Buch «Nutzungskonflikte seit 1950»
An den Alpen wird aus allerlei Richtungen gezerrt. Naturschutz, Tourismus, Landwirtschaft, Energie- und Verkehrswesen wollen alle ihr Teil davon. Die Beitragssammlung verschafft uns einen historischen Überblick über die zahlreichen Nutzungskonflikte.
Die Alpen sind in etlichen Wissenschaftszweigen ein beliebter Forschungsgegenstand. Nur wenige von diesen Studien beschäftigen sich aber mit den Einwirkungen von ausserhalb und die daraus entstehenden Nutzungskonflikte, die sich in den 1970er-Jahre mit der beginnenden Umweltbewegung verschärften. Im vorliegenden Buch vereinen sich Beiträge zu verschiedenen Aspekten mit diesem Hintergrund. Forschende aus der Schweiz, Italien, Österreich, Deutschland, Slowenien, Frankreich und Grossbritannien kommen zu Wort.
Im ersten Hauptkapitel wird über die «Wildnis» nachgedacht. Zuerst wird die Herkunft des Begriffs «Wilderness» geklärt, der sich Ende 20. Jahrhunderts in Europa etabliert hat. Am Beispiel der Rückkehr des Wolfes, als Symbol der Wildnis, wird der Umgang mit den oft emotional geführten Diskussionen anhand des Kommunikationsstils des Forstes aufgezeigt.
Nicht nur die Verbreitung des Wolfes fordert die Berglandwirtschaft heraus. Dies vergegenwärtigt das zweite Hauptkapitel über die Berglandwirtschaft. Es wird die mangelnde Berücksichtigung der Alpwirtschaft von übergeordneten Organisationen wie beispielsweise der damaligen EG mit der Situation in Bayern erörtert. Weiter wird eine vergleichende Studie zur Berglandwirtschaft in der Slowakei und Österreich nach 1945 vorgestellt. Wichtiges Thema waren dabei auch Einschränkungen durch den Naturschutz.
Die Planung von Schutzgebieten führt oft zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen der Berglandwirtschaft und dem Naturschutz. Dieser Themenbereich wird im dritten Hauptkapitel aufgenommen.
Berichtet wird über die Entstehungsgeschichte der Naturparks in Österreich, die ab 1962 insbesondere als Erholungsziele für die Bevölkerung Wiens entstanden sind. Wie internationale Organisationen wie die IUCN mit ihren Forderungen für Verwirrung sorgen können, zeigt die Einrichtung des Biosphärenparks der Nockberge. Der Beitrag schildert anschaulich die Verhandlungsetappen zu einer allseits akzeptierten Lösung.
Das vierte Hauptkapitel handelt von der Raumordnung und kommunalen Ressourcen. Zuerst wird die Bedeutung der Allmende in den italienischen Seealpen (Piemont) im 20. Jahrhundert skizziert. Das gewählte Beispiel von Andonno verdeutlicht, dass auch in der heutigen Zeit ein gemeinsames Ressourcenmanagement eine Aufwertung des ländlichen Raumes bewirken kann.
Es folgt eine Vorstellung des Entwicklungsmodells in den Churer Alpen in Arosa. Auf den ersten Blick zeigt sich eine harmonische Zusammenarbeit der intensiven Landwirtschaft und des Tourismus. Der ökologischen Dimension wird aber wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Kritik an grossen Bauvorhaben kam dann vor allem von auswärtigen Heimat- und Naturschutzorganisationen.
Im Rahmen von Nutzungskonflikten darf die Energiegewinnung in den Alpen nicht fehlen. Diesem brennenden Dauerthema widmet sich das fünfte Kapitel.
Die Geschichte der Staudämme wirft ein Licht auf die arrogante Vorgehensweise der Energielobby. Eindrücklich ist die Beschreibung des Machtmissbrauchs und der asymmetrischen Kräfteverhältnisse. Mit Versprechungen von vorteilhaften Entwicklungsmöglichkeiten wurde die Bevölkerung geködert; so beispielsweise in Émosson Ende der 1960er-Jahren. Im gleichen Zeitraum wurden ohne Rücksicht auf Verluste Staudämme in Frankreich errichtet. Die Anliegen der betroffenen Bevölkerung wurden ignoriert und in Werbefilmen der Elektrizitätsgesellschaft schön geredet. In Slowenien hingegen war der Widerstand erfolgreich, wie dies ein weiterer Aufsatz beleuchtet.
Ähnlich brisant wie die Nutzung der Wasserkraft ist die Problematik des Transitverkehrs, der in den Beiträgen im sechsten Kapitel thematisiert wird. Die aufflammenden Proteste der Anwohner der Brenner- und der Gotthardroute in den 1970er-Jahren werden einander gegenübergestellt. Aber nicht nur Transitachsen verursachen Widerstand. Auch Zufahrtsstrassen zu höher gelegen Orten können zu Konflikten führen. Die Ansprüche an einen tadellosen Strassenzustand stiegen mit der Zunahme des alpinen Tourismus und der Neuzuzüger, die im Tal arbeiten. Darüber wird im letzten Bericht referiert.
Die Beiträge im Kapitel Forum gehören zwar nicht zum Hauptthema, zeigen aber dennoch lesenswerte Einblicke, beispielsweise der Aufsatz über die Landnahme von Unterländern in Bergdörfern anlässlich der Wiederentdeckung der Berge.
Alles in allem zeigt das Werk die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Alpen und der weltweiten Gebirgswelt schlechthin. Die Konflikte zwischen den Ideen des Bewahrens und der Nutzung sind meist komplex, und um Lösungen muss gerungen werden. Das Buch enthält Texte in Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch. Die weitgehend wissenschaftliche, dennoch gut verständliche Sprache ist vielleicht nicht jedermanns Sache, der anhaltend aktuelle Inhalt aber macht das Buch zu einer lohnenswerten, anregenden Lektüre.
Autor | Internationale Gesellschaft für historische Alpenforschung |
Verlag | Chronos |
Umfang | 326 Seiten |
ISBN | 978-3-0340-1682-7 |
Preis | Fr. 38.– (UVP) |
Kommentare ()