Der Luzerner Kulturhof: Gemeinsam, bewusst Impulse schaffen!

Der Kulturhof Hinter Musegg liegt mitten in der Stadt Luzern. Der Kulturhof Hinter Musegg liegt mitten in der Stadt Luzern.

Die gemeinnützige Stiftung Kultur- und Lebensraum Musegg betreibt einen der letzten kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetriebe inmitten der Stadt Luzern. Sie setzt seit Anbeginn auf Bio, führt eine Hofbeiz, einen Hofladen, stellt Veranstaltungsräume zur Verfügung, bietet Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an und führt Nachhaltigkeitsworkshops für Firmen durch. Der Kulturhof möchte gemeinsam mit seinen Besuchenden neue Lösungen finden und eine nachhaltige Zukunft gestalten.

 

Walter Fassbind, der Leiter der Landwirtschaftsabteilung des Kulturhofs Hinter Musegg, hat mich (Waris Stocker) über den Kulturhof Hinter Musegg geführt und mir in einem Interview interessante Einblicke in das Wirken der Stiftung Kultur- Und Lebensraum Musegg und den Kulturhof Hinter Musegg, gewährt.

WS=Waris Stocker, Interview-Führende, Umweltnetz Schweiz

WF=Walter Fassbind, Interviewte Person, Leiter der Landwirtschaftsabteilung des Kulturhofs

 

Walter Fassbind bei der Arbeit (Kulturhof Hinter Musegg).

 

WS: Was ist der Kulturhof genau? Wie würdest du ihn einem Fremden beschreiben?

WF: Das ist eine gute Frage… Grundsätzlich ist es einfach ein kleiner Bauernhof. So konventionell wie man sich das vorstellt, ist er aber nicht, denn er liegt mitten in der Stadt. Er hat viel Grün rundherum und bietet für die Stadt eine naturnahe Oase. Wir haben Tiere. Wir haben aber vor allem auch viele Bildungsprojekte. Wir sind ein Vermittlungshof zu Natur- und Lebensraum-Themen.

WS: Und die Kultur…?

WF: Mit Kulturhof ist nicht nur Kultur im Sinne der gesellschaftlichen Kultur gemeint, sondern vor allem landwirtschaftliche Kultur und das Kulturerbe der natürlichen Umwelt und der heimischen Tierwelt. Das Ganze ist primär ein Vermittlungsprojekt. Das darf man auch in einem pädagogischen Sinne so sehen. Wir wollen, dass die Leute zu uns kommen: Es ist ein offener Hof. Es hat immer viel Publikum, alle Türen sind offen. Bei uns soll man erkennen, wie man es auch anders machen kann, wie man es beispielhaft machen kann. Wenn jemand den Hof wieder verlässt, soll er neue Erkenntnisse und Ideen gewonnen haben und motiviert sein, etwas davon zu Hause nachzumachen.

WS: Wie ist die Idee dazu entstanden? Was waren Beweggründe für den Aufbau dieses Hofs?

WF: Wir sind hier hineingewachsen. Im Jahr 2000 haben meine Frau Pia Fassbind und ich uns für diesen Flecken Land beworben, weil wir dachten, dass das Bauernwesen in der Stadt per se anders sei als auf dem Land. Wir wollten nicht allzu weit weg von der Stadt. Meine Frau arbeitete damals noch im Kleintheater in Luzern. Eigentlich wollten wir den Bauernhof nebenbei betreiben, die Öffnung nach Aussen stand noch nicht im Vordergrund.
8 Jahre lang betrieben wir den Bauernhof konventionell, natürlich als Bio-Betrieb. Dann merkten wir, dass man auf dem Hof einiges sanieren muss, um den Hof überhaupt in eine Zukunft führen zu können. Wir überlegten, wie man das machen könnte. Zu diesem Zeitpunkt entstand die Idee, den Hof zu öffnen, um Themen der Nachhaltigkeit in die Bevölkerung zu tragen… Das ist nicht dogmatisch, was wir hier machen: Die Leute können kommen und sich hier mit neuen Ideen konfrontieren. Wichtig ist, dass das keine Ideen sind, die erst in ferner Zukunft umgesetzt werden können. Sie sind bereits Gegenwart, das kann man heute alles schon machen.

WS: Was sind eure beruflichen Hintergründe?

WF: Ich habe eine technische Ausbildung der Fachrichtung Elektronik-Mess-Regelungstechnik absolviert. Später fügte ich daran das NDS (Nachdiplomstudium) für Betriebswirtschaft und Informatik an. Eine Zeitlang war ich selbstständig. Dann kam irgendwann der Zeitpunkt, zu dem ich etwas ganz anderes machen wollte. Ich machte dann eine landwirtschaftliche Ausbildung. Das gefiel mir so sehr, dass wir uns für diesen Hof bewarben. Später kam noch ein Energiestudium dazu, dann der Master in Umwelttechnik und -management. Das ist mein Werdegang.

Pia, meine Frau, ist Personalfachfrau. Sie hat zudem Kulturwissenschaften studiert. Lange arbeitete sie im Kleintheater in Luzern, leitete dieses sogar. Als wir 2013 die Stiftung Kultur- und Lebensraum Musegg gründeten, übernahm sie die Geschäftsführung.

WS: Ausserdem bist du für die Stadt Zug tätig?

WF: Ja, ich bin auch noch Angestellter der Stadt Zug. Dort bin ich zuständig für die Energie- und Klimastrategie und die Nachhaltige Entwicklung. Ich bin der sogenannte „Stadtökologe“, schon seit 16 Jahren. Das ist momentan auch mein Hauptgeschäft. Ich bin Montag bis Donnerstag in Zug und Freitag bis Sonntag hier.

WS: Inwiefern bringen euch die beruflichen Erfahrungen im Hofalltag etwas?

WF: Ich konnte viel aus meinem Vorleben hier einbringen. Pia bringt die ergänzenden Erfahrungen mit. Wir beschäftigen viel Personal auf dem Hof: Inzwischen haben wir 35 Leute auf der Lohnliste. Da braucht es schon jemanden, der menschlich und sozial etwas von Personalarbeit versteht. Das macht Pia hervorragend, ich bringe eher die ökologischen Themen auf den Tisch und beschäftige mich mit den Umwelt-Aspekten des Hofes.

WS: Welche Angebote macht ihr konkret?

WF: Wir unterscheiden unsere Angebote nach Sommer und Winter. Was immer läuft, ist die Landwirtschaft. Das ist nicht im klassischen Sinn ein „Angebot“. Wir haben freiwillige Helfer, die kommen, wenn sie Lust und Zeit haben. Sie werden aber auch fest eingeteilt, um beispielsweise die Tiere an bestimmten Tagen zu füttern.
Im Rahmen der Landwirtschaft sind uns die Schulprojekte wichtig, „In die Stiefel fertig los“, welche von Irene Wespi und Alina Trieblnig geleitet werden. Vom Kindergarten bis zur Oberstufe kommen Klassen bis zu vier Mal jährlich auf den Hof, inzwischen haben wir fast jeden Montag und Dienstag eine Schulklasse hier. Die Kinder und Jugendichen können mit allen Sinnen erfahren, wie sich der Hof, die Tiere und die Natur im Laufe des Jahres verändert. Im Frühling bepflanzen sie vielleicht die Hochbeete, im Sommer kann es ums Heuen, im Herbst ums Mosten, und im Winter eher wieder um die Tiere gehen, die wir hier auf dem Hof halten. In diesen Schulprojekten lernen die Kinder sehr viel: Wie man mit Tieren umgeht, beispielsweise. Das beginnt damit, zu erfahren, dass Tiere nicht irgendwelche Lebensmittel auf Beinen sind oder – noch schlimmer – Spielzeuge. Sie haben Ängste und Bedürfnisse. Wenn die Kinder den Tieren sehr nahe gegenüberstehen, merkt man, wie etwas Neues entsteht. Das ist immer sehr eindrücklich.

WS: Gibt es auch Angebote für ein älteres Publikum?

WF: Ja, die Bildung geht auch in den Erwachsenenbereich hinein. Wir bieten Workshops für KMUs an, in welchen sie sich informieren können, was Nachhaltige Entwicklung für sie speziell bedeutet. Sie lernen beispielsweise die SDGs, die Nachhaltigen Entwicklungsziele kennen. Wir zeigen ihnen am Beispiel des Kulturhofs – der ja eigentlich auch nichts anderes ist als ein kleines Unternehmen – welche Ziele wir mit welchen Mitteln unterstützen. Wir wollen damit aufzeigen, dass man mit der Nachhaltigen Entwicklung an vielen Orten ansetzen kann. An einigen Orten macht man vielleicht bereits etwas, an anderen kann man sich noch verbessern.
Wir arbeiten auf dem Hof sehr intensiv mit den SDGs. Das ist etwas, was ich aus meiner Arbeit bei der Stadt Zug mitbrachte. Vor dreieinhalb Jahren begannen wir dort, eine übergeordnete, langfristige Nachhaltigkeits-Strategie zu gestalten. In der Zeit der Ausarbeitung setzte ich mich sehr intensiv mit den SDGs auseinandergesetzt, und irgendwann tauchte die Idee auf, auch hier auf dem Hof etwas dazu anzubieten, im Sinn der Erwachsenenbildung.

Führungen, Gruppenanlässe und Tagungen sind weitere Angebote. Unsere Führungen haben verschiedene Schwerpunkte. Jenen mit Schwerpunkt Natur- und Lebensraum Musegg erläutern wie, wie wir mit dem Hof und der Umgebung in Synergie leben: Mit der Musegg-Mauer und den vielen hier nistenden Vögeln, aber auch mit unseren Hoftieren, unseren Obstbäumen, den Böden etc. Zudem bieten wir eine Führung zum Energie- und Klimaschutz an. Der Kulturhof verfügt seit der Gründung der Stiftung über ein spezielles Energie- und Klimaschutz-Konzept: Wir wollen da ein Beispiel setzen. Die Führungen dauern jeweils eine Stunde.

 Die Musegg-Mauer mit seinen Türmen ist ein Wahrzeichen der Stadt Luzern (Waris Stocker).

 

WS: Davon hört man verschiedentlich! Kannst du da mehr ins Detail gehen?

WF: Das Dach ist vollflächig mit Photovoltaik bestücken, wir wollen unsere Energie selber produzieren: Mehr als wir benötigen sogar, sodass man auch ins Netz einspeisen kann. Unsere Haustechnik ist darauf ausgerichtet, dass sie vor allem dann läuft, wenn wir selber Strom produzieren. Als wir das neue Haus bauten, sollte dieses gut isoliert sein: Es hat den sogenannten 2000-Watt-Standard. Wir achten darauf, dass bei der Erstellung, dem Betrieb und bei der Mobilität Grenzwerte für Primärenergie und CO2 nicht überschritten werden. Das klappt: Seit Jahren leben wir in einem 2000-Watt-Gebäude. Zwei Erdsonden mit Wärmepumpe heizen die Räumlichkeiten, wir verfügen über einen Regenwassertank und einen Batterie-Speicher für den Strom vom Dach. Den eigenen Solar-Strom, den wir über den Tag nicht verbrauchen, speichern wir, um ihn in der Nacht zu nutzen. Was dann noch übrig ist, geht ins Netz. Brauchen wir in der Nacht einmal mehr Strom, beziehen wir diesen wieder vom Netz.
Unser Speicher ist auch nicht irgendein Speicher! Vor 7 Jahren konstruierte ich das europaweit erste Auto, das man laden und entladen kann. Das Auto hängt an der Gebäudetechnik, die entscheided, wann die Autobaterie geladen und entladen wird, je nach Überschuss oder Bedarf. Das funktioniert gut. Wir mussten das damals 2013 selber angehen, es gab noch keine Fahrzeuge, die man so kaufen konnte. Inzwischen haben wir aber auch noch andere Speicher.

Das Dach des Hofes ist vollständig mit Photovoltaik bestückt (Waris Stocker).

 

WS: Ein weiteres wichtiges Thema während unseres Rundgangs war die Kreislaufwirtschaft…

WF: Nicht nur in der Produktion von Nahrungsmitteln, sondern auch beim Thema Food Waste und all den weiteren Belangen in Zusammenhang mit Ernährung! Das SDG 2 fordert „keinen Hunger“, bei der Mehrheit seiner Unterziele geht es um die Qualität des Essens, vor allem um die Produktion. Darauf achten wir stark, speziell auch im Angebot unseres Hofladens. Wir haben Produkte von vielen innovativen Bioproduzenten aus der Umgebung, die wir neben unseren eigenen Produkten anbieten. Sie nutzen das gerne als Chance. Solche Partnerschaften sind uns wichtig: Sie werden im SDG 17 empfohlen! Wir versuchen aber jedes einzelne Sustainable Development Goal zu beachten. Wir stellen uns Fragen wie: Was haben diese jeweils für Unterziele? Was können wir machen, um diese umzusetzen? Wie können wir die Ziele konkret unterstützen?

Im Hofladen befinden sich Produkte von verschiedenen Biobetrieben aus der Region (Waris Stocker).

 

WF: Momentan in Arbeit ist ein SDG-Pfad. Unser Hof ist nicht gross. Trotzdem bietet er viel und ist weitläufig. Besuchende spazieren darum herum, entdecken die Tier-Gehege, die Bäume, unseren Garten und die Küche; sie schauen eigentlich alles an. An all diesen Orten des Interesses wollen wir nun Tafeln aufhängen, das ist dann der SDG-Pfad. Darauf erläutern wir das SDG, in welches an dem spezifischen Ort investiert wird. Ein QR-Code leitet dann weiter zur Erklärung, was der Kulturhof zur Erreichung dieses SDGs beisteuert.

WS: An Ideen mangelt es also nicht.

WF: Wir haben ganz viel solche spannende Themen, viele gute Projekte. Die Leute reagieren auch immer positiv darauf. Nur finanzieren können wir nicht alle: Wir müssen immer zusätzliche Gelder auftreiben und sind auf Spenden und Unterstützungsgelder angewiesen.

Zweck unserer Stiftung ist nicht zuletzt, dass wir das kulturelle Erbe, die natürliche Umwelt und die heimische Tier- und Pflanzenwelt hier an der Musegg-Mauer schützen und pflegen. Dafür führt man den Hof weiter, das Kleinbäuerliche soll erhalten bleiben. Dafür muss man jedoch die nötigen Mittel zusammentreiben. Wir konnten den Hof 2013 von der Stadt für 60 Jahre im Baurecht übernehmen: Eine lange Zeit, in welcher man die Oase so erhalten soll.

WS: Die Besucher scheinen dankbar dafür!

WF: Die Leute staunen jeweils, wenn sie unter der Mauer entlanglaufen und den Hof entdecken. Sie fragen sich, ob sie wirklich immer noch in der Stadt sind. Sie sehen unsere schottischen Hochlandrinder, unsere Ziegen, unsere Hühner. Die Hühner laufen jeweils auf dem ganzen Hof und dem angrenzenden Sportplatz herum. Das ist schon speziell, entsprechend lassen sie sich dafür begeistern. Sie sind hier, schauen, entdecken und dann merkt man, dass die meisten anfangen zu nachzudenken. Das ist ja auch unsere Intention, dass Leute hierherkommen, motiviert wieder nach Hause gehen und dort selbst eine Veränderung in Angriff nehmen. Das ist das Ziel der Führungen, das erreichen wir eigentlich immer. Die Leute sind am Schluss jeweils „kribbelig“ und wollen nach Hause, etwas machen gehen.

Der Kulturhof Hinter-Musegg liegt mitten in der Stadt Luzern in unmittelbarer Nähe zur Musegg-Mauer (Kulturhof Hinter Musegg).

 

WS: Ergeben sich in der städtischen Umgebung mit den Tieren besondere Herausforderungen?

WF: Es ist natürlich schon anders, hier in der Stadt einen Bauernhof zu betreiben. Unsere Tiere sind eingezäunt. Den Zaun errichten wir nicht wegen der Tiere, sondern wegen der Menschen. Fehlte er, würden die Leute einfach zu den Tieren hingehen und über die Weiden spazieren. Das verstehe ich ein Stück weit, aber wir müssen unsere Tiere schützen und ihnen die Möglichkeit geben, wegzukommen von den Leuten. Sie stehen deshalb oft in der Mitte der Weide: Das ist ihr Rückzugsort. Sie können aber auch zu den Leuten hingehen, wenn sie wollen – und sie wollen das dann auch oft. Die Ziegen gehen natürlich zu den Kindern, aber auch die schottischen Hochlandrinder und Alpakas werden neugierig, wenn eine interessante Gruppe kommt.

 Die Ziegen können sich frei auf der Weide bewegen (Waris Stocker).

 

WF: Das andere Thema ist Littering und Vandalismus. Das ist nicht immer einfach. Wir haben hier hinter der Musegg-Mauer schon mal Personen, die am Morgen um 1.00 Uhr nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind. Diese sind dann manchmal zerstörerisch unterwegs. Sie haben uns schon ganze Zäune abgeräumt, Bäume umgesägt, alles Mögliche. Das ist schwierig, damit werde ich wohl nie klarkommen. Ich verstehe auch nicht, warum man beispielsweise Flaschen in die Weide werfen muss.

WS: Gibt es Konflikte zwischen dem Kulturangebot und der Natur auf dem Hof? Gibt es allenfalls noch andere Zielkonflikte?

WF: Wir probieren natürlich, das zu verhindern. Ich weiss nicht, ob wir schon mal ernsthaft einen Konflikt hatten. Von Anfang an hielten wir fest: Wir wollen keine Festhütte werden. Ökonomisch würde sich das vielleicht lohnen, aber das würde nicht zu uns und unserem Leitbild passen.

WS: Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Stadt Luzern aus?

WF: Die Stadt Luzern ist Mit-Stifterin. Sie hat uns beim Aufbau auch finanziell unterstützt. Das Grundstück gehört ja der Stadt. Wir bekommen allerdings keine regelmässigen Beiträge von der Stadt. Wir haben keine generelle kulturelle Unterstützung. Können wir einzelne Projekte im Kulturbereich vorzeigen, dann natürlich schon. Nächsten Sommer läuft hier beispielsweise ein Kultur-Festival, das beginnt Ende Juni und dauert eine Woche. Verschiedene Bühnen entlang der Musegg-Mauer und unsere „Heubühne“ werden genutzt. Dafür gibt es Geld vom Kulturfonds der Stadt Luzern. Wir müssen unsere Projekte aber jeweils vorgängig einreichen, und am Ende hoffen wir immer auf eine Null-Runde. Unser Ziel ist es nicht, viel Geld zu erwirtschaften. Wir wären schon happy, wenn am Ende eine schwarze 0 dastehen würde.

WS: Ihr bekommt also keine jährliche Unterstützung von den Behörden?

WF: Nein, auch in der Landwirtschaft nicht. Wir sind zu klein. Das war auch der Grund, warum unser Vorgänger aufgehört hat. Mit der Agrarreform im Jahr 2000 wurden kleine Höfe nicht mehr finanziell unterstützt. Für uns war klar, dass wir hier kein volles Einkommen werden erwirtschaften können, aber das war schon damals nicht das Ziel. Wir brachten idealistische Ideen mit – und zu Beginn haben wir uns das Ganze gewiss auch etwas romantischer vorgestellt. Aber es ist halt trotzdem schön, diesen landwirtschaftlichen Streifen hier hinter der Musegg-Mauer mit den Tieren zu bewirtschaften…

Apropos Angebot: Da oben (zeigt aus dem Fenster zur Mauer hoch) haben wir noch einen Naturlehrpfad. Da steht beispielsweise ein „Geräusch-Ständer“. Eigentlich ist es ein Sinnespfad. Man kann ein paar Posten ablaufen, und jeweils entweder tasten, riechen oder fühlen. Man kann beispielsweise über eine Art Kneipp-Pfad mit verschiedenen Untergründen laufen.

WS: Die Tiere bieten ja in diesem Zusammenhang auch ein Erlebnis.

WF: Unsere nächste Idee wäre eine Umgestaltung der Ziegen-Weide. Dafür müssen wir allerdings zuerst Geld finden. Wir möchten einen grossen schönen Spielplatz für unsere Kleintiere machen. Auch für die Wildtiere könnten wir da im gleichen Zug Lebensräume gestalten. Wir haben da beispielsweise Igel, Wildbienen, Bodenwespen, Amphibien. Natürlich sollen auch unsere Tiere, die Mini-Schweine, die Ziegen und Hühner davon profitieren. Die Ziegen sollen zum Beispiel eine Kletterburg bekommen. Die jetzige Ziegenweide wäre ein wunderschöner Platz dafür; auch Trockenmauern könnten wir bauen. Davon träumen wir momentan; wir geben uns aber noch Zeit, um das Ganze zu planen und die Mittel zusammenzutragen. Bei uns stehen die Tiere, die Menschen und die Natur im Vordergrund, nicht die Ökonomie.

WS: Was möchtet ihr den Besuchenden mit nach Hause geben?

WF: Unsere Message geht in die Richtung, dass die Leute bei uns erleben können, wie man schon heute helfen und aktiv werden kann. Viele meinen, gewisse Sachen kann man erst in der Zukunft angehen, wir hier praktizieren es aber schon erfolgreich. Ein Beispiel ist die Kreislaufwirtschaft. Ich habe schon unseren Speicher, das Elektromobil, erwähnt. Wir haben aber noch andere Speicher. Wir stellen beispielsweise aus alten Lithium-Ionen-Akkus von Fahrzeugen, Velos, etc. eigene Speicher her. Wir messen die Batterien aus, konditionieren sie und bauen damit Speicher. So verwerten wir alte gebrauchte Zellen, die sonst im Abfall landen würden. Diese würden geschreddert, in der Schweiz wird nichts davon recycliert. Wir haben viele verschiedene Verwendungen für diese Batterie-Pakete. Unsere Aussenbeleuchtung wird so betrieben, wir schliessen die Batterien an verschiedene Geräte an und wir stellen Batterie-betriebene Lampen auf unsere Tische im Gastronomie-Betrieb.

Die Batteriebetriebene Lampe ist selbstgebaut und kann käuflich erworben werden (Micha Eicher, scharfsinn).

 

WF: Wir haben da ein wahrscheinlich weltweit exklusives Produkt – mit einer 100%igen, lebenslangen und bedingungslosen Garantie. Ich habe noch nie ein Produkt gesehen, das sowas bietet. Wenn die Lampe aus einer alten Batterie beschädigt ist, kann man hierherkommen und wir flicken sie wieder. Jede Reparatur ist im Kaufpreis inbegriffen. Das ist es, was man im Rahmen der Kreislaufwirtschaft erreichen möchte. Man will nur noch langlebige, reparierbare Produkte auf den Markt bringen. Wir gehen noch einen Schritt weiter und bieten alle Reparaturen im Kaufpreis inbegriffen an. Das fasziniert die Leute und stösst ein erfahrbares Umdenken an!

Diese Lampen stehen bei uns auf allen Tischen. Im Sommer ersetzen sie uns die Kerzen, sie werden auch nicht fortgeweht oder ausgeblasen. Man kann sie wieder aufladen, sie laufen aber ohnehin gefühlt ewig… Unsere Lampen stehen einfach auf den Tischen, die Leute lesen die darauf angebrachten Erklärungen und nehmen schon eine Botschaft mit nach Hause.

WS: Wo siehst du die Zukunft des Kulturhofs? Was möchtet ihr noch erreichen?

WF: Ich würde mir wünschen, dass die Geldsorgen weg wären. Ich wünsche mir, dass meine Frau und ich den Hof irgendwann jemandem übergeben können, der neue Ideen hat und diese auch umsetzen möchte. Wir wollen dieser Person eine gute Grundlage bieten. Wir sind die Initianten dieses Projekts, es ist für uns fast wie ein Kind. Es war eine Lebensaufgabe, diesen Hof hier hinter der Musegg-Mauer zu retten und in die Zukunft zu führen, ihn auch als Botschafter für Ideen und Konzepte der Nachhaltigkeit zu nutzen. Wir wollen das aber auch irgendwann weitergeben können. Es wäre ein Traum von uns, dass das auf einer sicheren, guten Grundlage geschehen kann.

WS: Ihr möchtet also ausdrücklich, dass die Nachhaltigkeit weiterhin im Vordergrund steht? Es soll nicht einfach wieder ein „normaler“ Bauernhof daraus werden?

WF: Dass daraus wieder ein konventioneller Bauernhof entsteht, wird nicht möglich sein. Wir haben ja einen Stiftungsrat. Dieser unterstützt unsere Strategie. Ich denke nicht, dass ein neues Leitungspaar hier alles einfach umkrempeln könnte. Ich glaube, dieser Ort bietet die besten Voraussetzungen, Nachhaltigkeitsthemen zu vermitteln, auf eine unterschwellige Art und Weise. Ich denke nicht, dass man diese einmalige Chance einfach so wieder aus den Händen geben wird.

WS: Ich danke dir vielmals für das tolle Gespräch!

WF: Gern geschehen!

 

Quellen und weitere Informationen:
Kulturhof Hinter Musegg: Wir leben Nachhaltigkeit
Instagram: kulturhofhintermusegg


 

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