Der, der mit Pflanzen malt – Ein Interview mit Maurice Maggi
Maurice Maggi lebt in Zürich, wo er, neben seiner Tätigkeit als Autor, seit den 80ern Blumen-Graffitis ‚malt‘. Dies, indem er in städtischen Räumen Pflanzen ansät. Wir haben ihn zu seinem Werk befragt.

Umweltnetz Schweiz: Sie haben ein bewegtes Leben geführt. Sie sind in Rom zur Schule, haben eine Lehre als Landschaftsgärtner in Zürich absolviert, sind viel gereist und haben in New York gelebt. Wie hat das ihr Werk geprägt?
Maurice Maggi: Also gerade dort, in Rom, wie auch in New York, hat mich das insofern geprägt, da das ein urbaner Raum war, in dem ich mich bewegen konnte. Sei es in New York, der Mutter aller Städte, oder in Rom. Das war einfach ein Wunsch, das mal zu erleben und sagen zu können: Das ist jetzt Stadt, viel mehr Stadt kann man nicht haben.
Sie werden als Guerilla-Gärtner bezeichnet. Was kann man sich drunter vorstellen?
Als ich angefangen habe, gab es dieses Wort noch gar nicht. Das ist in New York in Insider-Kreisen entstanden, durch Liz Christy. Das war eine Aktionskünstlerin, und ihre Gruppe nannte sich «Green Guerilla». Davon habe ich aber erst später erfahren.
Seit der Mensch sich bewegt, nimmt er Samen mit. Als Nahrungsmittel natürlich, aber auch als Mittel gegen Heimweh. Man will die Heimat fühlen, seine heimischen Gewürze dabeihaben. Es ist auch ein schönes Geschenk, das man früher mitgab. Die Bedeutung des Samens, der sich an einem neuen Ort ansiedeln kann, der sich auch selbst erhalten kann, der stets Erinnerung birgt. Sei es an eine Person oder an was auch immer. In diesem Sinne ist Guerilla Gardening nichts Neues, es hat lediglich durch die Modererscheinung einen neuen Namen erhalten.
Finden Sie den Namen Guerilla Gardening passend für ihre Arbeit?
Schlussendlich sind es ja nur Worte, aber ich habe ein wenig Mühe damit. Natürlich ist Arbeit aus dem Untergrund ‘Guerilla’. Aber Guerilla hat so viel mit Kriegsszenarien zu tun, und eigentlich ist das, was ich mache - obwohl es mit der Zeit Platz erobert und dominiert – nichts Aggressives. Ich habe meine Aktionen früher auch einfach Blumengraffiti genannt, bevor der Name aufkam. Ich finde die Tätigkeit hat mit jener der Graffiti-Künstler eine starke Ähnlichkeit: Man bespielt den urbanen Raum. Man besetzt einfach den Raum und schaut, was dann passiert: Ob das Graffiti wieder wegkommt oder Akzeptanz findet. Bei meinen Ansaaten ist es so; teils gibt man ihnen Recht und die Leute pflegen sie. Andere finden sie super doof und mähen sie, bevor der Nektar kommt.
Der urbane Raum ist ja gerade beim Guerilla Gardening wichtig.
Ja, und er hat sich über die Jahre völlig geändert. Er hat eine völlig neue Rolle bekommen in den letzten 10 – 15 Jahren. Man merkt, dass viele Wildpflanzen und Wildtiere sich in die urbanen Räume zurückziehen, weil sie dort noch Lebensbedingungen vorfinden, mit denen sie existieren können. Also zum Beispiel keine Agrochemie, ökologische Nischen, keine totale Ausnützung des Raumes. Und so wurde der urbane Raum zu einem neuen Biotop. Die Städte sind sich dessen noch gar nicht so bewusst, dass sie dieser Funktion eigentlich nachkommen müssten. Man ist nur erstaunt, dass man auf dem Gleisareal der SBB die meisten Wildbienen findet oder auch die grösste Kreuzotter-Kolonie, wo man sich doch eigentlich idyllischere Orte für eine solche Kolonie vorstellen kann. Das Gleiche gilt für die Pflanzen.
Und das ist ja ein wenig das, was sie machen: Im urbanen Raum dieser Funktion Raum schaffen, mit Pflanzen?
Ja, das ist es, was ich eigentlich aufzuzeigen versuche. In der Stadt überschneiden sich die Pionierräume mit diesen Lebenspflanzen [zeigt auf Wildblumenpflanzung], weil karge Verhältnisse und keine fetten Wiesen vorherrschen. Dort können sie gut gedeihen. Das zieht durch den Nektar wieder andere Tiere an und kreiert neue Lebensräume.
Die Umweltproblematiken sind heutzutage mehr in der Öffentlichkeit vertreten. Haben Sie das auch verspürt, bei ihren Blumengraffitis?
In der Öffentlichkeit ja, bei den Behörden nein.
Dort hat sich gar nichts geändert?
Nein. Diese planen, sind in der Theorie versunken, machen einen Masterplan auf 10 Jahre hinaus und schlussendlich vergisst man die Notwendigkeit, im Hier und Jetzt zu handeln. Jedes Amt behandelt die ganze Problematik aus der eigenen Nische. Aber dass man zusammen koordiniert, dass man sagt: «Jetzt müssen wir was ändern» und mutige Schritte macht, das fehlt.
Haben Sie Beispiele für Städte, die das vorantreiben?
MM: Paris zum Beispiel. Bei der nächsten Olympiade wird man staunen, wieviel Grün die aus dieser Stadt zaubern. Wien ist auch so eine Stadt, Brüssel, New York, viele asiatische Städte, die den ganzen Städtebau danach ausrichten. Ich kenne New York, weil ich selbst dort gelebt habe und jetzt aus der Ferne verfolge, dass auf einer Avenue in Manhattan einfach eine Velopiste kreiert wird. Ohne Aufsehen: Man hat eingesehen, dass man das braucht, und findet das wichtig. Und dann pflanzte man in die Mitte noch eine Baumallee. Früher dachte ich, niemand käme auf die Idee.
Sie würden sagen, das ist im Ausland mehr der Fall als in der Schweiz?
Ja, die Städte entdeckten die Notwendigkeit und entwickelten ein neues Konzept. Auch dass man die Mobilität – das gehört ja auch in das Thema rein – aus den Städten bringen will. Das heisst, dass alle ihre alltäglichen Bedürfnisse in sieben Minuten erledigen können. Dass man nicht nach Schwamendingen fährt, um Fussballspielen zu gehen, und zum Joggen nach Leimbach: Dass man alles gleich in nächster Umgebung machen kann.
Das schlimmste Beispiel sind Einkaufszentren vor der Stadt, in die alle aus der Umgebung fahren. Das ist heute städtebaulich eine Todsünde. Aber wenn man das ändern will, bedeutet das, eine Stadt, einen Lebensraum ganz neu zu zeichnen. Eigentlich ist Mobilität der Untergang unserer Gesellschaft, man muss also diese Mobilität verschwinden lassen. Wenn man 90% seines Lebens innerhalb eines oder eineinhalb Kilometer leben kann, braucht man viel weniger Energie. Es hängt also alles zusammen. Man achtet dann auch mehr darauf, dass man sich in der näheren Umgebung wohl fühlt – und tut was dafür. Ich wohne gerade hier um die Ecke, da kann ich sagen: Ja, da hat sich was entwickelt, da bin ich zufrieden und habe alles.
Im Ausland hat sich also wirklich was getan in den letzten 40-50 Jahren?
Natürlich sind es andere Systeme als bei uns; mit der Bürokratie und den Referenden, Einspruchsrechten und Einsprüchen. Aber unter dem Strich, ja. Ich denke, man darf heute die Sachen nicht einzeln betrachten – wie man es gerne macht -, sondern als Gesamtheit. Wenn man jetzt sagt: «He wir müssen unseren Planeten retten», dann spielen da so viele Faktoren mit, das kann man nicht separiert anschauen. Bei jedem Baum, der in einer Strasse gepflanzt wird, kann die Feuerwehr Einspruch erheben, weil es in 100 Jahren einmal in der Strasse brannte. Da könnte man den Baum, anstatt ihn deswegen gar nicht zu pflanzen, im Brandfall vielleicht einfach absägen. Da braucht es eine riesige Umorientierung im Denken, und die findet bei uns einfach noch nicht statt. Das ist halt das «millimeterle», das sieht man ja auch schon bei der Parkplatzdiskussion. In Paris zum Beispiel ist das ganz anders. Wenn ein Baum oder ein Pärkchen hinmuss, dann wird nicht gefragt, ob jetzt dort ein Parkplatz ist oder war, sondern dann wird das einfach gemacht. Und obwohl man dann nicht viel Strasse entsiegelt hat, hat man einen öffentlichen Raum geschaffen, der eine höhere Lebensqualität hat. Und man hat die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes verändert.
Und das Öffentlichmachen, das wollen sie erreichen mit ihren Blumengraffitis: Dass sich diese Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ändert?
Ja, ich glaube, im Kleinen haben sehr viele Leute durch meine Ansaaten wahrgenommen: «Ah das sind eigentlich schöne, kleine, hübsche Biotope». Ich werde im Quartier oft angesprochen, wenn ich essbare Pflanzen, Kohlarten oder so, aussetze. Die Leute nehmen das wahr. Ich glaube, das Bewusstsein wäre da. Da ist aber auch eine unglaubliche Mutlosigkeit, wenn es darum geht zu sagen: «Jetzt müssen wir das anpacken». Man scheut auch die Arbeit. Wenn man jetzt durch die Stadt ginge und jede versiegelte Fläche, die nicht unbedingt versiegelt sein muss, begrünt, dann könnte man unglaublich viel gewinnen.
Eigentlich ist es ja schon viel zu spät, wenn man anschaut, wieviele Lebewesen und Pflanzen pro Monat aussterben. Im Handeln macht man vielleicht Fehler, aber man macht etwas – anstatt einer Studie, die nach 10 Jahren eh überholt ist, weil sich alles verändert hat. So wie bei der Stadionbrache in Zürich, wo Permakulturen den Boden seit 10 Jahren mit Aktivkohle und Kompost behandeln. Dort ist eine grüne Oase entstanden! Jetzt überlegt die Stadt Zürich, eine Gruppe zu bilden, um zu untersuchen, welchen Einfluss Aktivkohle auf den Boden hat; dabei könnte man einfach dort schauen, was das für einen Einfluss hat.
Würden sie sagen, dass sie mit ihrer Arbeit ein gesamtheitliches Bild aufzeigen?
Man darf das gar nicht mehr Einzeln sehen. Wenn man eine Stadt bauen will und Parkplätze, den Fussverkehr, die Nutzung des öffentlichen Raumes berücksichtigt, da können wir nicht allem gerecht werden.
Also, dass man nicht sagt, man macht jetzt nur etwas für den Klimawandel, nur für die Biodiversitätskrise oder so?
Ja. Aber das wird unsere Zukunft sein, dass gesamtheitlich anzugehen. Darüber wird auch schon geredet und es werden Konzepte geschrieben, aber passieren tut nichts.
Würden Sie auch sagen, dass ihre Werke politisch sind?
Ja, gesellschaftspolitisch. Man geht immer davon aus, dass man alles gesamtheitlich sehen muss. Aber der Mensch ist im Alltag ein völliger Egoist. Und ich glaube, wir können nur existieren, wenn wir respektvoll sind und den Raum halt teilen. Sei es auch nur eine Fassadennische, die als Nistplatz dient.
Sie haben Erfahrung in dem, was sie machen. Was würden sie anderen raten?
Man kann eigentlich mit sehr einfachen Mitteln etwas ermöglichen. Hier im Quartier verlangen die Hausbesitzer nicht mehr die maximale Miete in den Erdgeschossen und profitieren indirekt: Alle wollen hier wohnen, weil das Quartier durch die Kaffees und Läden belebt ist. Man kann sich fragen, was gab hierzu den Anstoss? Und dann geschah es dann meist durch Zufälle oder Privatinitiativen, die was probiert haben: Und plötzlich hat sich was bewegt. Wenn es von staatlicher Seite organisiert hätte, wäre nichts passiert.
Haben sie noch etwas, dass sie beifügen möchten, was nicht so angesprochen wurde?
Ich probiere, dass man aus den Blumen-Graffitis einen grösseren Zusammenhang sieht als einfach nur «jöö, herzig, schöni blüemli und schmetterling»; also natürlich spielt das alles mit, aber man muss das gesamtheitlich sehen. In der heutigen Zeit darf man, kann man die Agrochemie nicht mehr trennen von Gewässerqualität. Sonst kommen wir nirgends hin.
Vielen Dank für das lebendige Gespräch!
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