Mit den Lebensmitteln, die wir in Europa und Nordamerika wegwerfen, könnte jede hungernde Person auf der Welt drei Mal gesättigt werden. Die Verantwortung für diesen Missstand ist in der Landwirtschaft, in der Verarbeitungsindustrie, im Handel, jedoch insbesondere beim Verbraucher selbst zu suchen. Laut einer neuen Studie der ETH entstehen in der Schweiz pro Jahr 2 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle. Im Schnitt wird täglich eine Mahlzeit pro Haushalt weggeworfen, was 45 % des gesamten Lebensmittelabfalls ausmacht. Interessanterweise schätzt die Mehrheit der Haushalte den eigenen Verschleiss deutlich kleiner ein als er in Wirklichkeit ist. 1/3 des Lebensmittelabfalls entsteht bei der Verarbeitung. Der WWF veranschaulicht die aktuellen Forschungsergebnisse der ETH in einer interaktiven Grafik.
Dokumentarfilme wie z.B. „Taste the Waste“ (2010) haben uns in den letzten Jahren wiederholt auf den verantwortungslosen Umgang mit Lebensmitteln aufmerksam gemacht, der sich in unserer Wirtschaft und Gesellschaft offenbar „normalisiert“ hat. Ein Grossunternehmer erklärt, dass die immer strengeren Normen bezüglich der Verkaufbarkeit von Lebensmitteln (Vorgaben bezüglich Grösse, Form und Farbe von Frischwaren) in erster Linie nach den hohen Ansprüchen des Konsumenten ausgerichtet sind. „In den 60er Jahren hatten wir ein Versorgungsproblem und mussten hungrige Leute satt machen. Heute leben wir im Überfluss und müssen satte Leute hungrig machen. Das ist eine schwere Aufgabe“ (Zitat aus Taste the Waste, 2010). Die Kriterien richten sich oft nicht nach der Lebensmittelqualität, sondern nach dem äusseren Erscheinungsbild. Mindesthaltbarkeitsdaten beziehen sich oft nicht auf gesundheitliche Risiken, sondern auf „bestimmte Eigenschaften“ (z.B. die cremige Konsistenz eines Joghurts). In den letzten Jahren wurden Haltbarkeitsdaten verschiedener Lebensmittel deutlich verkürzt, laut Lebensmittelindustrie offenbar aus Gründen der Vorsicht.
In den 60 er Jahren hatten wir ein Versorgungsproblem und mussten hungrige Leute satt machen. Heute leben wir im Überfluss und müssen satte Leute hungrig machen. Das ist eine schwere Aufgabe.
Zitat aus Taste the Waste, 2010
Mittlerweile geben die Schweizer Konsumenten weniger als 10 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Dadurch nimmt die Wertschätzung der Nahrung spürbar ab und die Verschwendung wird grösser. Wie sieht es aus mit dem Recycling der Abfallmassen? In Japan wird aus den Resten hochwertiges Schweinefutter hergestellt und so viel Energie in der Produktion gespart. Dies ist aber in der EU seit 2006 verboten, aus Angst vor Tierseuchen. Hingegen werden die Reste teilweise zu Biogas oder Biodiesel verarbeitet, wie zum Beispiel bei der MIGROS; die Verbrennung wird möglichst tiefgehalten. Dies ist sehr wichtig, denn organische Verbrennung setzt grosse Mengen an Methan frei und ist heute für 15 % des gefährlichen Kohlenwasserstoffs in der Erdatmosphäre verantwortlich.
Vielerorts haben Leute mit dem sogenannten „Mülltauchen“ angefangen, um die weggeworfenen Nahrungsmittel zu verwerten. Oft können sie sogar davon leben. Das Problem ist hier die Legalität: Rechtlich betrachtet, gehört der Abfall auch noch im Container dem Händler; es handelt sich also um Diebstahl. In einigen Fällen geben Grosshändler Reste an Wohltätigkeitsorganisationen weiter, aber auch dies ist nur beschränkt möglich, beispielsweise aufgrund des (meist nur fast) abgelaufenen Haltbarkeitsdatums.
Für die Verarbeitung von Lebensmittelresten gibt es also durchaus noch Handelsspielraum. Es wäre wichtig, gewisse Normen und rechtliche Vorgaben, z.B. bezüglich des Haltbarkeitsdatums anzupassen und das Recycling zu optimieren. In erster Linie sollte aber – vom Konsumenten bis zum Grossproduzenten – das Problem an der Wurzel angegangen und der Konsum verringert werden. Lösungsansätze für den Einzelnen sind: weniger und bewusster einkaufen, Speisereste gezielt wiederverwerten, regionale Produkte vorziehen (z.B. „nicht-standardisiertes“ Gemüse vom Markt), mehrere kleine Einkäufe, statt Grosseinkauf am Wochenende, unverarbeitete Lebensmittel bevorzugen, da sog. Convenience-Produkte schon viel Abfall produziert haben.
Überdenken Sie auch die eigenen Ansprüche: Ist es wirklich notwendig, dass das Brotregal um 18 Uhr noch voll ist? Ist auch die bucklige Kartoffel schmackhaft? Kann auch ein Apfel mit Flecken gegessen werden? Nur mit einer Änderung des Kundenwunsches, also der Nachfrage werden auch die Grossproduzenten reagieren und Strategie und Angebot anpassen. Deshalb liegt es durchaus auch in der Verantwortung jedes Einzelnen, wenn anderswo Menschen hungern.
(Foto: Sporkist)
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