In Wohlstandsländern wie der Schweiz wird oft vergessen, was man zum Leben wirklich braucht. Genügend Nahrungsmittel, eine gesicherte Trinkwasserversorgung sowie ein Dach über dem Kopf sind für den überwiegenden Teil der Bevölkerung so selbstverständlich, dass ihnen genügend Energie bleibt, sich an Nebensächlichkeiten zu stossen. Etwa daran, dass das Mobiltelephon nicht mehr zur neusten Generation gehört, das Auto zu wenig luxuriös oder die Jacht auf dem See noch immer ein Traum ist. Natürlich haben die Menschen in der Schweiz auch ernsthaftere Sorgen. Ein gesicherter Arbeitsplatz, Familie und Freunde, auf die man sich verlassen kann, und Anerkennung bei dem, was man tut, sind nicht immer gegeben. Schwierige Entscheidungen mit weitreichenden und letztlich unkalkulierbaren Folgen bereiten so manchen Gemütern Kopfzerbrechen oder schlaflose Nächte. Zivilisationskrankheiten wie Essstörungen, Bewegungsmangel oder stressbedingte Erkrankungen kommen nicht von ungefähr, sondern sind Ausdruck davon, dass auch das Leben im Wohlstand nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Auch ohne Hunger gibt es harte Momente, dunkle Tage und schwierige Lebensabschnitte.
Geld alleine macht nicht glücklich, ist aber keine schlechte Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Obwohl die Schweiz eines der reichsten Länder der Welt ist, verfügen auch bei uns nicht alle Menschen über genügend Mittel, um ihren Existenzbedürfnissen ohne fremde Unterstützung nachzukommen. Laut amtlicher Statistik gelten fast 10% der Bevölkerung als arm. Viele dieser Menschen, darunter auch zahlreiche mit Schweizer Pass, greifen zu vergünstigten Lebensmitteln, wie diese etwa in Caritas-Märkten angeboten werden. Dass die Nachfrage nach ermässigten Esswaren und Produkten des täglichen Bedarfs gestiegen ist, liegt allerdings nicht an überteuerten Lebensmitteln, sondern an allgemein hohen Lebenshaltungskosten. Bei uns wird ein Grossteil des Einkommens für Miete und Versicherungen, Mobilität und Telekommunikation sowie für Aus- und Weiterbildung ausgegeben. Auch Sport, Hobby, Mode und Lifestyle fallen ins Gewicht. Der durchschnittliche Schweizer Haushalt gibt weniger als 10% seines Budgets für Lebensmittel aus. In vielen Entwicklungsländern liegt dieser Anteil bei über 60%. Der Unterschied verdeutlicht das Gefälle zwischen dem hiesigen Lebensstandard und demjenigen in Entwicklungsländern. Die Armut in der Schweiz ist keine absolute, wie sie der ehemalige Präsident der Weltbank, Robert Strange McNamara, definiert hat:
Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äussersten Rand der Existenz. Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen, der unsere durch intellektuelle Fantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt."
Im Gegensatz zu absolut armen Menschen, die um das nackte Überleben kämpfen, kann der Konsument in der Schweiz, auch wenn er zu den weniger vermögenden gehört, in den allermeisten Fällen seine Existenzbedürfnisse nach Essen und Trinken befriedigen. Für den grössten Teil der Bevölkerung stellen Lebensmittel einen kleinen Teil der finanziellen Ausgaben dar. Dies mag eine Erklärung, jedoch keinesfalls eine Rechtfertigung oder Entschuldigung für die nach wie vor verbreitete Wegwerfmentalität und das grosse Ausmass der Lebensmittelverschwendung in zahlreichen Wohlfahrtsstaaten dieser Welt sein.
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