Der Steinbock war in früherer Zeit ein Mythos. Das führte dazu, dass fast alles Verwertbare des Steinbocks, vom Blut über die Haare bis hin zu den Exkrementen, als Medizin gegen alle möglichen Krankheiten eingesetzt wurde. Die Jagd brachte ihn fast zum Aussterben. Anfang des 19. Jahrhunderts war der Steinbock im gesamten Alpenraum bis auf etwa 100 Tiere im italienischen Gran Paradiso ausgerottet. Dank des Einsatzes von Förster Josef Zumstein und Naturkundler Albert Girtanner konnten 1820 die Behörden dazu bewegt werden, die letzten Steinböcke im Gran Paradiso zu schützen. Dank eines erfolgreichen Wiederansiedlungsprogramms aus diesem Restbestand ist der Steinbock inzwischen wieder in weiten Teilen seines ursprünglichen Lebensraums verbreitet. Alle heute in den Alpen lebenden Steinböcke stammen von diesen 100 Tieren ab.
Begonnen hatte die Wiederansiedlung in der Schweiz Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer Räubergeschichte. Wilderer entwendeten Steinböcke aus dem italienischen Nationalpark Gran Paradiso und verkauften sie meistbietend. Hatten einst Jäger dazu beigetragen, dass die Tiere aus den Schweizer Alpen verschwanden, sorgten sie nun für ihre Rückkehr. Es wurde geschmuggelt, gepflegt und gezüchtet und hie und da eine Hausziege eingekreuzt. 1911 gelang es, Alpensteinböcke erfolgreich im St. Galler Marchsteingebiet auszuwildern, und es folgten weitere Aussiedlungen. Man geht von 88 Gründertieren aus – ein genetisch eigentlich ausreichend grosser Pool von Tieren, die sich zu einem heutigen Bestand von geschätzten 16 300 Steinböcken vermehrten.
Experten sind beunruhigt, dass sich die Tiere der isolierten Bestände genetisch zu nahe stehen
Das Problem ist aber, dass man die Tiere im Schweizer Alpenraum immer wieder in kleine voneinander getrennte Gruppen aufteilte. Die ursprüngliche genetische Vielfalt ist also auf die isolierten Bestände verteilt. Analysen zeigen, wie immer wieder sogenannte genetische Flaschenhälse erzeugt wurden, wenn Tiere aus einem Bestand entfernt wurden, bzw. starben. Experten sind beunruhigt, dass sich die Tiere der isolierten Bestände genetisch zu nahe stehen. Bekannte Effekte sind verminderte Fruchtbarkeit oder eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionskrankheiten. Derzeit wird untersucht, wie und in welchem Ausmass die Schweizer Steinböcke betroffen sind.
Die auf dem Pilatus bestehende Steinbockkolonie wurde 2011 mit zehn zusätzlichen Steinböcken aus dem Wallis ergänzt. Diese sollen den Bestand genetisch ergänzen und so dessen Überleben sichern. Die Walliser Tiere fühlen sich offenbar wohl und haben sich gut in den Luzerner Bestand integriert. Ob sich dadurch die genetische Stabilität erhöht, wird sich frühestens im Sommer zeigen, wenn erste Jungtiere aus der Mischpopulation erwartet werden.
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