Der US-amerikanische Onlineversandhändler Amazon ist eines der grössten Unternehmen weltweit. Der Vertreiber bietet um die 280 Millionen verschiedene Produkte auf seiner Plattform an, grösstenteils von externen Händlern, aber immer häufiger auch eigene. Die Artikel werden in Logistik-Zentren gelagert und auf Bestellung direkt zu den Kunden nach Hause versendet. Zusätzlich bietet Amazon die Entsorgung von zurückgeschickten und nicht verkauften Artikeln an.
Entsorgen statt Lagern
Im schottischen Städtchen Dunfermline steht eines der grössten Lagerhäuser von Amazon. In diesem werden Produkte aussortiert -vor allem nicht verkaufte Ware von Dritthändlern – die später im Müll landen sollen.
Artikel, welche Amazon zwischenlagert, müssen in einem bestimmten Zeitraum verkauft werden, da ansonsten eine zusätzliche Langzeitlagergebühr anfällt. Vernichtet, statt weiterverkauft oder recycelt, wird daher aus Kostengründen: Monatlich kassiert Amazon Lagergebühren von 26 Euro pro Kubikmeter ein, während der Weihnachtszeit sogar 36 Euro. Bereits nach sechs Monaten Lagerung steigt die Gebühr auf 500 Euro, nach einem Jahr auf 1000 Euro pro Kubikmeter. Um die Langzeitgebühr einzusparen, können Händler ihre Produkte von Amazon entsorgen lassen, wobei pro Einheit 20 Cent berechnet werden. Eine Rücksendung zum Händler hingegen kostet 25 Cent.
Recherchen der Wirtschaftswoche ergaben, dass eine Mitarbeiterin täglich Waren von 23 000 Euro entsorgt, beziehungsweise zur Zerstörung aussortiert hat. Darunter waren Grossgeräte wie Spül- und Waschmaschinen sowie Autoreifen, ganze Möbel und Matratzen. Die Artikel waren neuwertig, teils mit kleineren Macken, aber völlig funktionstüchtig. Über ein Softwaretool wird die Ware in zwei Kategorien eingeteilt: einerseits «Liquidation», damit der Müll auf Deponien oder ganz selten auf Recyclingstationen abtransportiert wird oder andererseits «Crash», damit die Ware zerstört und in Container geschmissen wird.
Der schuldige Kunde?
Amazon selbst bestreitet diese Praxis nicht und meint, dass sich das Unternehmen engagiere, um Warenabfall zu vermeiden. Sie würden kontinuierlich an einer verbesserten Nachfrageprognose arbeiten, um die Anzahl nicht verkaufter Produkte zu minimieren. Jedoch stellt sich hier das Erstellen eines Algorithmus als schwierig heraus, da Kunden oftmals mehrere Artikel zur Ansicht bestellen und vieles anschliessend wieder zurückschicken. Vor allem bei Kleidern ist dies der Fall: wer online Jeans bestellt, ordert meist eine Auswahl an Grössen und Farben. Nur ein Exemplar wird aber gekauft, der Rest kostenlos wieder zurückgeschickt. Millionen Pakete werden daher jährlich an Amazon zurückgesendet, die Verpackung aufgerissen und die Ware oftmals beschädigt. Ein Grund zum Wegwerfen wäre das allerdings nicht. “Amazon setzt allein auf schnellen Umsatz und hält deshalb den Platz im Regal für wertvoller als das Produkt darin“, meint auch Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz bei Greenpeace. „Doch all diese Produkte werden mit endlichen Ressourcen unter hohem Energieaufwand produziert und dann zum Teil sogar noch um die halbe Welt zu uns transportiert. In Zeiten der Klimakrise ist es nicht nur unmoralisch, sondern schlicht nicht mehr akzeptabel, vollkommen gebrauchsfähige neue Produkte zu zerstören.“
Wer ist im Recht?
Damit neuwertige Produkte bei Unternehmen nicht im Müll landen, gibt es in Deutschland seit dem Jahr 2020 eine so genannte Obhutspflicht, welche der Vernichtung von Neuware und Retouren entgegenwirkt. Diese soll „beim Vertrieb der Erzeugnisse, auch im Zusammenhang mit deren Rücknahme oder Rückgabe, dafür sorgen, dass die Gebrauchstauglichkeit der Erzeugnisse erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden“. Jedoch wird das Gesetz mangels Verordnungen bisher kaum umgesetzt. Auch Frankreich kennt ein ähnliches Gesetz, nach welchem unverkaufte Lebensmittel nicht weggeworfen werden dürfen. Eine vergleichbare Gesetzgebung wird nun auch für andere Güter, wie Kleidung, diskutiert.
Die Schweiz hingegen ist bisher weit entfernt von einer nachhaltigen Ressourcennutzung. Eine gesetzliche Grundlage, die das Wegwerfen von neuen Produkten verbietet, gibt es bislang nicht - eine Problematik, welche mit dem zunehmenden Onlinehandel noch grössere Ausmasse annehmen dürfte.
Amazon kann daher rechtlich gesehen keinen Vorwurf gemacht werden. Jedoch ist dieser fahrlässige Umgang mit unseren endlichen Ressourcen in Anbetracht der Klimakrise unmoralisch und verantwortungslos. Einmal mehr wird der Profit über die Vernunft gestellt.
Quellen und weitere Informationen:
NZZ: Amazon wirft eigene Produkte weg
Greenpeace: Ab in den Müll
Wirtschaftswoche: Die Folgen des Retouren-Wahnsinns im Online-Handel
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