Nachdem die junge Luchsin im Herbst 2012 verwaist und abgemagert aufgefunden wurde, behielt man sie über den Winter in der Wildstation Landshut, um sie aufzupäppeln. Im März 2013 wurde sie schliesslich wieder in die Freiheit entlassen. Von Mai bis Juli hat die Luchsin sechs Schafe gerissen und sich damit ihr eigenes Grab geschaufelt. Gemäss dem Konzept Luchs Schweiz müsste ein Luchs mindestens 15 Nutztiere innerhalb von einem Jahr im Umkreis von 5 Kilometern reissen, um zum Abschuss freigegeben zu werden. Obwohl diese Kriterien im Fall der jungen Luchsin in Bern nicht erfüllt sind, wurde der Abschuss des Tieres vom BAFU genehmigt. Die Erlegung des Tieres sei „unumgänglich“ schreibt der Kanton Bern in einer Medienmitteilung. Die Luchsin hätte sich auf Schafe „spezialisiert“, was ungewöhnlich sei für ihre Art: Im Durchschnitt erlegt ein Luchs nicht mehr als ein Schaf pro Jahr und jagt fast ausschliesslich Wild.
Der aussergewöhnliche „Schafshunger“ der Luchsin im Kandertal ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass ihr Gehege in der Wildstation direkt neben einer Schafweide lag…! Deshalb handle es sich bei der Luchsin um einen besonderen Fall, sagt der eidgenössische Jagdinspektor Reinhard Schnidrig. Man müsse nicht warten, bis die Luchsin noch mehr Schafe reisse, sondern solle direkt zur Tat schreiten.
Das Jungtier erfährt wahrscheinlich das gleiche Schicksal wie bereits seine Mutter: Der grösste Teil der Jungluchse ist nämlich verwaist, weil die Mutter illegal abgeschossen wurde. Die Luchse werden von den Jägern als Jagdkonkurrenten betrachtet und werden deshalb gewildert! „Das dürfen wir nicht belohnen, indem wir die Jungtiere auch noch verhungern lassen“, betont Schnidrig. Deshalb werden die verwaisten Jungluchse in Obhut genommen… In vorliegenden Fall wird der „Schützling“ paradoxerweise kurz nach seiner Freilassung bereits zum Abschuss freigegeben.
Weil Wilderer die Mutter der jungen Luchsin erlegt hatten, wurde sie zwar in einem Wildpark aufgepäppelt, kurz nach ihrer Freilassung jedoch paradoxerweise selbst zum Abschuss freigegeben.
Das Tier müsse erlegt werden, da Schutzmassnahmen im Kandertal nicht schnell genug eingeleitet werden könnten. Grundsätzlich sei ein effektiver Schutz vor Luchsen jedoch möglich, betont der Jagdinspektor. Normalerweise genügen Elektrozäune, um die Raubtiere von den Schafen fernzuhalten.
Obwohl die Luchsin offensichtlich ein „Sonderfall“ ist, fragt es sich, weshalb man stattdessen keine Schutzmassnahmen ergreifen kann (oder will) und warum dies nicht bereits früher geschah. Luchse gibt es in diesem Gebiet nämlich schon lange. Vor rund zehn Jahren wurde viel Lärm um die Tiere im Kanton Bern gemacht. Drei Tiere wurden schliesslich aufgrund von Schafrissen „zur Beruhigung der Schafhalter“ erlegt (BAFU). Seither ist es jedoch erstaunlich ruhig geworden um die Luchse. Wahrscheinlich haben Wolf und Bär dem kleineren, eher scheuen Raubtier „die Show gestohlen“. Das Beispiel zeigt, dass das Zusammenleben mit den Tieren besser funktioniert, sobald sich die Wogen rund um ein Thema etwas glätten! Fraglich ist jedoch, ob sobald einige wenige (!) Nutztiere gerissen werden, wieder ein Tier erlegt werden muss oder ob man die Raubtiere stattdessen nicht endlich als Teil unserer natürlichen Umgebung akzeptieren könnte…
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