Nähfabrik in Bangladesch Nähfabrik in Bangladesch

Genäht werden unsere Kleider in Auftragsarbeit in Räumen voller Nähmaschinen in Südasien und Osteuropa. Die Arbeitsbedingungen der Näherinnen dort sind allzu oft - und weiterhin - unsäglich.

Wir haben uns im Rahmen unserer Artikelserie zur Textilindustrie bereits mit der Produktion ihrer Rohstoffe, der Herstellung der Stoffe und den Praktiken der Textilveredelung beschäftigt. Zeit jetzt, uns mit dem Aspekt der Bekleidungsindustrie auseinanderzusetzen, der in den letzten Jahren die meisten Schlagzeilen produzierte: Dem Vernähen der Textilien und der Situation der Näherinnen.

Schnäppchenjagd der Konzerne

Um einen Überblick über die Situation zu bekommen, sind einige vorbereitende Feststellungen nützlich. Etwa die, dass die Textilfabriken, die dann über den darin arbeitenden Näherinnen zusammenbrechen oder in Flammen aufgehen - wie etwa Rana Plaza in Bangladesch 2013 oder Ali Enterprises in Pakistan 2015 -, nicht den Textilkonzernen selbst gehören. In aller Üblichkeit vergeben die grossen und kleineren Bekleidungsketten Aufträge an formal unabhängige Betriebe in den Billiglohnländern. Von diesen Fabriken gibt es viele, weshalb sie in harter Konkurrenz stehen, was dann wiederum die Preise drückt. Um konkurrenzfähig zu bleiben, werden Kosten gespart, etwa bei der Instandhaltung und Sicherheit der Gebäude und bei den Lohnzahlungen. Da die Textilproduktion eine essentielle Einkommensquelle vieler Länder in Südasien darstellt (für Bangladesch beispielsweise stellt sie 80% aller Exporte), werden ausbeuterische Arbeitsverhältnisse von den Regierungen selten eingeklagt. Im Gegenteil werden sie oft geschützt, indem etwa Arbeitervereinigungen zerschlagen, Demonstrantinnen verhaftet und Journalisten bedroht werden.

Diese Verwicklung der Politik in die wirtschaftlichen Voraussetzungen vor Ort nimmt nun die Konzerne nicht aus der Verantwortung. Es verweist nur ausserdem auf die grundlegende Problematik des globalisierten Marktes, Verstösse gegen Menschen-, Arbeits- oder Umweltrecht rechtlich zu ahnden. Es ist in diesem Zusammenhang überdies kein alleiniges Thema von Staaten wie Kambodscha, Burma, China, Bangladesch oder Indien, sondern ebenso Osteuropas oder der Türkei - und bald wohl auch Afrikas, sollte der sich abzeichnende Trend anhalten.

Menschen ohne Rechte an Nähmaschinen

Wie aber müssen wir uns nun die Situation einer Näherin in einer dieser Fabriken vorstellen? Sie arbeitet 14 bis 16 Stunden täglich in einem Raum voller Nähmaschinen, wo sie repetitiv eine Rüsche an eine Bluse näht. Ihr Lohn liegt unter dem Existenzminimum, sie ist deshalb angewiesen auf Überstunden und eventuelle Prämien, deren tatsächliche Vergütung aber ein Glücksspiel bleibt - wie in mehrfach dokumentierten Fällen die regelmässige Lohnzahlung überhaupt. Ihre konstante Erschöpfung macht sie anfällig für Arbeitsunfälle, die dann von keiner Unfallversicherung abgefedert werden. Mit erschreckender statistischer Wahrscheinlichkeit ist sie Ziel sexueller Übergriffe. Bei Krankheit oder Mutterschaft hat sie keinen durchsetzbaren Anspruch auf Freitage, ihr drohen Lohnkürzungen oder Kündigung. Ganz allgemein begibt sie sich in beträchtliche Gefahr, sollte sie ihre Arbeits- oder Vertragsrechte tatsächlich einfordern - soweit sie von solchen überhaupt Kenntnis hat.

Angesichts solcher Verhältnisse von Ausbeutung zu sprechen, bedarf keiner verwegen marxistischen Gesinnung. Gewiss kann unsere Näherin es besser treffen, indem sie etwa in einem Betrieb arbeitet, deren Auftragsgeber sich der Kontrolle und Verbesserung der Arbeitsverhältnisse verpflichtet sehen. Es kann indessen auch schlimmer kommen. Sie kann, beispielsweise, noch ein Kind sein. Sie sieht sich möglicherweise einem Regime körperlicher Strafen ausgeliefert. Kann auch sein, sie wurde von ihren Eltern an die Fabrikeigner verkauft; was dann eines der Beschäftigungsverhältnisse begründet, für das der treffende Begriff der Modernen Sklaverei geprägt wurde.

Sollen sie doch froh sein...?

Die wohl aus einem Gefühl der Hilflosigkeit geäusserte Antwort auf solche Beschreibungen ist oft: Immer noch besser als gar keine Arbeit. Und durchaus berechtigt wird dann vielleicht noch darauf hingewiesen, dass diese Fabrikjobs begehrt seien. Schon klar: Verhungernde essen auch Gras. Aber wollen wir dies zum Segen adeln? Zumal die Armut, der diese "Beliebtheit" der Selbstentmächtigung entspringt, zu wesentlichen Teilen ein Erbe unserer europäischen kolonialen Tradition ist. Eine Anpassung der Lohnverhältnisse der Näherinnen auf ein menschenwürdiges Niveau würde die Produktpalette der Fast Fashion nur minimal verteuern. Unsere eigenen historischen Erfahrungen mit Industrialisierung und Arbeitsrechten könnten uns deshalb schon einen Gedanken weiter tragen als zum beiläufigen Schulterzucken.

Eine Naht zur Umwelt

Bleibt die Frage, inwiefern diese sozialen Missstände unsere eher der ökologischen Problemstellung verschriebene Webseite angehen. Die Antwort: Mittelbar. Nehmen wir als Beispiel eine indische Mutter in einer von den Auswürfen der Textilindustrie verschmutzten Stadt. Ihre zwei Kinder sind beide asthmakrank. Sie antwortet auf die Frage, ob da nicht strengere Umweltauflagen angesagt wären: Nein. Erst kommen die Menschen, dann die Umwelt. Und mit den Menschen meint sie: Fabriken. Arbeit. Geld. Das mag - aus unserer Warte - kurzsichtig sein; immerhin sind es Umweltgifte, die ihre Kinder krank machen, und wir möchten vielleicht lieber die Wurzel des Problems vor dessen Symptomen angehen. Doch bevor die Mutter einen Gedanken an ökologische Fragen aufwenden kann, muss sie sich aus dem alltäglichen Existenzkampf lösen. Dass sie sich, nachdem dies geschafft ist, tatsächlich einer Verbesserung der Umweltbedingungen annehmen wird, dafür stehen die Chancen gut. Wir treffen in schöner Regelmässigkeit auf Exempel.

Das war nur ein ausnehmend simples Beispiel eines weitergehend systemischen Zusammenhangs zwischen Armut und Umweltzerstörung. Doch ob man sich mit dem Klimawandel, mit Biodiversität oder mit Bodendegradation beschäftigt, man trifft immer auf dieselbe Einschätzung: Dass wir die globalen ökologischen Herausforderungen nur nachhaltig angehen können, wenn eine mindestens notdürftige Verteilungsgerechtigkeit hergestellt ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig genug, den Rahmen dieses Artikels zu sprengen, doch eine darauf gründende Folgerung lässt sich wieder in sonniger Klarheit konstatieren: Dass hierfür die Stärkung der gesellschaftlichen Position der Frau unabdingbar ist. Womit wir nach kurzem Umweg wieder bei den Näherinnen anlangen.

Die Jahre seit dem Einsturz von Rana Plaza geben Grund zu vorsichtiger Hoffnung zur Verbesserung ihrer Lage. Die wiederholten Katastrophen lenkten die internationale Aufmerksamkeit dahin, zahlreiche Initiativen und Initiativbündnisse nahmen Konzerne und Regierungen in die Pflicht, entsprechende Zertifizierungen finden Abnehmer. Andererseits zeichnet sich ab, dass bisherige, auf Freiwilligkeit basierende Bemühungen der Konzerne zur nachhaltigen Verbesserung der Situation nicht ausreichen. Zu leicht fallen Ausweichbewegungen, zu abhängig und nutzniesserisch zeigen sich Regierungen, zu intransparent sind die Produktionswege. Druck kann da tatsächlich zu wichtigen Teilen von den Konsumentinnen ausgehen. Im heiss umkämpften Modemarkt kann und will sich kein Hersteller Skandale leisten. Von uns fordert das fortgesetzte Aufmerksamkeit und den Willen zum Buykott - aktuell angereichert mit einem wachsamen Augenmerk auf die Verhältnisse in Osteuropa und die Entwicklungen in Afrika, wo gerade verschiedentlich Räume mit Nähmaschinen angefüllt werden.

 

Weitere Infos und Quellen:
Die europäische Textilindustrie und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten
Sweatshop - Deadly Fashion
Bangladesh.org: Kritik fehlender Arbeitsrechte in der Textilindustrie
Tansy E. Hoskins: Das antikapitalistische Buch der Mode

 

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