Destruenten als Schlüsselarten: Der Regenwurm
Völlig unbemerkt verrichten sie ihre Arbeit direkt unter unseren Füssen und stemmen doch die Welt auf ihren kleinen „Schultern“: Destruenten wie Regenwürmer erhalten unsere Lebensgrundlage.
Die vielen, sich immer wiederholenden Kreisläufe in der Natur sind unglaublich wichtig für alles Leben auf der Erde. Breit bekannt sind der Kreislauf der Jahreszeiten oder der Wasserkreislauf mit fortwährender Verdunstung und anschliessender Kondensation. Sehr viel unbemerkter sind die in unzähligen Lebensräumen ablaufenden Stickstoff-, Kohlenstoff-, und Nährstoffkreisläufe, ohne die alles aus dem Ruder laufen würde.
Aus alt mach neu
Mittendrin in alledem sollen hier die Destruenten erwähnt sein, deren Bezeichnung eigentlich «Zerstörer» bedeutet. Dies sind Organismen, die energiereiche, organische Stoffe in energiearme, anorganische Stoffe zerlegen. Für den Beginn des Zersetzungsvorgangs abgestorbener Vegetation wie Laub und toter Bäume oder Tiere sind die sogenannten Saprobionten verantwortlich. Je nach ihren Hinterlassenschaften zählen zu diesen Zersetzern die im letzten Artikel besprochenen Aasfresser, beispielsweise Geier, oder auch Totholzfresser wie Termiten. Kotfresser sind etwa Mistkäfer und als Filtrierer betätigen sich Muscheln. Asseln oder Regenwürmer leisten als Substratfresser ihren Beitrag. Das mechanische Zerkleinern erlaubt eine bessere Angriffsfläche für die nächsten Destruenten, Mineralisierer wie Pilze und Bakterien, die die chemische Zersetzung vorantreiben. Daraus entstehen schliesslich verschiedene Mineralsalze wie Magnesium,- Calcium- und Nitratsalze, oder auch Kohlenstoffdioxid, welche vom Boden absorbiert werden können und den Primärproduzenten anschliessend wieder zum Aufbau von organischem Material zur Verfügung stehen. Pflanzen können durch Photosynthese Wasser und anorganischen Kohlenstoff nutzen, um neues organisches Material, wie etwa Traubenzucker, zu produzieren. Auf solch energiereiche Substanzen sind im Anschluss Menschen und Tiere als Konsumenten gleichermassen angewiesen. Dieser autarke Stoffkreislauf ermöglicht einen steten Energiefluss im Nahrungsnetz eines Ökosystems und beginnt mit der Verwesung von Tier- und Pflanzenmaterial jeweils wieder von neuem.
Der Regenwurm als Exempel
Wenn nach dem Lieblingstier gefragt wird, werden Regenwürmer nur selten genannt – schade eigentlich. Zwar sind sie weder kuschelig noch hören sie auf ihren Namen (sie sind taub), doch sind es ganz schön raffinierte Tierchen. Allerdings hatten sie es nicht leicht: Regenwürmer wurden lange als Schädlinge angesehen. Dies änderte sich erst 1881, als Charles Darwin, der den Wert der Regenwürmer erkannte hatte, ihnen gleich ein ganzes Buch widmete. Obwohl er hauptsächlich für seine Evolutionsstudien bekannt wurde, ist Darwins eigentliches Lebenswerk das Studium der Regenwürmer, mit denen er sich immerhin während 43 Jahren befasste.
"Man kann wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutende Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben wie diese niedrig organisierten Geschöpfe." - Charles R. Darwin
Doch was macht diese Bodenbewohner so unglaublich? Erstens einmal gibt es nicht «den» Regenwurm. Weltweit sind über 3000 verschiedene Arten bekannt, in der Schweiz gibt es immerhin rund 40 Regenwurmarten. Der am weitesten verbreitete Schweizer Regenwurm bewohnt nahezu alle Lebensräume, von Wiesen über Äcker zu Gärten und Wäldern, ist rotbraun gefärbt und wird als Tauwurm (Lumbricus terrestris) bezeichnet. Er ist eine Schlüsselart, weil er unermüdlich ackert, belüftet, frisst und verdaut und damit ganze Lebensgemeinschaften erhält. Laub und Ernterückstände holt er sich von der Erdoberfläche und bringt sie in seine Wohnröhre, deren Gänge sich in bis zu zwei Metern Tiefe schlängeln. Andere Regenwurmarten halten sich praktisch nur im Wurzelbereich von Pflanzen auf, um sich von abgestorbenen Wurzelteilen zu ernähren.
Gesunde Bodenbiologie durch stetiges Ackern
Die Arbeit eines Regenwurms ist faszinierend. Während er sich durch den Boden bewegt, lockert und mischt er ihn und unterstützt dadurch seine Belüftung und Entwässerung sowie das Wurzelwachstum von Pflanzen. Sein Kot verwandelt den Boden ausserdem in einen ausgesprochen fruchtbaren Humus. In einem durchschnittlich besiedelten Boden können 1 Million Regenwürmer rund 100 Tonnen Wurmkot pro Hektar und Jahr produzieren. Dieser Wurmkot hat es in sich; verglichen mit der umliegenden Erde beinhaltet er ein Vielfaches an Nährstoffen wie Stickstoff, Phosphor und Kalium – Ein komplett natürlicher, hervorragender Dünger!
Ein gesunder, nährstoffreicher Boden ist eine unserer kostbarsten Ressourcen überhaupt. Ob wir Rüebli, Böhnli und Radiesli direkt aus dem Garten ernten oder indirekt durch tierische Produkte einnehmen, er bietet uns eine wichtige Lebensgrundlage. Da der Regenwurm einen grossen Anteil daran hat, wird er zurecht als Schlüsselart bezeichnet.
Vielerorts lassen wir die Regenwürmer und ihre anderen Destruenten-Kollegen aber nicht mehr in Ruhe ihre Arbeit verrichten. Landschaften werden zunehmend zerstört und Böden versiegelt. In der Schweiz nimmt die Siedlungsfläche jede Sekunde um fast einen Quadratmeter zu. Werden die Böden mit Parkplätzen, Strassen und Gebäuden verbaut, verschwindet das Leben im Erdenreich. So kräftig der Regenwurm auch ist – immerhin kann er das 50-fache seines Körpergewichts stemmen – werden die Böden vermehrt auch mit grossen landwirtschaftlichen Maschinen verdichtet, sodass es den Würmern schwerfällt, sich durchzuackern.
Auch Klimabedingungen vermögen es, die Regenwurmpopulationen nachhaltig zu beeinflussen. Längere Trockenperioden, wie sie in Zukunft öfter zu erwarten sind, können ihre Dichte begrenzen und damit ihren Einfluss auf die Bodenbiologie verringern.
Zusätzlich werden noch immer grosszügige Güllemengen auf den Feldern verteilt, die dem Bodenbohrer schwer zu schaffen machen. Klüger wäre es, vermehrt auf den natürlich hergestellten Kompost des Regenwurmes zu setzen. Da die Regenwürmer sehr empfindlich auf jegliche Schadstoffe wie Pestizide oder Schwermetalle reagieren, sind sie wichtige Indikatoren für die Bodengesundheit und Toxizität. Dies bedeutet, dass von einem gesunden Bodenklima ausgegangen werden kann, wo es vor Regenwürmern nur so wimmelt.
Ausblick
Bis anhin waren hauptsächlich Tiere Teil dieser wöchentlichen Serie über Schlüsselarten. In der nächsten Woche dreht sich aber für einmal alles um Pflanzen, die einen überdurchschnittlich grossen Einfluss auf ihre jeweiligen Ökosysteme ausüben.
Pro Natura: Regenwurm
Deutschlandfunk: Klimabedingungen beeinflussen Regenwurmpopulationen
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