«Können Tiere fühlen?»

Lange war es in der Wissenschaft verpönt, Aussagen über die Gefühle von Tieren zu treffen. Heute deuten immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hin, dass auch Tiere Emotionen empfinden.

«Können Tiere fühlen?»
Lächelt der Hund, oder hechelt er nur? (Pauline Loroy, Unsplash)

Wer bei sich zu Hause ein Haustier hat, kennt diese Gedanken allzu gut: Die Katze ist eingeschnappt, wenn wir ihr nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken; der Hund reagiert euphorisch, wenn wir nach einem Arbeitstag wieder nach Hause kommen. Wir projizieren also gerne Emotionen in unsere Lieblinge. Die Verhaltensforschung war sich indessen lange nicht sicher, welche Palette an Emotionen Tiere empfinden.

In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die Antworten, die die Wissenschaft auf die Frage „Können Tiere fühlen?“ bisher gefunden hat.

Was sind Gefühle und Emotionen überhaupt?

Zunächst muss man sich über den Forschungsgegenstand im Klaren sein. Was ist überhaupt gemeint, wenn von „Gefühlen“ die Rede ist? In den letzten Jahren findet man wesentlich häufiger den Ausdruck „Emotionen“. Gibt es überhaupt einen Unterschied? 

Hier beginnt schon die Herausforderung: Weder in der Humanforschung noch in der Verhaltensbiologie einigte man sich auf eine einheitliche Definition von Gefühlen und Emotionen. Manchmal werden sie als Synonyme verwendet, manchmal stehen sie für unterschiedliche Phänomene. Es zeichnen sich aber langsam klarere Unterscheidungen ab.

Angst, zum Beispiel, ist eine Emotion. Eine solche Emotion lässt sich in verschiedene Komponenten unterteilen: Wer Angst verspürt, nimmt eine geduckte Haltung an und schaut sich häufig um — die Angst äussert sich also im Verhalten. Ebenso kann es passieren, dass man einen unbedenklichen Schatten oder ein leises Knacken als mögliche Bedrohungen wahrnimmt. Die Angst hat also auch einen Einfluss auf die Kognition; die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen. Der Mund wird trocken und der Herzschlag beschleunigt sich — die Angst wirkt sich auf den Körper aus. Daneben gibt es auch das subjektive Empfinden der Angst: Das, was man in diesem Moment der Angst fühlt. Diese letzte Komponente der Emotion ist das, was zunehmend mit dem Wort „Gefühl“ bezeichnet wird. 

Frühe Methoden der Erforschung tierischer Emotionen

Die Methoden, mit denen Emotionen und emotionale Zustände im Tier untersucht werden, sind vielfältig. Sie unterscheiden sich je nach Fragestellung, Ausdruck der Emotion und der Tierart, über die man eine Aussage treffen möchte.

Um nachzuweisen, ob ein Tier eine Emotion verspürt, braucht es zunächst Indikatoren, also festgelegte Anzeichen, die auf eine Emotion hinweisen. Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, kann sich eine Emotion auf verschiedenen Ebenen ausdrücken: Neben der subjektiven Empfindung — dem Gefühl — äussert sie sich auch in der Physiologie und dem Verhalten. Lange war sich die Wissenschaft einig, dass die subjektive Ebene im Tier nicht untersucht werden kann, da uns Tiere ihre Empfindung nicht in Worten mitteilen können. Nur wenn Tiere ihr Empfinden durch ihr Verhalten oder eine körperliche Reaktion ausdrückten, konnte ein Rückschluss auf das Vorhandensein einer Emotion gezogen werden. Charles Darwin untersuchte auf diese Weise vor 150 Jahren die Verhaltensweisen von Tieren und zog daraus Rückschlüsse zu deren Emotionen. Er beobachtete eine Vielzahl von Emotionen — darunter Trauer, Angst, Verzweiflung, Hingabe, zärtliche Gefühle, schlechte Laune, Wut und Überraschung — sowohl bei Menschen als auch bei anderen Tieren. Er verglich die Äusserungen dieser Emotionen über Laute, Gesten und Mimik mit denjenigen von Menschen und fand bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. Er gelangte darüber zur Ansicht, dass auch sie Emotionen empfinden— obwohl er nicht in die Köpfe der Tiere schauen konnte.

Können wir in die Köpfe von Tieren schauen?

Die Verhaltensbiologie hat in den vergangenen Jahren massive Fortschritte gemacht, vor allem dank der Entwicklung der Neurowissenschaften. Mittels neuer Methoden können wir nämlich auch Gehirnprozesse untersuchen, die den Emotionen zugrunde liegen. Durch vergleichende Untersuchungen lässt sich nachweisen, dass die Hirnareale, die beim Menschen für das Entstehen von Emotionen verantwortlich sind, nicht erst in den letzten Schritten unserer Evolution entstanden sind. Vielmehr handelt es sich um relativ alte Strukturen, die wir mit allen übrigen Säugetierarten  (und auch anderen Tierfamilien) teilen. Diese Hirnareale scheinen bei den Säugetieren auch die gleichen Aufgaben zu erfüllen wie bei uns. Die Teile des Gehirns, die beim Menschen in bedrohlichen oder erfreulichen Situationen aktiv sind, reagieren in entsprechenden Situationen auch bei anderen Säugetieren. Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass heute Emotionen oder „emotionale Zustände“ zumindest bei allen Säugetieren anerkannt werden. In Grossbritannien wurde im vergangenen Jahr sogar gesetzlich anerkannt, dass Wirbeltiere Emotionen und Gefühle empfinden können.

Welche Emotionen können Tiere fühlen?

Welche Emotionen Säugetiere nun genau empfinden, ist bei weitem nicht geklärt. Neuro- und verhaltensbiologische Untersuchungen legen nahe, dass zumindest alle Säugetiere grundlegende emotionale Zustände wie Freude, Trauer, Angst, Wut und Lust teilen. So wird regelmässig beobachtet, dass nach dem Verlust eines geliebten Menschen oder eines tierischen Freundes auch Tiere trauern. Elefanten bleiben für Stunden bei einem verstorbenen Artgenossen und berühren den Körper immer wieder mit dem Rüssel. Hunde und Katzen verweigern das Futter, wenn ein tierischer oder menschlicher Partner vor kurzem verstorben ist. Eine Studie belegt sogar, dass Hunde sich von Emotionen ihrer Besitzer — z.B. Stress oder Angst — anstecken lassen.

Wie differenziert einzelne Tierarten jedoch fühlen, und ob sie auch Stimmungen und weitere Emotionen wie Eifersucht, Scham oder Stolz empfinden, darüber wird noch geforscht. Bei Affen konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass sie bei falschen Handlungen oder Versagen Scham ausdrücken. Sie schauen sich nach einem Patzer nach Beobachtern um und versuchen das Resultat ihres Fehlers vor anderen Affen zu verbergen.

Die (vorläufigen) Grenzen der Verhaltensbiologie

Emotionen haben einen evolutionsbiologischen Zweck, aber nicht jede Emotion ist in jedem Lebensumfeld brauchbar. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Menschen Emotionen empfinden, aus denen Tiere keinen Nutzen ziehen können, aber auch umgekehrt Tiere Emotionen empfinden, die wir Menschen nicht kennen. Wir können lediglich jene Emotionen im Tier erkennen, die auch wir empfinden können. Damit Tiere aber nicht vermenschlicht werden, forschen die Wissenschaftlerinnen nach einer Reihe von verschiedenen Hinweisen, die Rückschlüsse auf das Vorhandensein einer Emotion erlauben. Wir müssen dabei zusätzlich in Betracht ziehen, dass sie ihre Gefühle vielleicht auf eine nur ihren Artgenossen verständliche Art und Weise ausdrücken.

Tatsächlich gibt es viele Instanzen, in denen wir Menschen die Emotionen von Tieren gar nicht erkennen können. Erst kürzlich ist es einem Forscherteam aus Kopenhagen gelungen, anhand der Grunzlaute von Schweinen zu erkennen, ob die Tiere glücklich oder traurig sind. So sei das Grunzen in positiven Situationen viel kürzer und weise geringere Schwankungen in Lautstärke, Intensität und Tonlage auf, erläutern die Autoren in der Studie, die vor vier Tagen in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde. Die Tonaufnahmen wurden mittels Computeralgorithmus analysiert, da die feinen akustischen Unterschiede mit blossem Menschenohr gar nicht erkennbar sind.

Auch wenn nach den strengen wissenschaftlichen Massstäben (noch) nicht abschliessend widerlegt bzw. bewiesen werden kann, inwiefern Tiere Emotionen erleben, ergibt sich aus ihrem wachsenden Kenntnisstand auf einer ethischen Ebene doch eine klare Forderung. Die Zeichen mehren sich, dass Emotion ein derart mächtiges Werkzeug des Überlebens ist, dass es der Evolution nicht erst mit der Menschwerdung „einfiel“. Aus dem gestärkten Verdacht, dass auch andere Tiere Angst, Lust, Leid, Freude oder Trauer empfinden, leitet sich das Gebot ab, an ihnen so zu handeln, als ob sie diese hätten.