450 Tonnen Pilze
Durch den Wald streifen und Pilze sammeln, das ist in der Schweiz fast ein Volkssport. Schätzungsweise 450 Tonnen essbare Pilze landen Jahr für Jahr in den Sammelkörben. Die grösste Gefahr für Pilze sind jedoch nicht die Pilzsammler, sondern die Gefährdung der Gebiete, in denen sie heimisch sind. Wenn Landwirte ihre Flächen bis zum Waldrand hin intensiv bewirtschaften, verschwinden dort auch die Pilze. Nährstoffeinträge wie die Düngung mit Stickstoff, der Einsatz schwerer Maschinen oder neue Strassen und Überbauungen gefährden die Pilze sehr viel stärker als die Beutezüge der Pilzler.
Sammeln hat kaum Einfluss
Ein 32-jähriger Feldversuch der WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) hat gezeigt, dass das Sammeln an sich keinen Einfluss hat. Die Anzahl Pilzarten und die Anzahl der Fruchtkörper gehen durch das Sammeln nicht zurück. Der Grund dafür: Der zentrale Teil des Pilzes ist nicht der an der Oberfläche sichtbare Fruchtkörper, sondern das unterirdische Myzel, eine Art “Wurzelgeflecht”. Wenn Pilze einigermassen fachgerecht abgeschnitten oder ausgedreht werden, schadet man jenen Teilen, die für den Fortbestand wichtig sind, nicht. Auch ob der essbare Teil an der Oberfläche früher oder später gepflückt wird, spielt kaum eine Rolle. Man könnte es mit einem Obstbaum vergleichen: Ob die Äpfel täglich oder nur zu bestimmten Zeiten geerntet werden, ist für den Schutz des Baumes irrelevant. Entscheidend ist, dass der Stamm unbeschädigt bleibt. Schonzeiten bringen daher wenig für den Schutz der Pilze.
„Wenn Pilze einigermassen fachgerecht abgeschnitten oder ausgedreht werden, schadet man jenen Teilen, die für den Fortbestand wichtig sind, nicht.“
Gefährdete Pilze in gefährdeten Ökosystemen
Hinzu kommt, dass die meisten Speisepilze nicht auf der roten Liste der gefährdeten Arten stehen. Die gut erkennbaren Speisepilze sind allgemein häufig und wenn die Witterung stimmt, kommen sie reichlich vor. Ein wissenschaftliches Argument können allerdings auch die Verteidiger der Schonzeiten anführen: Die Forscher von der WSL haben nämlich ebenfalls nachgewiesen, dass weniger Pilze wachsen, je häufiger Leute auf dem Waldboden herumgehen. Doch sobald der Waldboden nicht mehr betreten wird, schiessen die Pilze wieder aus dem Boden. Darum ist ein Sammelverbot nicht wirklich sinnvoll. Der Biotopschutz hat Priorität, denn gefährdete Pilze finden sich meist in gefährdeten Ökosystemen wie Hochmooren, Auenwäldern oder Magerwiesen. Werden diese besser geschützt, ist neben zahlreichen anderen Arten auch den Pilzen geholfen. Viele Pilze gedeihen nur in bestimmten Wäldern, weil sie mit ausgesuchten Bäumen eine Symbiose bilden: Der Pilz liefert dem Baum über die Wurzel Mineralstoffe und Wasser, dafür erhält er vom Baum Kohlenhydrate, die er nicht selber bilden kann. Der Austausch mit dem Pilzmyzel erhöht für den Baum die Chancen, extreme Trockenperioden zu überleben und Krankheiten besser zu widerstehen. Auch sonst erfüllen Pilze im Wald wichtige Aufgaben: Sie bauen Holz ab und verwandeln es in Nährstoffe, die Pflanzen wieder verwerten können. Trotz dieser Bedeutung spielte das Vorkommen bestimmter Pilzarten bislang für die Einrichtung von Naturschutzgebieten keine Rolle. Die WSL empfiehlt für seltene Pilze schweizweit die Einrichtung von Pilzreservaten, in denen Besucher auf den Wegen bleiben müssen.
Pilzler machen Druck
Seit diese Studie veröffentlicht wurde, haben Pilzsammler Druck gemacht; zum Teil mit Erfolg. Bis vor einigen Jahren galt in den meisten Kantonen eine Schonzeit für Pilze. Heute heben mehr und mehr Kantone diese Schutzbestimmungen auf. Im Kanton Bern kann beispielsweise seit 2012 ohne Einschränkung durch Schontage gesammelt werden; an der Mengenbegrenzung wird hingegen festgehalten (Medienmitteilung des Regierungsrats). Heute kennen nur noch fünf Kantone Schonzeiten, zum Beispiel die Bergkantone Glarus und Graubünden. Dort sind Pilz-Touristen, die mit ihren Autos in die Wälder fahren, nicht immer gerne gesehen. Im Kanton Graubünden werden jährlich hunderte Kilogramm Pilze beschlagnahmt, weil die Sammler die maximalen Sammelmengen und die Schonzeiten nicht beachtet haben. Doch auch die Mengenbeschränkungen sind für den Pilzschutz eigentlich nicht relevant. Sie sind eher im Sinne einer gerechten Verteilung eines zunehmend begehrten Waldprodukts sinnvoll.
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