Bestäuber als Schlüsselarten: Insekten
Die Anzahl und Artenvielfalt der Insekten nimmt auf regionaler und globaler Ebene stetig ab. Angesichts ihrer immensen Systemrelevanz als Schlüsselarten, insbesondere aufgrund ihrer Bestäubungstätigkeiten, sind wir gut beraten, sie und ihre Lebensräume vermehrt zu schützen.
Pflanzen sind im stetigen Austausch mit ihrer Umwelt und abhängig von verschiedensten Organismen. Fledermäuse, Vögel oder auch Reptilien tragen ihren Teil bei zur Fortpflanzung bei, jedoch spielen Insekten die entscheidende Rolle in der Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen. Sie sind daher unentbehrlich für unsere Ökosysteme.
Wieso bestäuben Biene & Co.?
Von der Bestäubung profitieren jeweils alle involvierten Parteien. Die Insekten sammeln den Nektar und den Blütenpollen zu Ernährungszwecken. Der süssliche Nektar besteht hauptsächlich aus den drei Zuckerarten Fructose (Fruchtzucker), Glucose (Traubenzucker) und Saccharose (Rohrzucker) und einigen anderen Inhaltsstoffen. Auch Pollen sind voller Schätze: Die Eiweisse, freien Aminosäuren und Vitamine werden etwa von den Bienen für die Versorgung ihrer «Ammen», die sich um die Larven und die Königin kümmern, genutzt.
Die Pflanzenblüten ihrerseits versuchen die Bestäuber anzulocken und sind daher in der Regel auffällig geformt und gefärbt. Manche betören die Insekten auch mit einem für sie unwiderstehlich wirkenden Duft. Um eine perfekte Symbiose zwischen Pflanzen und Tieren zu ermöglichen, haben sich diese Beziehungen über Tausende von Jahren der Co-Evolution entwickelt. Bei der Berührung mit der Blütenpflanze bestäuben die Tiere das weibliche Blütenorgan, die Nabe, mit den gesammelten Pollen als Träger des männlichen Erbguts. Später entstehen daraus die Samen und Früchte. Je nach Region ermöglichen die Abermilliarden Insekten Pflanzenbestäubungsquoten von geschätzten 80 bis 90 Prozent. Vor allem Wild- und Honigbienen erbringen hier wahre Meisterleistungen, doch viele andere Insekten wie Schmetterlinge, Käfer, Wespen und Fliegen tragen ebenfalls ihren grossen Teil dazu bei.
Feigenwespen ernähren indirekt tausende Tierarten
Beispielhaft für eine besonders erfolgreiche Bestäubungsstrategie sind die Feigenwespen (Agaonidae), eine Insektenfamilie aus der Überfamilie der Erzwespen. Sie haben sich auf eine exklusive Abhängigkeit mit den Feigen eingelassen. Die Gattung Ficus, der Feigen, umfasst eine unglaubliche Anzahl von über 1000 Arten. Sie sind hauptsächlich in den Tropen und Subtropen beheimatet als Bäume, Lianen oder Sträucher. Die verschiedenen Arten produzieren zu jeweils unterschiedlichen Zeiten Früchte, sodass Tiere praktisch das ganze Jahr über mit reichlich Futter versorgt werden. Feigen sind besonders reich an Kalzium, einem normalerweise eher knappen, also begehrten Mineralstoff. Besonders wichtig ist dies während der Trockenzeit, wenn die meisten anderen Pflanzen keine Früchte tragen. Die Feigen sind aber auch sonst hoch im Kurs: Sie bieten Vögeln wie Tukanen, Papageien und Tauben sowie unzähligen Säugetieren wie Fledermäusen und Affen Nahrung – gesamthaft ernähren sich über 1200 Wirbeltierarten von Feigen!
Um sich fortzupflanzen, müssen die Wespen durch ein Loch an der Unterseite der Feige (Ostiol) passieren, welches sich öffnet, sobald die Feige bestäubt werden kann. Während das Weibchen mit der Eiablage beschäftigt ist, reibt sie die ihr anhaftenden Pollenkörner an den umliegenden Blütchen und sorgt so für deren Bestäubung. Die weiblichen Feigenwespen sind also für die gesamte Bestäubung der Feigenpflanzen verantwortlich. Nachdem Pollenkörner erneut gesammelt oder versehentlich mitgeschleppt wurden, folgen die Wespen der Spur freigesetzter Chemikalien einer anderen Wirtspflanze, um wiederum ihre eigenen Eier abzulegen und gleichzeitig die nächste Feigengeneration mitzugründen.
Die Ökobilanz der Bestäuber
Die Bedeutsamkeit der bestäubenden Insekten lässt sich auf eine etwas übersichtlichere Weise auch in Zahlen ausdrücken. Jährlich erzielt die Produktion von bestäubungsabhängigen Kulturpflanzen einen Wert von bis zu 500 Milliarden Euro. Während der letzten 50 Jahre hat der Anbau dieser Pflanzen weltweit noch um mehr als 300 Prozent zugenommen. Dies bedeutet also, dass der eigentliche Wert der Bestäubungs-Dienstleistung für unsere landwirtschaftlichen Produkte weiter ansteigen dürfte. Gleichzeitig kriselt es aber in den Populationen der Insekten. Eine internationale Analyse hat rund 166 globale Langzeitstudien untersucht, die zwischen 1925 und 2018 an insgesamt 1676 Orten durchgeführt wurden. Die Analyse zeigte, dass die Zahl der Landinsekten jährlich um gut 0.92 Prozent abnimmt. Über einen Zeitraum von 30 Jahren macht dies immerhin einen Rückgang von rund 24 Prozent aus! Besonders nennenswerte Verluste erlitten demnach die USA und grosse Teile Europas.
Gefahren für unsere kleinen Freunde
Die intensive industrielle Bewirtschaftung macht den Insekten stark zu schaffen. Strukturen wie Ackerrandstreifen, Hecken, Feldgehölze und Blumenwiesen nehmen immer mehr ab, gleichzeitig werden noch immer viele Pestizide verwendet. Auch in den Wäldern fehlen zunehmend variantenreiche Lebensräume. An schattigen Orten gedeiht beispielsweise die Krautschicht mehr schlecht als recht und kann so auch weniger Insekten beherbergen. Viele Böden in den Siedlungsräumen werden zudem versiegelt, was die Lebensräume der Insekten zusätzlich eingrenzt und zerstört. All diese Entwicklungen tragen dazu bei, dass viele Insektenarten Mühe haben, genügend Lebensräume und Nahrung zu finden und sich fortzupflanzen.
Schutz der Insekten als Selbstschutz der Gesellschaft
Es gilt sich in Erinnerung zu halten: Insekten sind absolut systemrelevant! Sie zersetzen abgestorbene Biomasse, reinigen Wasser, verbessern die Bodenqualität und dienen als schmackhafte Leckerbissen für eine Vielzahl von Amphibien, Fischen und Vögeln. Werden unsere Kulturpflanzen nicht mehr bestäubt, können sie sich nicht mehr fortpflanzen. Weniger Vegetation bedeutet Ernteausfälle und die Gefährdung der menschlichen Versorgung mit Proteinen, Vitaminen und Eisen. Brechen die Insektenpopulationen ein, haben die Pflanzenfresser ebenfalls Mühe, genügend Nahrung zu finden – das gesamte Nahrungsnetz droht zu kollabieren.
Wenn man also bedenkt, wie viel Leben von den Insekten und ihrer Bestäubungs-Arbeit abhängt, müsste man meinen, es sei besonders wichtig, sie wieder schätzen zu lernen – und am besten schnell. Je mehr Insekten verschwinden, desto eher werden wir uns unweigerlich ihrer Schlüsselrolle in unseren Ökosystemen bewusst. Mittlerweile gibt es vielfältige Bemühungen zum Schutz der Insekten, sei es durch die Schaffung von mehr Rückzugsmöglichkeiten durch gestaffeltes Mähen von Wiesen, den Umstieg auf biologische Insektenabwehrmittel in der Landwirtschaft oder auch das Anpflanzen einheimischer Pflanzen, Sträucher und Bäume.
Als vielbeschäftigte Bestäuber mit unzähligen Nebenjobs sind Insekten also gewichtige Schlüsselarten. Tierarten, die Pflanzen auf andere Weisen bei der Fortpflanzung unter die Arme greifen, werden wir in der nächsten Woche besprechen.
NABU: Kleine Tierchen mit grosser Leistung
National Geographic: Wie dramatisch ist das Insektensterben wirklich?
BirdLife: Insektensterben
Kommentare ()