noch sehen lassen können. Jedoch werden diese Profite in der Schweiz dann weitgehend (zu 90%, vermeldet Texaid) auf gemeinnützige Zwecke und Organisationen verteilt - speziell auch auf all die den grossen Sammlungen angeschlossenen Hilfswerke.
Was gehört in den Sammelcontainer und das Textiliensäckli?
- Saubere, funktionstüchtige Kleider und Unterwäsche aller Art; inkl. Leder- und Pelzwaren
- Saubere, funktionstüchtige Schuhe im zusammengebundenen Paar (keine Einzelexemplare und keine "Plastikschuhe" wie Skischuhe, Gummistiefel, Inlineskates u.ä.)
- Bett-, Tisch- und Haushaltswäsche; inkl. Feder- und Daunenbettwaren (aber keine Teppiche, Matratzen, Stoffreste)
- Stofftiere
Small Business in Afrika
Zusätzlich hält sich in der Diskussion um den Altkleiderhandel schon eine ganze Weile die Anschuldigung, dieser zerstöre insbesondere in Afrika das heimische, traditionelle Textilhandwerk. Ein einleuchtender Zusammenhang: Dass die Millionen Tonnen billiger Gebrauchtkleider Druck auf den lokalen Markt ausüben, ist nur logisch. Und tatsächlich ist die heimische Textilproduktion von beispielsweise Ghana in den letzten fünfzig Jahren stark eingebrochen - von ca. 25'000 Beschäftigten auf 2'500. Dennoch wurden diese Einbrüche wohl zu massiv geringeren Teilen von Kleiderspenden verschuldet als von der Vormachtstellung und den Billigexporten der asiatischen Textilproduktion. Dem gegenüber hat der Handel mit Second-Hand-Ware auch einen positiven Nebeneffekt:
In Nairobi in Kenia pendelt eine junge Frau ein bis zweimal wöchentlich auf den grossen Markt, wo die Mitumba, die grossen Kleiderbündel aus Westeuropa und den USA ankommen. Sie sucht sich dort für kleines Geld ihre Stücke heraus und pendelt zurück an ihren Wohnort, wo sie sie mit Aufpreis verkauft. Ihr Hin und Her schafft Wert: Es transportiert die Waren zu erschwinglichen Preisen an den Ort, wo sie gebraucht werden. Und es ist ein Geschäft, das keiner grossen Startinvestition bedarf und damit auch den finanziell Schwachen zugänglich ist. Etwa 200'000 Menschen allein in Kenia, so wird geschätzt, verdienen sich so ihren Lebensunterhalt.
Die Klagen über die Massen an Textilien, die aus unseren Kleidersammelsäcken nach Afrika usw. gelangen, gehen denn auch seltener von den "kleinen Leuten" aus, für die sie ja bestimmt sind, als von deren Regierungen. Vor allem zwei Motive stehen dahinter, die beide eine gewisse Berechtigung haben. Da wünschen sich die Einen, in ihrem Land eine Textilindustrie überhaupt einmal (oder wieder) aufzubauen: Ein Ansinnen, das durch die nicht abreissende Verfügbarkeit importierter Gebrauchtware gewiss nicht erleichtert wird. Für andere Regierungsvertreter ist es zudem eine Frage des Stolzes und der Würde: Weshalb sollen ihre Leute ständig in den abgetragenen Kleidern irgendwelcher Hinwiler Hipster und Solothurner Soccermoms herumlaufen?
Gebraucht und grün gewaschen?
Insgesamt bleibt die Altkleiderspende gleichwohl sinnvoll. Aus der ökologischen Sicht ist sowieso wenig einzuwenden: Der Hebel ist weit zuvor bei der überdimensionierten Textilproduktion, bei deren Produktionsbedingungen und dem massiv angeheizten Kleiderkonsum anzusetzen. Dies festgestellt, soll die Aufmerksamkeit auf eine Entwicklung im Gebrauchtkleidergeschäft gelenkt sein, die Zweifel an ihrem umfassenderen Nachhaltigkeitszweck weckt.
Kommt ein Textil-Recyclingriese daher und richtet in den Filialen grosser Kleidergeschäfte seine eigene Altkleidersammlung ein, I:Collect mit Namen. Gute Idee. Er fügt dem dann aber ein Zückerchen bei, das die Idee gleich wieder auf den Kopf stellt. Er gibt für die abgegebenen Kleider einen Gutschein aus, einzulösen ab einem bestimmten Kaufbetrag beim jeweiligen Retail-Partner. Das ist gute Kundenbindung, aber im ökosensitiven Sinn fragwürdig; das Projekt schafft damit fortgesetzte Konsumanreize, die dann auch das Motiv verstärken, "alte" Kleider schneller durch die unentwegt eintreffenden neuen Modelle zu ersetzen. Noch angefügt, dass sich der karitative Gedanke in diesem Angebot vergleichsweise bescheiden ausnimmt, kann aber immerhin bestätigt sein, dass hier Recycling stattfindet. Nur sollten wir unser Gutes Gewissen bei der Abgabe des A3-Säckchens Altkleider an I:Collect fragen: Habe ich die Teile jetzt gespendet? Oder habe ich sie verkauft?
Weitere Infos und Quellen:
Textilsammlung - eine Auslegeordnung
BAFU Informationen Altkleidersammlung
fashionunited.ch: Was Altkleider für Afrikas Wirtschaft bedeuten
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