Ökosystem-Ingenieure als Schlüsselarten: Specht und Biber

Eigentlich bauen, flicken und modifizieren Ökosystem-Ingenieure nur für ihren Eigengebrauch. Die umgestalteten Lebensräume durch Specht und Biber erlauben allerdings die Ansiedelung vieler Pflanzen- und Tierarten. Dies erhöht die Gesamtbiodiversität und stabilisiert das Ökosystem.

Ökosystem-Ingenieure als Schlüsselarten: Specht und Biber
Spechte zimmern ihre eigene Wohnung - auch für Nachmieter (Ralph, Pixabay)

Ökosystem-Ingenieure sind Organismen, die mit ihrem Wirken ganze Landschaften umgestalten können. Sie schaffen, zerstören, erhalten oder modifizieren. Dies erhöht die Heterogenität im Ökosystem und verbessert die Lebensbedingungen für viele andere Arten, was das System stärkt und es ihm ermöglicht, Störungen auszubalancieren. Der totale Effekt dieser Ingenieursleistung führt zu einer Erhöhung des globalen Artenreichtums von rund 25 Prozent. Doch was tun diese Ingenieure? Es gibt Arten, die ihre Umwelt in einem relativ kleinen Rahmen verändern: Beispielsweise verbessern Blattschneider-Ameisen das Mikroklima im Boden durch clevere Belüftungssysteme in ihren Nestern. Dies fördert dann das Pflanzenwachstum und das Vorkommen anderer Organismen. Andere krempeln im ganz grossen Stil um.

Wer hämmert denn da?

Einer, der sich ganz sicher nicht zu schade ist zum Arbeiten, ist der Specht. Weltweit gibt es über 200 Spechtarten; neun davon kommen in der Schweiz vor, darunter der Bunt-, Schwarz- und Grünspecht. Spechte sind mehr oder weniger von Waldlebensräumen abhängig. Die gut hörbaren Schläge, die mit einer Frequenz von etwa 20 Hieben pro Sekunde als Trommelwirbel auf den Baum eindonnern, verraten oft ihre Präsenz. Der meisselartige Schnabel erlaubt es dem Specht, seinen erstaunlichen holzbildhauerischen Tätigkeiten nachzugehen. Die Gründe für die Bohrungen sind divers. Männchen tun es, um ihr Revier gegenüber Nebenbuhlern abzugrenzen und Weibchen anzulocken. Spechte zimmern aber auch ihre Nisthöhlen in Bäume. Eine solche, sorgfältig ausgebaute Einkerbung wird während jeweils einer Brutsaison genutzt. Im nächsten Frühling geht die Arbeit wieder von vorne los: Eine andere Höhle wird hergestellt.

Keine kalten Betten

Diese steten Wechsel bedeuten aber auch, dass jede Menge Zimmer für andere Gäste frei werden, die sich im Holzbearbeitungsmetier etwas weniger geschickt anstellen. Beispielsweise werden die Einkerbungen von Schwarzspechten bevorzugt von Meisen, Dohlen, Zaunkönigen, Eichhörnchen, Baummardern und Fledermäusen als Nistplatz für ihre eigenen Nachkommen oder als Unterschlupf genutzt. Die seltenen Rauhfusskäuze und Hohltauben brüten gar fast ausschliesslich in Schwarzspechthöhlen. Solche Schutzräume sind sehr wertvoll, da sie von einer Vielzahl von Arten über eine lange Zeitperiode gebraucht werden können. Die von den Spechten konstruierten Höhlen bieten ausserdem oft einen grösseren Schutz als natürliche Baumhöhlen, da sie für ebendiesen Zweck gebaut wurden. Die durchdachte Konstruktion erschwert es Raubtieren, an die Küken zu kommen. Zudem sind Spechte mitverantwortlich, die im Holz lebenden Insekten unter Kontrolle zu halten. Diese sind nicht nur ein gefundenes Fressen für die Spechte; ihre Eindämmung hilft ausserdem, den Baumbestand gesund zu halten. Die Holzspäne, die zu Boden geraspelt werden, nützen kleineren Organismen wie Käfern.

Damit sich die Spechte in einem Waldgebiet besonders wohl fühlen, sollten scheinbar wertlose tote Bäume, die zum Teil abgebrochen und mit Hohlräumen durchsetzt sind, stehen gelassen werden. Sie erweisen sich oft als hochwertige Lebensräume.

Emsige Nager

Biber gehören zu den prominentesten Ökosystemingenieuren. Ihre Veränderungen führen zu teilweise grossflächigen strukturellen Umgestaltungen der Landschaft.
Der Biber ist fleissig und voller Tatendrang und in seiner Lebensweise absolut einzigartig. Gerade im Sommer ist der Speiseplan eines Bibers sehr vielfältig und besteht aus etwa 300 verschiedenen Kräutern und Hölzern. Zum Teil sind die begehrten Zweige und Knospen nur weit oben am Baum zu finden. Da der Biber nicht klettern kann, fällt er die Bäume kurzerhand. Oft zeugen Nagespuren an Bäumen und Ästen entlang eines Wasserlaufes von der Anwesenheit des Säugetiers. Der Holzfäller macht sich nämlich regelmässig an die Arbeit, um Verbesserungen an seinem Bau oder Damm vorzunehmen.

Das Werk eines Bibers (Albrecht Fietz, Pixabay)

Architekt, Konstrukteur, Ingenieur

Mit Zweigen und Ästen konstruieren die Biber ihren Bau, das Herzstück des Reviers. Die nacht- und dämmerungsaktiven Tiere ziehen sich tagsüber in ihre Biberburg zurück, wobei der Eingang jeweils unter Wasser steht, sodass die Familie keine Attacke von Seiten der Füchse oder Dachse fürchten muss. Damit der Bau aber das ganze Jahr über Schutz bietet, haben sich die Nagetiere etwas Zusätzliches einfallen lassen. Da der Wasserstand selten konstant bleibt, konstruiert er einen Damm, damit oberhalb ein kleiner Stausee – auch Biberteich genannt – mit nahezu konstantem Wasserspiegel entsteht. So sind Biber in der Lage, den Wasserfluss den Umweltbedingungen entsprechend zu regulieren. Bei anhaltenden Niederschlägen und Hochwasser werden einige Äste entfernt, damit Wasser abfliessen kann. Mangelt es hingegen an Wasser, erhöht der Biber den Damm, um mehr davon zu stauen.

Grosse Artenvielfalt

Die durch den Biber gestaltete heterogene Landschaft mit Verlandungszonen, Flachufern und Buchten bietet neue Lebensräume. Die Zusammensetzung der Ufervegetation verändert sich ebenfalls mit dem Eingriff der Nager – seltene Vegetationsmosaiken entstehen, und das Fällen von Bäumen sorgt für mehr Sonneneinfall. Dies ermöglicht das Emporwachsen einer artenreichen Krautschicht. Darüber hinaus erlauben Lichtungen die Etablierung von neuen Baumarten wie Birken, Pappeln und Weiden: Die Waldbiodiversität erhöht sich. Werden Flussabschnitte aufgrund der Stauaktivitäten der Biber überschwemmt, können Biberwiesen entstehen, die sich sukzessive weiterentwickeln, und auch Biotope wie Teiche und Sümpfe, die ein komplett neues Ökosystem mit ihren eigenen charakteristischen Arten bilden. Von diesen Veränderungen in der Vegetation und der Gewässerzone profitieren wiederum Tiere wie Insekten, Vögel, Fledermäuse, Amphibien und sogar grössere Arten wie Rehe. Manche Fische und kleine Makroinvertebraten nutzen Biberdämme ausserdem, um sich zu verstecken und fortzupflanzen. Im Revierbereich von Bibern konnten nennenswerte Biodiversitätssteigerungen von rund 80 Prozent bei Tieren und Pflanzen festgestellt werden.

Das tiefe Wasser kann langfristig zum Absterben von Bäumen führen. Das daraus entstandene Totholz ist ebenfalls wichtig für eine ganze Reihe von Arten; beispielsweise auch wieder für den Specht. Wenn Biber sich entscheiden, ihre Wohnung zu wechseln, können die Unterkünfte ähnlich jener der Spechte anschliessend noch von anderen Tiergruppen wie Amphibien und kleinen Säugetieren als Unterschlupf genutzt werden.

Vergangenheit und Zukunft

In der Schweiz wurde der Biber vor allem aufgrund seines Fleisches und seines Pelzes gejagt und bereits Anfang des 19. Jahrhunderts ausgerottet. Zwischen 1956 und 1977 wurden an verschiedenen Orten total 141 Biber freigelassen. Stand 2019 lebten geschätzt 3500 Tiere im Land. Während seiner Abwesenheit wurde die Schweiz verstärkt industrialisiert, bevölkert und bebaut. Kein Wunder also, dass seine Rückkehr nicht überall problemlos verlief.
Entlang der meisten Fliessgewässer im Mittelland verlaufen Lauf- oder Fahrwege. Will er seine Unterkunft in eine Uferböschung hineinbauen, kann der Biber durch seine graberischen Tätigkeiten Pfade zum Einsturz bringen. Ausserdem können Stauungen Flüsse zum Überlaufen bringen, oder der Grundwasserspiegel steigt derart stark an, dass umgebendes Ackerland versumpft.

Wenn einem die Bibertätigkeiten nicht passen, darf man allerdings nicht selber Hand anlegen – der Nager ist in der Schweiz geschützt. Das heisst, weder Burgen und Dämme noch Biber dürfen ohne Bewilligung der zuständigen Behörde entfernt werden; Schäden werden gegebenenfalls kompensiert. 90 Prozent der Probleme mit Bibern beschränken sich auf Uferstreifen in etwa 10 Metern Breite beidseits von Wasserläufen. Der Gewässerschutz in der Schweiz bevorzugt ohnehin vergrösserte Pufferzonen entlang des Ufers, vor allem als Vorbeugung gegen Hochwasserereignisse. Dies würde den Bibern künftig genügend Raum gelassen und Konflikte reduzieren.

Es kann ja einem Baumliebhaber angesichts eines schönen, vertrauten Baumes, der vom Biber benagt oder bereits gefällt wurde, schon mal das Herz bluten. Nur sollten wir uns dann auch ins Gedächtnis rufen, dass dies letztlich der Startschuss zur Erneuerung ist: Viele Tiere und Pflanzen profitieren von dieser, schon bevor ein neuer Baum gewachsen ist. In diesem Gedanken sollte einem friedlichen Zusammenleben mit dem Nagetier nichts im Wege stehen – zumal die Leistungen des Ökosystem-Ingenieurs unschlagbar sind.

In der nächsten Woche werden noch einige andere Ökosystem-Ingenieure vorgestellt; diesmal aber Bewohner der Afrikanischen Savanne.