Beutetiere als Schlüsselarten: Antarktischer Krill und Pazifischer Lachs
Krill und Lachs treten in grosser Zahl auf und nehmen verschiedene Rollen in ihrem jeweiligen Ökosystem ein – kurz als Räuber, vor allem aber als essenzielle Beute für eine Reihe von Arten. Das Antarktische Krill ist zudem wichtiger Binder und Transporteur von CO2.
Viele Schlüsselarten sind Raubtiere und regulieren mit ihrer offensiven Lebensweise die Vegetation. Allerdings können auch Beutetiere eine unverhältnismässig grosse Rolle im Ökosystem spielen und daher als Keystone Species bezeichnet werden. Sie sind oft in riesigen Mengen vorhanden und dabei unverzichtbar für viele Arten.
Proteinlieferant Krill
Das Krill ist ein solches Beispiel – ein kleines, garnelenähnliches Krebstier, das in allen Weltmeeren schwimmt. Es gibt mindestens 82 verschiedene Arten von Krill.
Das Antarktische Krill ist mit bis zu 6 cm Länge eine der grössten dieser Arten. Viele Fische, Seevögel, Pinguine und Robben ernähren sich von Antarktischem Krill; ausserdem stellt es die Hauptnahrungsquelle von Bartwalen wie dem Buckelwal. Wale konsumieren täglich im Durchschnitt 5-30% ihrer Masse – drei Mal mehr als zuvor angenommen. Krill liefert insgesamt 96% der von den Seevögeln und Säugetieren benötigten Kalorien um die Antarktische Halbinsel und bietet damit eine der grössten Proteinressourcen weltweit. Diese kleinen Tiere vermehren sich also in unglaublicher Zahl. Als Schlüsselart befindet sich das Antarktische Krill im Zentrum des antarktischen Nahrungsnetzes: Ohne diese kleinen Krustentiere würden eine Vielzahl anderer Spezies nicht überleben und das Ökosystem der Antarktis zusammenbrechen.
CO2 - Transporteur
Obwohl der südliche Ozean, der den Kontinent Antarktis umgibt, nur etwa 10% des globalen Ozeans ausmacht, ist er doch enorm wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Hier befindet sich nämlich eine der grössten ozeanischen Kohlenstoffsenken für atmosphärisches CO2. Dies ist zu einem grossen Teil auch dem Antarktischen Krill zu verdanken.
Die Algen nahe der Wasseroberfläche begehen Photosynthese, indem sie den Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden. Krill schwärmen in der Nacht nach oben, um diesen Phytoplankton zu fressen, und halten sich am Tag in Tiefen von bis zu 200m – teilweise sogar bis zu 3000m – auf. Mit dem Ausscheiden des Kots gelangt der eingelagerte Kohlenstoff auf den Meeresboden. Geht die Sache anders aus und die Krebstiere werden beispielsweise von einem Blauwal gefressen, agiert der Wal als Kohlenstoffsenke, der das CO2 jahrzehntelang in seinem Körper speichern kann – bis er stirbt, auf den Grund des Ozeans sinkt und anschliessend von Tiefseeorganismen gefressen wird. Das Kohlenstoffdioxid landet so ebenfalls in den marinen Sedimenten, wo es dann auch verbleibt. Das Krill ist ein absolut notwendiger Teil dieses Prozesses, indem er ständig neu gebundenen Kohlenstoff in die Tiefe transportiert. Krillschwärme können Billionen von Individuen umfassen und gelten mit einer Biomasse von 500 Millionen Tonnen weltweit als eine der erfolgreichsten Tierarten der Welt. So sind auch ihre Leistungen im CO2-Bindungsprozess, gerade im Vergleich zu ihrer vernachlässigbaren individuellen Grösse, absolut gigantisch: Das Kohlenstoffdioxid, das der Krill in der Tiefsee zu speichern vermag, kommt dem jährlichen CO2-Ausstoss von etwa 35 Millionen Autos gleich!
Krillpopulationen in Gefahr
Allerdings haben Krillpopulationen seit den 1970er-Jahren stark abgenommen. Unter anderem bedroht die Fischerei die Zukunft der Krebstiere. Zunehmend werden sie als Zutat dem Tierfutter in der Landwirtschaft und Aquakultur beigemischt, als Köder im Fischfang eingesetzt oder als Omega-3-Nahrungsergänzungsmittel verkauft.
Zudem geben Forscher zu bedenken, dass im Jahr 2100 nur noch halb so viel Antarktischer Krill ausschlüpfen könnte. Aufgrund des erhöhten CO2-Ausstosses wird das Meerwasser saurer, was den Bruterfolg der Krebstiere massiv verringert. Nirgends auf der Erde steigen die Temperaturen schneller an als rund um die Antarktische Halbinsel. Es ist also in gewisser Weise paradox, dass gerade eine solch wichtige Schlüsselart wie das Antarktische Krill, das im Verbund mit den Algen viel CO2 zu speichern weiss, durch die Erderwärmung in Zukunft an ebendieser Tätigkeit gehindert werden könnte.
Um das Antarktische Krill wenigstens vor der Fischerei zu schützen, muss das sensible Ökosystem der Antarktis bewahrt werden. Bereits 1980 wurde die Organisation CCAMLR (Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources) mit dem Ziel gegründet, die Krillfischerei zu limitieren. Ausserdem werden auch im südlichen Ozean immer mehr MPA’s (Marine Protected Areas) etabliert – also Meeresschutzgebiete, die den Eingriff des Menschen einschränken sollen.
Ein Fisch mit einem interessanten Lebenslauf
Auch der Lachs ist eine Schlüsselart. Während seinem gesamten Lebensweg profitieren unzählige Spezies auf die eine oder andere Art von ihm. Er unterstützt ausserdem die Gesundheit und Funktion der Ökosysteme entlang der Küsten. Jeder einzelne Teil des Lebenszyklus eines Lachses ist stark mit anderen Organismen und Ökosystemen verknüpft. In der Regel wird er im Süsswasser geboren und «wandert» anschliessend Richtung Meer. Lachse sind Teil eines exklusiven Clubs – nur gerade etwa 3000 Fischarten können langfristig sowohl in salzigem Meerwasser als auch in Süsswasser überleben. Zum Laichen und anschliessenden Sterben zieht es die Lachse wieder zurück ins Süsswasser.
Pazifische Lachse sind zum Fressen da – aber nicht nur
Die Gattung der Pazifischen Lachse (Oncorhynchus) ist in Ostasien und dem westlichen Nordamerika verbreitet. Forscher haben ermittelt, dass die Nahrung der pazifischen Lachse auf ihrer Reise zum Meer zu über 50% aus Insekten in und an Bächen und Flüssen besteht. Würden die Lachse sie nicht fressen, würden sie sich uneingeschränkt vermehren, da in dieser aquatischen Umgebung keine anderen derart wichtigen Insektenfresser zu finden sind. Kehren die Lachse zum Laichen und Sterben ins Süsswasser zurück, verzehren Wölfe, Bären und aasfressende Vögel viele ihrer Kadaver und Eier. Manche Küstenwölfe beispielsweise ernähren sich zur Hälfte von Lachs. Auch Bärenpopulationen stützen sich zu einem Grossteil auf die Ernährung durch Lachse. In Gebieten mit grossen Lachspopulationen werden von Bären durchschnittlich 15 Stück am Tag vertilgt; die nahrhaften Fische machen bis zu 94% ihres jährlichen Proteinbedarfs aus. Stand- und Zugvögel benötigen für ihr Überleben und die anstrengende Winterwanderung viele Nährstoffe, die zu einem grossen Anteil ebenfalls von den Lachsen stammen. Die Anzahl Lachse in einem Bach erweist sich gar als Indikator für Dichte und Vielfalt von Vogelarten im umliegenden Ökosystem. Aber auch im Salzwasser ist der Lachs eine wichtige Nahrungsquelle. Der Chinook-Lachs beispielsweise ist in gewissen Gegenden die bevorzugte Beute der Orcas, und auch Robben haben eine Vorliebe für den Fisch. Sterben die Lachse am Ende, werden Bäche und Flüsse mit wertvollen Nährstoffen versorgt, die sich im Nahrungsnetz anreichern. Man nimmt an, dass dies die Gesamtproduktivität des Ökosystems erhöht.
Die vielen Hürden eines Lachses
Da ihr Lebenszyklus sehr komplex ist, sind Lachse anfällig für eine Vielzahl von Umweltveränderungen: Wenn beispielsweise der Zugang zu ihren Laichgründen versperrt ist oder eine allgemeine Verschlechterung des Lebensraumes durch Dämme und andere Hindernisse erfolgt. Je nach Art werden Pazifische Lachse als gefährdet eingestuft. So gehen etwa die Populationen des Chinook-Lachses stark zurück. Geht es so weiter, wird dies grosse Auswirkungen auf das gesamte nord-pazifische Nahrungsnetz haben. Raubtiere wie Orcas müssten sich komplett umorientieren oder im schlimmsten Fall aussterben.
So beeinflusst der Pazifische Lachs verschiedenste Ökosysteme auf enorme Weise und erlaubt dabei vielen Arten das Überleben. Hoffen wir also dass diese Schlüsselart uns noch lange erhalten bleibt.
In der nächsten Woche wird verraten, wie manche Tiere nicht nur Nahrungsnetze, sondern ganze Landschaften umgestalten.
PEW Trusts: Solutions to Protect Antarctica's Keystone Species
SRF: Wie Kohlendioxid den Krill bedroht
Baxter, Fausch and Saunders (2005): Tangled webs...
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