Vor ungefähr 80 Jahren wurde die Natur gemeinhin noch als selbstverständlich und unerschöpflich angesehen. Es war die Hochzeit des Anthropozentrismus: Der Mensch fühlte sich wohl in seiner gottgegebenen, privilegierten Position und hatte als solcher das absolute Nutzungsrecht über Natur und Lebewesen. Zu jener Zeit war die Überlegung, dass die endlos scheinenden Ressourcen jemals zur Neige gehen könnten, weit entfernt.
Rascher Gesellschaftlicher Umbruch
Lange wurde der Gedanke des Naturschutzes von der Gesellschaft als unkonventionell abgestempelt. Während dem 18. und 19. Jahrhundert wurde die Landschaft auf der einen Seite als äusserst ästhetisch und faszinierend empfunden, was regelmässig seinen Ausdruck in der Kunst und Poesie fand. Andererseits wurde die Natur auch aus einem rein wirtschaftlichen Blickwinkel betrachtet. Diese Diskrepanz zwischen Gefallen an der Natur und ihrer wirtschaftlichen Nutzung war und ist noch heute ein wichtiger Konfliktpunkt. Ausserdem war man grundsätzlich der Meinung, dass gegen die Naturgewalten und natürlichen "Mängel" angekämpft werden musste: Ein noch vergleichsweise unschuldiges Paradebeispiel hierfür war der Tunnelbau, der eine gesellschaftliche Pioniertat bedeutete. Der Durchstoss war jeweils mit einem gewissen Stolz verbunden, die Natur (bzw. die Landschaft) bezwingen zu können.
Von der bis 1860 noch verschiedentlich bestehenden Agrargesellschaft (lokale Gewinnung von Holz und Lebensmitteln) über die Industriegesellschaft (importierte Kohle) zur heutigen Konsumgesellschaft (weltweite Förderung und Import von fossilen Energien wie Erdöl und Erdgas) fanden innert einer relativ kurzen Zeitspanne bedeutende gesellschaftliche Veränderungen statt.
In der vorindustriellen Zeit wurde nachhaltige Wirtschaft gross geschrieben, denn man hatte schlicht keine Wahl. Das Überleben einer Gesellschaft konnte nur gesichert werden, wenn der Erhalt der lokalen Ressourcen priorisiert wurde. Das ging auch mal schief, wenn Naturprozesse nicht ganz verstanden waren, aber üblicherweise setzte dann ein Lernprozess ein. Je mehr Vernetzung über Regions-, Kantons-, Landes- und Kontinentalgrenzen stattfand, desto zahlreicher wurden die Möglichkeiten. Waren irgendwo zu wenige Ressourcen vorhanden, liessen sie sich auf immer einfachere Weise herholen. Die eigenen Ressourcen für gesteigerte Gewinne zu plündern, wurde zusehends verlockender.
Das hatte vielseitige Folgen. Mit dem Kohleimport konnten die Gebirgswälder zwar vom Nutzungsdruck entlastet werden. Gleichzeitig führte der damit einhergehende Bau der Eisenbahnen zu grossflächigen Gewässerkorrekturen wie Kanalisierungen von Gewässern und der Trockenlegung von Mooren. Die vermehrte Bewirtschaftung von Kulturflächen und dementsprechend intensiviertere Düngung führte - im Gespann mit der grossflächigen Rodung von Hecken - zu einer verarmenden einheimischen Biodiversität; insbesondere während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Nachkriegszeit
Der Bau der Nationalstrassen und des Autobahnnetzes, die Vergrösserung der Siedlungsgebiete und die vermehrte Anwendung von Düngern und Pflanzenschutzmitteln hatten einen stattlichen Einfluss auf die Umwelt. Flüsse wurden durch schadstoffhaltige Rückstände wie Arsen von Chemiefirmen oder auch der Gerberei-Industrie verschmutzt, was unter anderem zu Fischsterben führte. Seit den 1950er Jahren haben Energieverbrauch, Flächenbedarf sowie Abfall- und Schadstoffbelastung von Wasser, Luft und Boden stark zugenommen.
Besonders in den 1960er und 70er Jahren tat sich dann aber auch nennenswertes im Bereich Umweltschutz. Zum einen wurde 1961 der WWF (World Wide Fund for Nature) gegründet, und der schon zuvor spriessende Natur- und Landschaftsschutzgedanke erhielt einigen Aufwind. Zum anderen wurden entscheidende Bücher geschrieben, deren Inhalte noch lange nachklingen sollten. Rachel Carsons «Silent Spring» etwa wurde 1962 veröffentlicht, konnte die weltweite Umweltbewegung nachhaltig beeinflussen und führte unter anderem zum späteren Verbot des Pestizides DDT.
Während sich mittlerweile viele Wissenschaftler immer ernsthafter mit dem Auswirkung des menschlichen Tuns auf unseren Planeten beschäftigten, war der Umweltgedanke im Grossteil der Bevölkerung noch kaum verbreitet. Mit dem Ziel, eine weltweite Verbesserung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur zu schaffen, wurde 1971 das Programm «Der Mensch und die Biosphäre» ins Leben gerufen mit der späteren Errichtung des Biosphärenreservaten-Netzes. Dieses sollte sicherstellen, dass die wirtschaftliche Entwicklung zwar vorrückt, aber Tradition und biologische Vielfalt gleichzeitig erhalten bleiben. Schon lange war es nicht mehr die Natur, die den Menschen bedrohte, sondern immer offensichtlicher der Mensch, der eine Bedrohung für die Natur darstellte.
Wissenschaft beflügelt den Umweltschutz
Nach und nach wurden Organisationen wie Friends of the Earth und Greenpeace aktiv, und 1970 fand der erste Tag der Erde statt. Es war jene Zeit, in der die Massenmedien erstmals in grösserem Umfang auf die Umweltthemen aufmerksam wurden und die Politik begann, ernsthafte Diskussionen über Umweltschutz zu führen. Nicht mehr ging es nur um den Konflikt zwischen Ästhetik und wirtschaftlichen Interessen: Die Wissenschaft gelangte zu neuen, folgenreichen Erkenntnissen. Speziell die umfassende Sachschrift "Die Grenzen des Wachstums" machte 1972 klar, dass es um nichts weniger als unsere Zukunft auf unserem Planeten ging. Der Mensch sollte sich eingestehen, dass er nicht der Herrscher der Erde war, sondern "bloss" Teil des irdischen Ökosystems. Der bewahrende Gedanke des Naturschutzes wurde mit dem systemischen Gedanken des Umweltschutzes ergänzt.
Schweizweit wurden während dieser Zeit Filteranlagen, Lärmschutz und Kläranlagen in grossem Stil gebaut. Als Reaktion auf die Burgunderblutalge in überdüngten Seen wie dem Murten- und Hallwilersee wurde schliesslich das nationale Gewässerschutzgesetz erlassen. Mit den Anfängen der Konsumgesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhielt auch die Umweltverschmutzung als deren Schattenseite mehr Aufmerksamkeit. In den 1960er-Jahren wurden unter anderem erstmals wissenschaftliche Messungen zum Schadstoffgehalt in der Luft durchgeführt.
Im Jahr 1970 wurde das Vereinigte Königreich das erste europäische Land mit einem Umweltministerium. Auch überall sonst mehrten sich die nationalen Umweltgesetze und man begann, die Verantwortung für Umweltschäden innerhalb der eigenen Landesgrenzen wahrzunehmen. Das Jahr 1971 gilt in der Schweiz als entscheidend, denn der Umweltartikel wurde mit 93% Ja-Stimmen der Bevölkerung in die Bundesverfassung aufgenommen. Das heutige Bundesamt für Umwelt (BAFU) wurde geschaffen. Erstmals wurde der Umweltschutz so zur Bundessache erklärt. 1983 erliess man ein weiteres Umweltgesetz mit dem Fokus auf Themen wie Luftverschmutzung, Lärm, Bodenschutz, Abfällen und dem Katastrophenschutz. Seither wurden weitere Verordnungen erlassen. Grosse Erfolge wurden vor allem bei verhältnismässig leicht zu bewältigenden Veränderungen wie dem Austausch von Schadstoffen mit weniger schädlichen Substanzen erreicht, die keine grösseren Investitionen benötigten. Sobald sich allerdings individueller Verzicht von Firmen und Privatpersonen (beispielsweise im Bereich der Mobilität) notwendig zeigten, rührte sich schon damals manchmal stiller, manchmal lauter Widerstand...
Nachdem nun der Umweltschutzgedanke breiter etabliert war, traten auch seine systemischen Verzweigungen immer deutlicher ans Licht. Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Bildung konnten zusehends schwerer umhin, sich ihrer Verantwortung für die natürliche Umwelt gewahr zu werden. Die Entwicklungen dahingehend - und den aktuellen Stand dieser Entwicklung - beleuchten wir morgen in der Fortsetzung dieses Beitrags.
Quellen und weitere Informationen:
Convery, I. and Peter, D. (2016): Changing Perceptions of Nature
Historisches Lexikon der Schweiz: Umwelt
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