Samenverbreiter als Schlüsselarten: Fledermaus und Helmkasuar

Fledermaus und Helmkasuar könnten äusserlich unterschiedlicher nicht sein. Und doch erfüllen sie als Samenverteiler beide essenzielle Aufgaben in ihrem jeweiligen Ökosystem. Dies macht sie zu enorm wichtigen Schlüsselarten.

Samenverbreiter als Schlüsselarten: Fledermaus und Helmkasuar
Der Helmkasuar ist eine Schlüsselart im Regenwald. (seiichiro, Unsplash)

Im Schutze der Dunkelheit schwirren sie im Eiltempo übers Wasser, drehen Loopings um Bäume und weichen dabei allen möglichen Hindernissen aus. Die Ultraschall-Signale, die sie währenddessen aussenden, erlauben es ihnen, ihre Beute punktgenau zu orten und innerhalb einer Reaktionszeit von nur gerade 50 bis 100 Millisekunden zu schnappen. Sie beleben sämtliche Kontinente ausser die Antarktis und sind eine der artenreichsten Säugetiergruppen mit derzeit über 1400 bekannten Arten. Die Rede ist natürlich von Fledermäusen. Wir erleben sie meist nur während der Dämmerung, wenn sich ihre und unsere Aktivitätszeitfenster kurzzeitig überlappen. Ihre heimliche, uns fast unheimliche Art, sich kopfüber in Höhlen und anderen schauerlichen Kavitäten festzuklammern hat uns lange davon abgehalten, ihren wahren Wert zu erkennen. Sie erbringen nämlich in mehrerer Hinsicht wertvolle Ökosystemdienstleistungen und lassen sich daher auch nur schwer in eine Schlüsselart-Kategorie einordnen.

Fledermäuse als Insektenfresser und Ernteretter

Je nach Lebensart beeinflussen die Fledermäuse ihre facettenreichen Ökosysteme auf unterschiedliche Weisen. Manche leben vegetarisch, ernähren sich also vor allem von Früchten, Blüten, Pollen und Nektar, andere Fledermäuse fühlen sich eher einem Vampir-Lifestyle zugehörig. Unsere einheimischen Fledermäuse naschen allerdings vor allem Insekten, wobei sie als natürliche Schädlingskontrolle wirken. Besonders gewaltige Auswirkungen der insektenfressenden Fledermäuse sind zum Beispiel in Thailand spürbar. Die Khao-Chon-Pran-Höhle wird von rund 2.6 Millionen Freischwanzfledermäusen bewohnt, die pro Nacht gut 17.5 Tonnen Insekten fressen. Rechnet man die Zahlen auf ganz Thailand hoch, erhält man eine unglaubliche Masse von 20'000 Tonnen gefressenen Insekten pro Jahr. Diese geschenkte Dienstleistung lässt sich überdies ökonomisch unterstreichen: Durch den Verzehr von Schädlingen können riesige Summen eingespart werden, die sonst für Pestizide ausgegeben würden – in den USA beläuft sich dieser Betrag auf schätzungsweise drei Milliarden Dollar pro Jahr. Da Fledermäuse in Thailand ausserdem die Spitzkopfzikaden-Populationen einzudämmen vermögen, schützen sie die einheimischen Reisfelder vor einem Schädlingsbefall und können jährlich vermutlich die Nahrung für rund 26'000 Menschen sichern.

Von Bestäubern und Samenverbreitern

Eine andere Aufgabe haben Blütenfledermäuse: Sie sind wichtige Bestäuber. Eine Studie aus Indonesien zeigt, dass ohne Zugang der Flugtiere zu den Kakaoplantagen der Ernteertrag bis zu einem Drittel reduziert wurde. Im Übrigen sind Fledermäuse auch massgeblich mitverantwortlich für die Bestäubung von Agaven, die zur Tequila-Produktion in Mittelamerika genutzt werden. Vampirfledermäuse hingegen ernähren sich vom Blut anderer Tiere. Die proteinreiche Nahrung führt zu einer erhöhten Stickstoffansammlung im Kot. Besonders in den Tropen wo keine besonders fruchtbaren Böden vorkommen, ist dies ein willkommener Nährstoff.

Die vegetarischen, früchteverzehrenden Fledermäuse schliesslich sind besonders in den Tropen und Subtropen äusserst wichtige Samenverbreiter. Rund 250 Arten vertilgen dort Früchte und Nektar von über 500 Sträuchern und Bäumen. Bis die Überreste ausgeschieden werden, legen die Vielflieger oft grosse Strecken zurück. So kommt es vor, dass Pflanzenarten weit weg von ihrem Ursprungsort keimen. Solche Pionierpflanzen führen unter anderem zu einer rascheren Erholung eines gerodeten Waldes.

Skurriler Laufvogel

Eine wundersame Schlüsselart ist auch der Südliche Kasuar (Casuarius casuarius), der in Indonesien, Neuguinea und in Queensland, Australien lebt. Der Laufvogel kann eine Höhe von 1.8m erreichen und bringt bis zu 76 kg auf die Waage. Obschon stark gebaut, ist er ein eher schüchterner Zeitgenosse und wird nur selten erspäht. Auffallend hingegen ist seine Färbung: Sein Hals leuchtet in den Farben blau und violett, Nacken und Kehllappen sind rot gefärbt. Besonders merkwürdig erscheint ausserdem die grosse Haube auf dem Kopf des Vogels. Sie besteht aussen aus Keratin und hat innen eine eher schwammige Konsistenz. Da ihn beide Geschlechter tragen, kann es kein Mittel des Männchens sein, die Damen zur Fortpflanzung zu bewegen. Über den Zweck dieses Helms wird eifrig diskutiert. Denkbar ist, dass er dazu verwendet wird, sich unfallfrei durch das dichte Regenwaldunterholz zu manövrieren. Da der Vogel bis zu seinem Lebensende weiterwächst, wäre es allerdings auch möglich, dass die Grösse der Haube Alter und Dominanz des Einzelgängers repräsentieren. Schliesslich deuten einige Untersuchungen darauf hin, dass der Helm den Kasuaren helfen könnte, Artgenossen durch die Vibrationen ihrer dröhnenden Rufe wahrzunehmen.

Kasuare fühlen sich nicht nur im Regenwald, sondern auch in Sümpfen und Mangrovenwäldern zu Hause. Manchmal sind sie gar an Stränden vorzufinden. Bei Früchteknappheit fressen die Laufvögel auch kleine Wirbeltiere, Pilze oder Aas – allerdings bevorzugen sie Obst auf ihrem Speiseplan. Ihr Aufenthalt in vielfältigen Lebensräumen erlaubt ihnen den Zugriff auf Früchte während dem gesamten Jahr. Bei bester Verfügbarkeit der Früchte – zwischen Juni und Oktober – brüten die flugunfähigen Vögel. Das Weibchen legt drei bis fünf Eier ins mit Blättern ausgekleidete Nest und lässt das Männchen anschliessend den Rest der Arbeit, das Ausbrüten, erledigen. Die Küken bleiben ungefähr ein Jahr beim Vater-Kasuar und werden anschliessend verjagt, um sich selbstständig zu machen.

Als Regenwaldgärtner unterwegs

Kasuare ernähren sich von am Boden liegenden Früchten von insgesamt 238 Pflanzenarten und verbreiten deren Samen über grosse Entfernungen. Der Name «Regenwaldgärtner» kommt halt nicht von ungefähr… Geschätzte 100 Pflanzenarten, insbesondere jene mit grossen Samen, sind zur Samenverbreitung und Keimung komplett auf die Kasuare angewiesen. Beispielsweise lässt sich die Kasuarpflaume (Cerbera floribunda) einzig von Kasuaren verdauen. Das Verdauungssystem des Kasuars enthält eine seltene Kombination von Enzymen, die ihm die Verdauung der sonst giftigen Frucht erlaubt.

Ein intakter Regenwald unterstützt die Artenvielfalt und auch die Wasserqualität, was sich bis hin zur Gesundheit des Great Barrier Reefs auswirkt. Die genannten Regenwälder könnten ohne die Kasuare nicht überleben – nicht in dem Reichtum, wie sie ihn jetzt (noch) zeigen. Als Samenverteiler sind die prähistorischen Vögel deshalb unersetzliche Schlüsselarten im jeweiligen Ökosystem.

Nächste Woche

Wir nähern uns dem Ende dieser Artikelserie. Als Abschluss stellen wir nächste Woche die Frage, welche Rolle der Mensch in Bezug auf unsere Ökosysteme und Schlüsselarten einnimmt.

Quellen und weitere Informationen
Spektrum: Fledermäuse: Nächtliche Helfer
Southern Cassowary
Rainforest Trust: Cassowary