Keystone Species: Warum sie uns nicht egal sein sollten
Die Stabilität eines Lebensraumes ist essenziell, um ein gutes Funktionieren der sogenannten Ökosystemleistungen zu garantieren, z.B. unseren Zugang zu sauberem Wasser und Nahrung. Dies ist nur möglich, wenn ein komplexes Zusammenspiel einer grossen Anzahl Organismen auf allen Ebenen stattfindet.

Die Artenzusammensetzung im Ökosystem spielt eine entscheidende Rolle. Spezies unterscheiden sich in der Weise wie Ressourcen genutzt werden, in ihrer Toleranz gegenüber verschiedenen Umweltereignissen und ihrer Interaktion mit anderen Arten. Es ist unbestritten, dass die Häufigkeit einer auftretenden Art in Ökosystemprozessen eine wichtige Rolle spielt. Allerdings üben auch weniger verbreitete Arten viel grössere Wirkungen auf Gemeinschaften und Ökosysteme aus, als ihnen aufgrund ihrer Anzahl vorhergesagt worden wäre.
Die Entdeckung der Schlüsselarten
Robert Paine, ein junger amerikanischer Forscher, definierte in den 1960er Jahren die sogenannten Keystone Species. Die „Entdeckung“ dieser Schlüsselarten war wegweisend, denn sie veränderte damals das grundlegende Verständnis des Zusammenspiels verschiedener Tier- und Pflanzenarten. In der Architektur bezeichnet der Keystone den Schlussstein eines Bogens. Er ist essenziell für die Stabilität des ganzen Konstrukts. Wird er entfernt, fällt alles in sich zusammen. Denselben Effekt beobachtet man an Schlüsselarten in Ökosystemen. Manche Arten haben also eine wichtigere Rolle inne als andere, oder wie dies George Orwell ausdrückte: „ Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher als die anderen."
Die allererste Schlüsselart, die zur eigentlichen Entdeckung beitrug, war ein kleiner violetter Seestern (Pisaster ochraceus). Ihren Lebensraum an einer felsigen Küste im Staat Washington teilen diese Seesterne mit einer Reihe von anderen Arten. Sie ernähren sich von Massen an Muscheln. Paine wollte herausfinden, ob die Entfernung der Art überhaupt einen Effekt auf das Ökoystem haben würde, und warf so alle Seesterne an einem Küstenabschnitt ins Meer. Es zeigte sich, dass die Muscheln sich dank der künstlichen Entfernung ihres Hauptfeindes unkontrolliert vermehrten und damit wiederum andere Arten, die zuvor auf dem Felsen gelebt hatten - wie Seepocken, Algen und Schnecken - verdrängten. Die ehemals üppige Vielfalt dieses Lebensraumes hatte also an Biodiversität eingebüsst und brach in sich zusammen. Alles nur wegen dem Verschwinden einer einzigen Spezies.
Diverse Varianten der Keystone Species
Der Seestern erzählt aber nur einen Teil der Geschichte. Während viele Keystone Species tatsächlich Raubtiere wie Wölfe, Haie und Jaguare sind, gibt es auch solche, die Landschaften auf andere Weise radikal verändern können; sogenannte Ökoingenieure wie Biber und Elefanten. Aasfresser wie Geier können ebenso Schlüsselarten sein wie der mikroskopisch kleine Krill, der als Nahrungsgrundlage für eine ganze Reihe von Meerestieren dient.
Dabei ist es vollkommen unwichtig, wie objektiv schön eine Art ist, wie flauschig, wie gross ihre Augen: Einzig ihre Funktion bestimmt ihre Bedeutung für ein Ökosystem.
Ein Ausblick
Angesichts der Tatsache, dass Lebensräume durch die Einflussnahme des Menschen immer mehr zerstört werden, ist es wünschenswert, die jeweiligen Zusammenhänge in Ökosystemen zu verstehen. Schlüsselarten frühzeitig zu identifizieren, ermöglicht einen nachhaltigen Schutz.
Deshalb wollen wir in dieser Serie jede Woche eine Schlüsselart unter die Lupe nehmen und dabei einige ihrer spannenden Eigenschaften und vielfältigen Rollen im jeweiligen Ökosystem erarbeiten. Ebenfalls wird besprochen, welche Auswirkungen ihr Verschwinden auf die Stabilität des Ökosystems hatte oder haben könnte.
Cleland, E. E. (2011): Biodiversity and Ecosystem Stability
National Geographic: Ökosysteme: warum manche Tiere wichtiger sind als andere
Power et. al. (1996): Challenges in the quest for keystones
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