Buch «Eine neue Geschichte der Säugetiere»
Begeisterung begeistert. Und ganz besonders tut sie das hier, während uns Steve Brusatte leichtfüssig durch die Evolutionsgeschichte der Säugetiere führt und uns dabei unsere mannigfaltige Verwandtschaft in all ihrer Kuriosität und Faszination fassbar macht.
Ob die Säugetiere tatsächlich „die Welt eroberten“, fragen wir mal besser keinen Entomologen. Der lacht uns wahrscheinlich ins Gesicht. Unbestritten ist aber, dass wir Menschen an unseren pelzigen, warmblütigen Verwandten einen besonderen Narren gefressen haben: Wer „Tier* denkt, dem tritt höchstwahrscheinlich ein Säugetier vors innere Auge. Umso erstaunlicher deshalb, wie wenig wir üblicherweise von ihnen wissen – und das sagen wir, nachdem wir eigentlich meinten, schon berufsbedingt eine breitere Kenntnis davon zu haben. Aber nachdem uns nun Steve Brusatte auf seinen kurzweiligen Ausflug durch die Evolutionsgeschichte der Säuger mitgenommen hat, gestehen wir es halt zähneknirschend ein: Wir hatten ja keine Ahnung.
Freundlicherweise macht uns der amerikanische Paläontologe und Evolutionsbiologe Steve Brusatte ob dieser Ahnungslosigkeit nie einen Vorwurf. Sein Buch verpflichtet sich vollumfänglich der populärwissenschaftlichen Tugend, kein ausserordentliches Vorwissen vorauszusetzen; was ihm dann auch ganz schmerzlos erlaubt, überholtes Vorwissen zu korrigieren. Denn das „neu“ im Titel bezieht sich natürlich darauf, dass punkto der genaueren Stammbäume unserer säugenden Verwandten einiges ins Rutschen geraten ist, seit wir sie mittels genetischer Untersuchung noch einmal nachprüfen können. Steve Brusatte bringt uns diesbezüglich auf den aktuellen Stand, während er ganz von vorne beginnt: Bei den frühesten Vorläufern (noch vor den Dinosauriern), an denen er uns nicht zuletzt erläutert, was das Säugetier denn nun von den Echsen, Vögeln, Fischen und anderen Wirbeltieren präzise abgrenzt. Auf seiner weiteren, leichtfüssigen Tour durch die letzten paar Jahrmillionen folgt er längst nicht nur den Evolutionspfaden hin zu unseren heutigen Pferden, Katzen, Kängurus oder Elefanten, sondern auch so manchem verlorenen Ast, auf dem noch weitere faszinierende und lehrreiche Entdeckungen warten. Das Mammut, das Riesenfaultier oder der Säbelzahntiger gehen darüber natürlich nicht vergessen.
Dass es ihm gelingt, uns die mannigfaltigen, labyrinthischen Entwicklungspfade begreiflich zurechtzulegen, ist gewiss nicht das geringste von Steve Brusattes Verdiensten. Doch nicht minder erfreut er mit seiner Fertigkeit, uns die lang entschwundenen Tiere mit ihren ungewohnten lateinischen Namen fassbar zu machen. Auf den Spuren von Kloaken-, Beutel- und Plazentatieren knacken wir als langbeinige, torpedoförmige Baumkletterer die Exoskelette von Insekten, watscheln mit den Vorfahren der Wale zurück ins Wasser oder probieren als neugierige Baumgleiter mal aus, was geschieht, wenn wir im Gleitflug mit den Armen wackeln. In breiten Panoramen entführt er uns in urzeitliche Landschaften, in denen wir dann auch noch einen Blick auf die grösseren Zusammenhänge erhaschen. Und ganz nebenbei bringt er uns dabei nicht nur unsere Abstammungsgeschichte, sondern auch die Geschichte und Methode ihrer Erforschung nahe. Dass sich dies dann alles so vergnüglich und begeisternd liest, ist nur noch unsere letzte Rechtfertigung, sein Buch unter die besten populärwissenschaftlichen Sachbücher des Jahres zu wählen.
Autor | Steve Brusatte |
Verlag | Piper |
Umfang | 527 Seiten |
ISBN | 978-3-492-07193-2 |
Preis | Fr. 36.90 (UVP) |
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