Interview: Wie künstliche Riffe australischen Fischern helfen

Riffbälle aus Beton, die später von vielen Fischen als Unterschlupf genutzt werden können Riffbälle aus Beton, die später von vielen Fischen als Unterschlupf genutzt werden können

Iain Suthers ist Professor für Meeresbiologie an der australischen Universität von New South Wales in Sydney. An der Ostküste Australiens hat er bereits mehrere künstliche Riffe aufgebaut, um die Fischerei anzukurbeln. Im Interview berichtet er uns von den Erfahrungen, die mit künstlichen Riffen an der Küste von New South Wales gemacht wurden, und erklärt uns, welche Einflüsse solche Strukturen auf das marine Ökosystem haben.

Was sind künstliche Riffe? Was muss man sich darunter vorstellen?

Die meisten Leute stellen sich unter künstlichen Riffen absichtlich im Meer versenkte Schiffwracks, Einkaufswagen, Eisenbahnwagons, Autoreifen oder einfach einen Haufen Schrott vor. Solche Gegenstände bezeichne ich nicht wirklich als „künstliche Riffe“, denn eigentlich handelt es sich dabei nur um Abfallentsorgung im Ozean.
Extra angefertigte künstliche Riffe in Offshore-Gewässern unterscheiden sich wesentlich von versunkenen Schiffen und Schrotthaufen - aber auch von natürlichen Riffen. Der Rahmen der künstlichen Riffe enthält viele Lücken, die bis zu zwei Meter gross sind und vor allem den Fischen, die bei Hobby-Anglern beliebt sind, attraktive Versteckmöglichkeiten bieten. Die Konstruktion aus Beton und Stahl erlaubt einen optimalen Wasserdurchfluss, sodass die Versorgung mit Nährstoffen und Plankton gewährleistet ist. Die Strömung dient als Stickstoff- und Kohlenstoff-Lieferant. Kleinstlebewesen, die sich auf der Struktur abgesetzt haben, können dank der Nährstoffzufuhr dort gedeihen und bilden so die Basis für die Nahrungskette rund um das künstliche Riff. Deshalb wird vermutet, dass künstliche Riffe nicht nur Fische anlocken, sondern eigenständig neue Biomasse produzieren.

Die neue Sichtweise auf spezialangefertigte Riffe hat auch gezeigt, dass das Wachstum der sich ablagernden Organismen auf künstlichen Riffen höher ist als bei umliegenden natürlichen Riffen. Grosse, standorttreue Fische rund um künstliche Riffe sind oft in einer besseren Verfassung und wachsen schneller heran. Zudem sammeln sich durch die Partikel, die von einem künstlichen Riff weggespült werden, viele kleinere Fische in der unmittelbaren Umgebung des Riffs an.

Weshalb werden extra angefertigte Betongebilde verwendet, anstatt einfach alte Schiffe oder Panzer zu versenken?

Alte Schiffe und Panzer enthalten viele abgekapselte, unzugängliche Bereiche, die von Meeresbewohnern nicht genutzt werden können. Ausserdem sind die grossen Schiffrümpfe so angefertigt, dass sie Wellen widerstehen und keine Organismen daran haften bleiben. Der biologische Bewuchs an Schiffsrümpfen wird durch Stürme abgerissen, was die Riffbildung verlangsamt.

Welche Vorteile bringen künstliche Riffe für das Ökosystem und für die Fischer?

Die Küste ist schlicht nicht gross genug, um die hungrige, städtische Bevölkerung zu versorgen. Moderne australische Städte haben zunehmend mehr wohlhabende Einwohner, die in ihrer Freizeit gerne Angeln oder Speerfischen gehen - obwohl die Erfolgschancen relativ gering sind. Beinahe 20 Prozent der ostaustralischen Bevölkerung geht mindestens einmal im Jahr Angeln.  Hobby-Fischer fangen jährlich bis zu 27‘000 Tonnen Fische mit einem Gesamtwert von rund 2 Milliarden Dollar. Die Sportfischerei wächst jährlich um bis zu 7.5 Prozent, was sich insbesondere rund um die grossen, schnellwachsenden Städte an der Ostküste Australiens zeigt. Die Fänge der Freizeitfischer machen in New South Wales etwa 30 Prozent der kommerziellen Fischereierträge aus. Für sechs wichtige Fischarten sind die Fangzahlen aus der Sportfischerei sogar höher als die kommerzielle Ausbeute. Mit dem Geld aus Fischereilizenzen werden deshalb proaktive Massnahmen wie die Aufstockung der Fischbestände oder der Bau von künstlichen Riffen finanziert. Das Versenken von künstlichen Riffen ist bei weitem die erfolgreichste Methode zur Aufwertung der Fischbestände.

Erzeugen künstliche Riffe mehr Fische oder locken sie diese nur an?

Das ist eine schwierige Frage. Sammeln sich Fische rund um die Riffe nur an und werden deshalb eher von Fischern gefangen?
Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Hobby-Fischer jährlich rund 500 Kilogramm Fische beim künstlichen Riff in Sydney, das gerade einmal 12 Meter x 12 Meter x 15 Meter gross ist, fangen. Ein Drittel dieser Ausbeute ist auf Fische zurückzuführen, die sich von Plankton anstatt von dort gewachsenem Kelp oder Biofilmen ernährt haben. Die anderen zwei Drittel machen Fische aus, die zum Riff wandern, einige Tage dort bleiben und gefangen werden. Dies würde die Anlockungs-Hypothese unterstützen. Doch wir müssen noch herausfinden, wie lange Fische beim Riff bleiben und welche Vorteile sie durch den Aufenthalt erhalten, denn es werden nie alle vorbeischwimmenden Fische gefangen.

Gibt es Nachweise, dass künstliche Riffe eine Belastung für das Ökosystem darstellen könnten?

Nein, absolut keine. Das künstliche Riff in der Nähe von Sydney besteht aus unbehandeltem Stahl und ist für eine Lebensdauer von 30 Jahren ausgelegt. Eine dicke Schicht aus biologischem Bewuchs hält Sauerstoff fern und verhindert so die Rostansetzung. Neuere künstliche Riffe sind aus logistischen Gründen aus verstärktem Beton gebaut.

Wir haben eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, um die Umgebung der Riffe auf Rückstände von Schwermetallen oder Eisen zu überprüfen: Die Belastung durch die städtischen Abflüsse ist wesentlich höher als die der Riffe.

Wie geht es mit den künstlichen Riffen in der Zukunft weiter?

New South Wales hat gerade erst begonnen, künstliche Riffe zur Förderung der Fischerei einzusetzen. Länder wie Japan, China oder Südkorea sind uns weit voraus. Sie platzieren spezialangefertigte Riffe in der Nähe von Aquakulturen, damit freilebende Fische im Meer von den Nahrungsresten aus den Zuchtbetrieben profitieren können. Ausserdem verdienen sich die Leute ein zusätzliches Einkommen, indem sie Angelausflüge zu diesen Riffen anbieten. Ich denke, das ist eine gute Idee, denn angesichts der ständig wachsenden Weltbevölkerung müssen wir auch daran denken, andere Proteinquellen zu nutzen.

Könnten künstliche Riffe auch in Schweizer Süsswasser-Seen eingesetzt werden?

Ja, ich denke das könnte in grossen Seen funktionieren. Doch dazu wären sorgfältige Voruntersuchungen notwendig, um unbeabsichtigte Folgen auf das Ökosystem zu vermeiden. Zudem sollte der Fischfang strenger reguliert werden als im Meer, damit die Bestände nicht überstrapaziert werden. Es wäre sehr spannend zu sehen, ob die auf Plankton basierende Nahrungskette in Seen ebenfalls funktioniert. Ich denke, dies sollte der Fall sein, solange es im See eine gewisse Strömung gibt – beispielsweise durch den Wind.

 

 

Künstliche Riffe entlang von New South Wales
Video: Fische tümmeln sich rund um ein künstliches Riff
Titelbild

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Kommentare (1) anzeigenausblenden 

0 #Uwe Scheibler2018-02-19 09:59
Auf den ersten Blick hört sich das ja ganz nett an.
Wenn man genauer hinschaut, dann offenbaren sich allerdings einige kritische Punkte:
1. Die Ursachen des Korallensterbens werden nicht bekämpft.
2. Der technische Aufwand, der für künstliche Riffe betrieben werden muss, treibt den Raubbau an Ressourcen und die Klimerwärmng weiter an.
3. Die "hungrige städtische Bevölkerung" als Grund für diese Form der Aquakultur zu nennen, zeigt ein Verständnis von Ökologie und Nachhaltigkeit, welches die Verhältnisse auf den Kopf stellt. Erstens wird die Bevölkerung immer nur so gross, wie es die vorhandene Nahrung zulässt und zweitens besteht eine nachhaltige Entwicklung darin, dass unsere Bedürfnisse an die Umwelt angepasst werden (nicht umgekehrt).
4. Zu den Auswirkungen solcher Riffe (Biodiversitätsveränderungen, Ökobilanz etc.) sind langfristig noch keine Studien bekannt.
5. Natürlich ist es richtig, die Riffkonstruktionen mit ausgedienten Schiffen oder gar Rüstungsschrott als Abfalldeponie zu bezeichnen. Das Versenken von extra hergestellten Stahlbetonkonstruktionen ist ökologisch gesehen allerdings genau das gleiche: Die Verschiebung von terrestrischen Stoffen in marine Lebensräume.

Fazit: Sehr fragwürdig.

Uwe Scheibler, Wetzikon
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