Ein ganzheitliches Leben mit Permakultur
Umweltnetz-Schweiz: Sie haben Philosophie und Religionswissenschaften studiert. Weshalb dieser Richtungswechsel zu einer Organisation wie VISIO-Permacultura? Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen Ihrer Arbeit und Ihrem Studium?
Sereina Stähli: Ich habe Philosophie studiert, mit dem Schwerpunkt Ethik. Mich haben schon früher immer die Fragen beschäftigt: Was ist das richtige Handeln? Wie sieht die Welt aus, in der ich leben möchte?
Nach meinem Studium wollte ich herausfinden, wie die Lebensformen der Zukunft aussehen. Ich bin herumgereist und besuchte viele Communities. Ich war auch in WWOOF - World-Wide Opportunities on Organic Farms - und Permakultur-Projekten. Dabei habe ich bemerkt, dass mich diese Themen sehr interessieren. Mein damaliger Geldjob war das Fundraising für Pro Natura – ich bin also bereits länger im Umwelt-Bereich drin – und sie haben mir dann für meine Leistungen einen Permakultur-Designkurs bezahlt. Nach dem Kurs wusste ich, das ist es! Da passt alles zusammen.
Es ist ziemlich schwierig, eine Lebensphilosophie zu finden, die alles beinhaltet, was einem wichtig ist. Permakultur fasst für mich alles zusammen.
Bei der Stiftung arbeitete ich zuerst beim Projekt Permakultur-Konkret – das ist unsere Bildungsplattform. Ich wurde für journalistische Arbeiten und die Gestaltung der Webseite eingestellt, bevor ich eine Festanstellung erhielt.
Auf Ihrer Webseite reden Sie im Zusammenhang mit der Permakultur von einem «ganzheitlichen Leben». Was meinen Sie damit
S. S.: Ich betrachte das Leben mit einem philosophischen Hintergrund und bin überzeugt, dass alles zusammenhängt. «Ganzheitlich» bedeutet ja eigentlich «allumfassend». Ich glaube, im Leben kann man nicht nur einen Aspekt betrachten, man muss immer alles betrachten und schauen, wie es miteinander zusammenhängt. Da ist Permakultur ein gutes Beispiel. Sie betrifft alle Lebensbereiche: Deine Ernährung, die Wirtschaft, das Klima, die Beziehungen von Tieren und Menschen. Es geht um alles. Ich glaube, wenn wir die Probleme, die wir haben, wirklich lösen wollen, dann müssen wir eine ganzheitliche Sicht haben. Sonst werden wir es nicht schaffen.
VISIO-Permacultura hat das Ziel, Erkenntnisse der Permakultur in der Schweizer Landwirtschaft zu etablieren. Was kann ich mir unter Permakultur vorstellen?
S. S.: Permakultur ist ein Gestaltungsprinzip für Lebensräume. Dabei wird versucht, mit der Natur zusammen Räume zu gestalten, so dass alle Beteiligten – also Menschen, Tiere und Pflanzen – den besten Platz darin finden. Das Prinzip ist in Australien entstanden, erarbeitet von Bill Mollison. Zusammen mit seinem Schüler David Holmgren begann er, Lösungen für die dortige Wasserknappheiten zu suchen, und entwickelte dabei die Permakultur.
In der Schweiz ist die Permakultur – leider – noch nicht sehr bekannt und wird auch noch nicht so gelebt. Sie ist in anderen Ländern viel weiterentwickelt.
Masanobu Fukuoka, ein japanischer Mikrobiologe und Bauer, der mehrere Standardwerke über die Permakultur schrieb, bezeichnete diese auch als «Nichts-tun-Landwirtschaft». Sehen Sie das auch so?
S. S.: Dadurch wurde die Permakultur erstmals ein Stück weit populär; als «Hängematten-Gärtnerei». Aber das ist etwas, das ich nicht unterschreiben würde. Das Ziel der Permakultur ist es, selbstregulierende Ökosysteme zu schaffen. Wenn diese einmal selbstreguliert sind, dann hat man sehr wenig Arbeitsaufwand. Der Weg dorthin macht jedoch sehr viel Arbeit. Es ist also nicht so, dass man nichts machen muss. Im Gegensatz zu anderen Methoden lässt Permakultur zu, dass Dinge einfach passieren. Es können beispielsweise Tiere, Pflanzen oder Nährstoffe einwandern. Man lässt diese Prozesse geschehen. So kann vielleicht dieses «Nichts-Tun» verstanden werden. Bisher kenne ich aber kein fertiges, selbstregulierendes Ökosystem, und es ist nach wie vor so, dass der Mensch der Regulator sein muss. Das ist ein Prozess über Jahrzehnte, das kann nicht einfach so in einem Jahr gemacht werden.
Eine Strategie von Masanobu Fukuoka ist beispielsweise, dass er nicht wählt, wo er etwas pflanzt. Er schmeisst einfach alles irgendwo hin und schaut, wo was wächst. Er meint, dass sich Pflanzen den Ort selbst wählen. Das ist ein sehr schöner Gedanke. Ich habe es selbst noch nie ausprobiert, aber es ist schwierig, das einem Landwirt zu erklären. Das sind dann zwei ganz unterschiedliche Welten, die da aufeinandertreffen.
VISIO-Permacultura setzt sich für eine nachhaltige Pflanzen- und Bodenbewirtschaftung in der Schweiz ein. Wie geht die Stiftung dabei vor?
S. S.: Bodenbewirtschaftung ist so ein Wort… Permakultur bewirtschaftet den Boden grundsätzlich nicht – das ist gerade der Unterschied.
In unseren Statuten steht, dass wir die Permakultur in der Landwirtschaft etablieren und Wissen dazu vermitteln möchten. Das sind unsere zwei Kernthemen. Wir fördern einerseits Permakultur-Projekte finanziell. Andererseits stellen wir das Wissen der Permakultur zur Verfügung - und zwar gratis - so dass jede und jeder bei sich zu Hause beginnen kann. Es gibt daher eine Spannweite von der Privatperson bis zum Landwirt, in der wir versuchen, das Wort Permakultur zu etablieren. Wir wollen daher einerseits konkrete Projekte fördern, sie begleiten und sie auch dokumentieren. Gleichzeitig investieren wir aber auch in die Forschung und die Bildung. Denn um die Leute zu überzeugen, auf Permakultur umzusteigen, brauchst du genügend Fakten. Dafür müssen wir jetzt in allen Bereichen Gas geben und die Erkenntnisse erarbeiten, die man den Landwirten mitteilen kann und die sie dann anwenden können. Da liegt bisher noch eine Schwachstelle.
Als 2019 die Stiftung gegründet wurde, wie habt ihr das das Thema an die Leute herangetragen?
S. S.: Unser erster Schritt war, eine Webseite zu erstellen und herunterzubrechen, was wir überhaupt wollen. Der zweite Schritt war, dass wir mit Permakultur-konkret begonnen haben. Wir bemerkten, dass es in der Schweiz keine guten Informationen zu diesem Thema gab. Jedes Permakultur-Projekt machte irgendetwas, aber meist nicht sehr professionell und immer nur sehr punktuell. Unser Wunsch war es, dass wir etwas kreieren, wo allumfassend Informationen abgeholt werden können. Als nächstes breiteten wir uns über Social Media nach aussen aus. Wir bemerkten, dass das sehr essenziell ist, denn wenn wir Permakultur in der Landwirtschaft etablieren möchten, dann braucht es auch Konsumenten.
Wir können nicht nur in die Produzenten investieren, wir müssen auch die Konsumenten sensibilisieren.
Das ist auch heute noch der Weg, den wir zu gehen versuchen: Dass wir sowohl mit Landwirtschaftsschulen wie beispielsweise mit Inforama zusammenarbeiten und uns mit dem Permakultur-Verein Landwirtschaft vernetzen und gleichzeitig auch versuchen, den ganz normalen Bürger für das Thema zu sensibilisieren.
Wie steht es heute um die Permakultur in der Schweiz?
S. S.: In der Schweiz hinken wir hinterher. Es gibt verschiedenste Permakultur-Projekte, aber es gibt keinen einzigen kompletten Landwirtschaftsbetrieb, der nach Permakultur funktioniert. Das ist natürlich etwas, dass wir ändern möchten. Wir möchten genügend Vorzeigeprojekte aufbauen und ein Netzwerk kreieren, wo die Leute Wissen abholen und sehen können, was Permakultur ist. Solche Projekte gibt es bereits in Österreich, in Deutschland, in Italien, in Frankreich – Frankreich ist sehr weit, mit über 20 000 Permakultur-Projekten und einem grossen Netzwerk. Auch in Australien und Brasilien gibt es einige Permakultur-Projekte, im Gegensatz zu Europa auch grossflächige, 800 Hektaren-Projekte. Die Herausforderungen sind dort natürlich andere als bei uns.
Permakultur ist auf alle Klimazonen anwendbar; trotzdem ist es so, dass jede Klimazone ihre eigenen Challenges hat.
Gerade Australien ist besonders von Wasserproblemen betroffen. Das haben wir in der Schweiz nicht - oder noch nicht. Das kann in Zukunft auch anders aussehen, und gerade in Bezug auf den Klimawandel ist es sinnvoll, dass auch wir Wasserkreislaufsysteme kreieren und unsere Ressourcen nachhaltig nutzen. Da herrscht ein bisschen Luxusdenken bei uns, weil wir es einfach gewohnt sind, dass wir viel Wasser haben. Deshalb haben wir bisher noch keine Schritte in diese Richtung gemacht. Andere Länder, die bereits viel früher damit konfrontiert wurden, mussten auch reagieren, da sie sonst gar keine Landwirtschaft mehr betreiben konnten.
Welche konkreten Projekte gibt es bisher in der Schweiz?
S. S.: In der Schweiz gibt es verschiedenste Projekte. Eines ist beispielsweise der Auenhof in Feldbach. Dort gibt es 3 Hektaren landwirtschaftliche Fläche, der Hof ist gerade im Prozess als Landwirtschaftsbetrieb anerkannt zu werden. Wenn er anerkannt wird, ist er der erste komplette Permakulturhof der Schweiz.
Wir haben ausserdem sehr viele Teilprojekte. Es gibt Landwirte, die möchten beispielsweise einfach mal einen Hektar auf Permakultur umstellen und schauen, was passiert. Ich glaube, das ist auch der Weg, den wir gehen müssen. Man kann nicht von einem Landwirt erwarten, dass er von null auf hundert geht. Interessant ist, dass die meisten Projekte auf Landwirtschaftsland in der Schweiz von Privatpersonen gestartet werden. Das heisst, ein Landwirt verpachtet sein Land an Privatpersonen und diese bauen dann ein Permakultur-Projekt auf. Viele Landwirte haben gar nicht die Kapazität und die Zeit, solche Versuche selbst zu unternehmen.
Wir haben ausserdem soziale Projekte, die wir unterstützen, wie beispielsweise das Projekt langSAMEr in Biel. Dabei handelt es sich um eine Zwischennutzung des ehemaligen Fussballstadions mitten in Biel, wo nun seit drei Jahren ein Permakulturgarten aufgebaut wird. Gleichzeitig ist es ein Integrationsprogramm für Menschen mit psychischen Problemen, die dort arbeiten können. Auch das ist ein Teil der Permakultur:
Es ist nicht nur Earth Care, sondern auch People Care und Fair Share.
Daher gibt es eine grosse Spannweite an Projekten, die wir unterstützen. Wir möchten Landwirtschaft, aber auch Bildung, soziale Projekte und die Forschung fördern. Wir unterstützen beispielsweise auch einen Feldgarten und einen Waldgarten der HAFL, welche nach Permakultur angelegt wurden. Sie erforschen diese Projekte über die Jahre, um dann auch wissenschaftlich Fakten zu erarbeiten.
Wir wünschen uns natürlich, dass noch mehr Landwirte dazukommen. Es braucht aber noch etwas Zeit, sie zu sensibilisieren. Das ist auch ein Punkt: Viele Landwirte haben noch nie von uns gehört. Wir müssen uns noch bekannter machen.
Wo gibt es besondere Schwierigkeiten?
S. S.: Die Vorgaben und Regulierungen, inwiefern auf dem Land gebaut werden darf, sind relativ eng in der Schweiz. Seit letztem Herbst gibt es den Permakultur-Direktzahlungs-Code 725 in der Landwirtschaft. Erst dieser ermöglichte, dass auf landwirtschaftlicher Fläche auch wirklich nach Permakultur angebaut werden kann. Vorher gab es keine Subventionen. Beispielsweise Agroforstsysteme oder Hochstammbäume mussten einen gewissen Abstand zueinander einhalten, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. In der Permakultur pflanzt man enger und mit zusätzlicher Unterbepflanzung. Das hat dazu geführt, dass die Landwirte keine Direktzahlungen bekommen haben. Das sind so die Challenges. Auch die Etablierung der Permakultur überhaupt ist eine grosse Herausforderung, da wir nicht so viele Flächen haben.
Wo hat die Schweizer Landwirtschaft Ihrer Meinung nach den grössten Änderungsbedarf?
S. S.: Meiner Meinung nach gibt es mehrere relevante Punkte. Ein erster sind Pestizide, Fungizide, Kunstdünger und auch Nitrate. Das sind alles Chemikalien, die wir auf unser Land geben. Ein zweiter ist unser grosser Humusverlust. Die Notwendigkeit ist sehr gross, dass wir wieder Humus aufbauen und somit die Bodenfruchtbarkeit halten können. Das sind die beiden grundlegenden Komponenten, dass unsere Landwirtschaft in Zukunft überhaupt noch funktioniert. Und dort setzt die Permakultur an: Bei der Bodenbewirtschaftung ist es so, dass Permakultur vorsieht, dass der Boden nicht umgegraben wird. Durch das Umgraben wird CO2 gelöst, das im Boden gespeichert war.
Würden wir aufhören umzugraben und mit Gründünger arbeiten, dann würden wir nicht nur die Biodiversität fördern, sondern auch noch das CO2 im Boden speichern. Das wäre ein sehr wertvoller Beitrag für unser Klima.
Als dritten Punkt müssen wir uns ausserdem fragen, wie viele Nutztiere die Schweiz erträgt. Wir haben einfach eine zu hohe Nutztierauslastung. Mehr als 50% der Flächen in der Schweiz werden für Nutztiere gebraucht. Das führt natürlich dazu, dass es sehr viel Nitrat gibt. Wir müssen lernen, auf eine andere Art zu produzieren und zu konsumieren und ganzheitlich zu betrachten, was wir als Schweiz brauchen und wie wir die Ernährungssicherheit für die nächsten Generationen sicherstellen. Das sind Fragen, die sich auch die Landwirtschaft stellen muss.
Was kann ein Schweizer/ eine Schweizerin privat unternehmen, um eine nachhaltige Schweizer Landwirtschaft zu ermöglichen?
S. S.: Zum einen denke ich, dass eine Privatperson, wenn sie Fläche hat, selbst etwas anpflanzen kann. Man kann immer etwas machen und damit auch die Biodiversität erhöhen und beginnen, sich selbst zu versorgen. Zum anderen können sich private Personen solidarischen Landwirtschaftsprojekten anschliessen, anstelle in den Supermarkt zu gehen und dort das Gemüse zu kaufen. Ein Gemüseabo mit regionalen Produkten beispielsweise. Es ist nun mal einfach so, dass der ganz normale Bürger entscheiden kann, was er auf seinem Teller haben möchte. Wenn er eine nachhaltige Landwirtschaft haben möchte, muss er wohl auch bereit sein, etwas mehr dafür zu bezahlen. Denn in der Permakultur gibt es sehr viel Handarbeit, und daher sind auch die Kosten der Lebensmittel höher.
Wir bedanken uns herzlich für dieses informative Gespräch!
VISIO Permacultura
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