Der Mensch als ultimative Schlüsselart
Der Mensch wird oft als Hyper-Keystone Species bezeichnet, also als eine besonders bedeutsame Schlüsselart, die weltweit Ökosysteme in grossem Masse zu beeinflussen weiss.

In den vergangenen Wochen wurden in dieser Artikelserie vielerlei Geschichten über Schlüsselarten erzählt, also Arten, die einen unverhältnismässig grossen Einfluss auf ihr jeweiliges Ökosystem haben. Geschichten von Ökosystem-Ingenieuren wie Spechten und Bibern, die ganze Landschaften verändern können, oder vom Antarktischen Krill, dessen riesige Schwärme unentbehrlich sind für Fische, Robben und Wale. Geschichten auch über Raubtiere im Wasser und an Land, deren Aufgabe es ist, die Pflanzenfresser-Populationen in ihrem jeweiligen Ökosystem in Schach zu halten, und schliesslich Aasfresser und Zersetzer, die die Verarbeitung toter Materie übernehmen, um deren Nährstoffe wieder dem natürlichen Kreislauf beizufügen. Pflanzen wie Mangroven und Eichen, die äusserlich unterschiedlicher nicht sein könnten und in komplett unterschiedlichen Erdteilen heimisch sind, aber doch beide Schlüsselarten mit ganz ähnlicher Funktion sind: Sie bieten Schutz, Nahrung und Brutplätze für eine ganze Reihe von Arten. Zu guter Letzt sind Bestäuber und Samenverteiler wie die Wildbiene oder der Helmkasuar entscheidend für das fortwährende Pflanzenwachstum und damit in indirekter Weise ebenfalls mitverantwortlich für ein funktionierendes Nahrungsnetz.
Die verschiedenen bekannten Funktionen der Schlüsselarten wurden also an ihren jeweiligen Vertretern abgehandelt. Oder etwa nicht? - Nein, einer fehlt noch: Der Homo Sapiens.
Auch der Mensch ist ein Ökosystem-Ingenieur, der die Welt im grossen Stil zu verändern mag. Durch die globale Ausbreitung und seine immer grösser werdende Anzahl hat er sich mittlerweile den gesamten Planeten erschliessen können. Kein Wunder also, wird der Mensch vermehrt als Hyper-Keystone Species wahrgenommen. Eine Schlüsselart also, die auch andere Schlüsselarten in aussergewöhnlichem Ausmass beeinflusst und ihre Umwelt in komplexen Kettenreaktionen über die einzelnen Lebensräume hinaus verändert. Menschen beeinflussen Lebensräume am Boden, in der Luft, in den Bergen, am Meer und hinterlassen ihre Spuren sogar im Weltall. Der Homo Sapiens jagt und fischt, bebaut, fördert Rohstoffe, bepflanzt. Eine einzigartige Spezies, die, so scheint es, alles kann. Es wurden Medikamente entwickelt, Raketen gebaut, das Internet erfunden, Pyramiden aufgeschichtet, Symphonien geschaffen. Mit einem doch beneidenswerten Drang zur stetigen Weiterentwicklung bleibt anderes zwangsläufig auf der Strecke. Um dem Lebenswandel des Menschen gerecht zu werden, wird abgeholzt, überfischt, verschmutzt, betoniert. Die Lebensräume werden immer kleiner und unwirtlicher. Längst nicht alle Organismen dieses Planeten können sich solchen, meist rasch ablaufenden Veränderungen in nützlicher Frist anpassen – viele von ihnen sind mittlerweile gefährdet. Solch zerstörerische Auswirkungen durch den Menschen laufen oft ab, ohne dass der sich der eigenen Abhängigkeit von seiner natürlichen Umwelt bewusst ist. Sauerstoff, Wasser, Nahrung: Dies sind nur einige der unentbehrlichen Dienstleistungen eines gesunden Ökosystems, ohne die unsere Spezies einpacken kann.
Das eigentliche Ziel dieser Artikelserie war es, aufzuzeigen, wie stark die einzelnen Bausteine, die Arten, innerhalb eines Ökosystems miteinander interagieren und das grosse Ganze gestalten. Welche Überlebensstrategien entwickelt wurden, um aus den jeweils vorherrschenden Umweltbedingungen das Beste herauszuholen. Und vor allem, wie gross die Auswirkung sein kann, wenn eine besonders wichtige Schlüsselart wegfällt und das gesamte Ökosystem destabilisiert wird – oft durch den menschlichen Einfluss.
Es ist bezeichnend, dass der Mensch in der Vergangenheit aus der ökologischen Forschung ausgeklammert wurde, fast so, als wären wir kein Teil des grossen Ganzen. Gleichzeitig neigen Ökonomen dazu, Ökosysteme als irrelevant zu betrachten. Nun bleibt die Frage, ob nicht jede Menge Wechselwirkungen und Interaktionen zwischen Mensch und Ökosystem stattfinden, die gemeinsam studiert und verbessert werden sollten. Je mehr die Zusammenhänge begreifbar werden, desto eher wird klar, dass der Homo Sapiens nicht in Isolation, sondern eben im Zusammenspiel und als Teil der Natur betrachtet werden müsste. Dies würde zweifellos zu einem tieferen Verständnis des dem Menschen gebührenden Platzes in der Welt führen - und zu einer Verbesserung der Gesamtsituation der natürlichen Umwelt.
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